Bis jetzt ist es noch so, dass die meisten Bürger des Landes die Energiewende als ein Projekt der Regierung und der Energiekonzerne betrachten, nicht als Chance, dieses Jahrhundertprojekt selbst mit voranzutreiben. Nicht nur als Nutzer von "grünem Strom", sondern richtig als Investor und Unternehmer. Oder um ein Wort zu nutzen, das vielen Leipzigern viel vertrauter ist: als Genossenschaftler. Die Leipziger Energiegenossenschaft (EGL) lädt jetzt regelrecht dazu ein.

Sie ist nicht die erste Initiative, die in Leipzig von Bürgern finanzierte Solarkraftanlagen auf die Dächer bringt. Es gibt schon erfolgreich arbeitende Bürgersolarkraftwerke. Das neue ist: Die im November aus der Taufe gehobene Energiegenossenschaft will die Sache jetzt systematisch angehen und die Freiräume des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) nutzen, die Installation von Solaranlagen auf Leipzigs Dächern voranzutreiben. Ihr erstes Projekt ist eine Solaranlage auf einem Fabrikdach des Ludwig-Hupfeld-Centers in Böhlitz-Ehrenberg: 600 Quadratmeter groß, in der Lage, jährlich 73.000 kWh Ökostrom zu produzieren. “Und wir sind da noch konservativ herangegangen mit unserer Rechnung”, erzählt Matthias  Mattiza, Vorstandsvorsitzender der EGL, die aktuell schon 43 Mitglieder hat und auch schon erste Beiträge und Darlehen eingesammelt hat, um die Anlage auf dem Hupfeld-Center zu finanzieren.

Für Anschaffung, Installation und Liquidität werden 110.000 Euro benötigt. Ein Viertel der Summe ist schon zusammen. Das Einsammeln von Genossen soll jetzt erst richtig forciert werden, betont Thomas Haubner, Aufsichtsratsvorsitzender der EGL. Beide sind derzeit ehrenamtlich in diesen Jobs. “Jetzt geht es erst einmal um den Markteintritt”, betont Mattiza. “Das Geld fließt vorrangig ins Projekt.”

Der Zeitplan ist ehrgeizig: Im Frühjahr soll die Montage der Solaranlage beginnen.

Am Donnerstag, 5. Februar, stellten die beiden das Projekt in Anwesenheit von Dr. Enrico Hochmuth, Leitender Kurator des Schulze-Delitzsch-Hauses in Delitzsch vor. Schulze-Delitzsch gilt neben dem Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen als Begründer der Genossenschaftsbewegung in Deutschland. Ein Unternehmensmodell, das schon vor 150 Jahren neue Formen der Beteiligung schuf: Wer Mitglied einer Genossenschaft wird, wird auch Teilhaber des Unternehmens und kann auf Genossenschaftsversammlungen die Politik der gemeinsamen Unternehmung mitbestimmen. “Es ist die ethischste aller Unternehmensformen”, sagt Hochmuth und schwärmt von der seit 2013 eröffneten Chance, das Genossenschaftsmodell, wie es Hermann Schulze-Delitzsch entwickelt hat, nun auch noch zum UNESCO-Kulturerbe zu machen. Wenn das gelingen sollte, wäre es das erste Mal, dass eine derartige gemeinschaftliche Wirtschaftsform auch auf höchster Ebene Anerkennung findet. Es wäre auch für Deutschland ein Zeichen, dass diese Art des gemeinsamen Wirtschaftens eigentlich das Vorbild für die Zukunft ist.

Denn während die meisten Großunternehmen heute strikt darauf getrimmt sind, Rendite für die Aktionäre zu erwirtschaften, die mit sozialen, ethischen oder ökologischen Zielen in der Regel nichts am Hut haben, ist das wichtigste Ziel von Genossenschaften immer das Interesse der Genossenschaftler, Genossen im ganz ursprünglichen Sinn, wie Hochmuth betont: “Das kommt von genießen. Die Mitglieder der Genossenschaft sollen diejenigen sein, die vom gemeinsamen Tun einen Genuss haben.”

Im Fall der Energiegenossenschaft ist das auch, wie Mattiza betont, das Vorantreiben der Energiewende durch die Bürger selbst. Sie brauchen sich nicht darauf zu beschränken, sich irgendwo “grünen Strom” zu kaufen. Sie können selbst Mitglied in der EGL werden und – angefangen mit relativ überschaubaren Beiträgen – an solchen Investitionsprojekten wie auf dem Hupfeld-Center beteiligen. Um eine Stimme in der Genossenschaft zu erwerben, ist die Mindesteinstiegsgröße der Kauf von zwei Anteilsscheinen à 100 Euro. Wer kann und will, kann auch mehr nehmen. Genauso kann man der EGL mit einem Darlehen bei den Investitionen helfen. Auf Mitgliedsdarlehen will die GL 2,3 % Zinsen zahlen, für die Genossenschaftsmitglieder gibt es – je nach Jahresumsatz, eine Ausschüttung.

Der Umsatz hängt natürlich auch davon ab, wie oft die Sonne scheint.

Das eigentliche Betriebsmodell ist recht simpel, denn die im Hupfeld-Center ansässige Druckerei will den Strom direkt abnehmen – er wird also gar nicht erst ins Netz eingespeist, so dass die EGL statt der derzeit 22 Cent für die Kilowattstunde, die in Leipzig marktüblich sind, 17 Cent nehmen kann und damit deutlich preiswerter ist. Die Druckerei spart also bei den Stromkosten. Einkalkuliert, so erklärt Haubner, seien auch sonnenscheinschwache Zeiten, da müsse dann natürlich Strom zum höheren Preis zugekauft werden. Aber dafür könne in Zeiten, in denen die Sonne so richtig auf die Solarpaneele knallt, überschüssiger Strom ins Netz abgegeben werden für knapp 12 Cent pro kWh.

Die Kalkulation geht von 78 Prozent Eigenverbrauch im Haus aus, der Rest würde ins Netz gehen.

Die geplante Solaranlage auf einem Gebäude des Ludwig-Hupfeld-Centers. Grafik: Energiegenossenschaft Leipzig
Grafik: Energiegenossenschaft Leipzig

Bei diesem einen Projekt aber soll es nicht bleiben. Im Gegenteil. “Wir wollen uns langfristig für die Energiewende in Leipzig einsetzen”, sagt Mattiza. Und die würde nun einmal auf eine zunehmende Dezentralisierung und immer mehr Bürgerbeteiligung hinauslaufen. Dafür stehe auch das von der Stadt Leipzig aufgelegte Solardach-Kataster, das sichtbar macht, wie viele Dächer sich in Leipzig für den Aufbau von Solaranlagen eignen. Auch etliche Dächer städtischer Gebäude sind darunter. Und drei dieser Gebäude hat die Stadt nun ausgeschrieben. Bei einem sieht die EGL die Chance, ihr nächstes Projekt anzuschieben: auf einer Schule.

Es ist die 90. Grundschule in der Garskestraße 21 in Grünau. Und auch das soll nicht das letzte Projekt bleiben. Wenn genug Bürger (und das müssen ja nicht nur Leipziger sein) mitmachen, könnte die Schaffung neuer Solaranlagen auf Leipzigs Dächern die Energiewende durch direkte Beteiligung der Bürger vorantreiben.

Und weil das direkte Gespräch einen in der Regel noch etwas klüger macht, lädt die EGL am 26. Februar um 20 Uhr ein ins Café Tabori (Lindenauer Markt 21), wo sich Vorstand und Aufsichtsrat vorstellen und Fragen beantworten wollen.

Eine weitere Möglichkeit, die Genossenschaft kennenzulernen, gibt es am 4. März um 18 Uhr im Haus der Demokratie (Bernhard-Göring-Straße 152) bei einem Informationsabend.

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