Seit Montag, 2. Juli, blitzt es und kracht es. Nicht unbedingt im Leipziger Medienwald. Da ist es erstaunlich still, was den Frontalangriff von "Computer Bild" auf das Leipziger Medienhaus Unister betrifft. Was nicht überrascht. Zu parteiisch hat sich die maßgebliche Zeitung in den letzten Jahren gemacht, wenn es um das 2002 gegründete Unternehmen mit seinen 500, 1.000, 1.500 Mitarbeitern geht.
Die Zahlen sind beliebig. Die Zahlen sind wurst. Sie gehören in den großen Kontext der Leipziger Ahnungslosigkeit, was die wirtschaftlichen Strukturen in der Stadt betrifft und die Art Geschäftsmodelle, die hier gepflegt werden.
“Die Unister GmbH ist ein sehr gutes Beispiel für die positive Entwicklung Leipzigs im Bereich der Medien- und Kreativwirtschaft”, zum Beispiel erzählte Oberbürgermeister Burkhard Jung am 11. Juni 2009. “Mit derzeit 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zählt Unister schon heute zu den größten IT-Häusern Leipzigs. Diese hervorragende Entwicklung wird die Stadt Leipzig engagiert fördern und uneingeschränkt unterstützen.”
Damals ging es um die erste Diskussionsrunde um den Unister-Neubau auf dem Gelände Brühl 76. Es ging nur scheinbar um ein Stockwerk mehr und eine sinnvolle architektonische Gestaltung. Das Gebäude ist bis heute nicht begonnen. Im Februar 2010 wurde wieder diskutiert. Öffentlich. Wieder widmete die LVZ der Bauverzögerung eine ganze Seite, feuerte mit allen Kanonen auf die Stadtverwaltung.
Am 15. Februar konnte man auf “LVZ Online” lesen: “‘Ich habe das in der Zeitung gelesen und sofort bei Unister angerufen’, sagte der Wirtschaftsstaatssekretär. Noch diese Woche werde er sich mit Firmenchef Thomas Wagner in Leipzig treffen ‘und einige interessante Dinge in Ruhe bereden’. Unister-Sprecher Konstantin Korosides bestätigte den Termin: ‘Uns wurde angeboten, die Firmenzentrale oder Teile der Firma nach Sachsen-Anhalt zu verlegen – mit Investitionsförderung und weiteren Fördermaßnahmen.'”
Der Wirtschaftsstaatssekretär war Detlef Schubert, damals noch im Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt. Heute ist er CDU-Vorsitzender in Leipzig.
Was die “Computer Bild” am 2. Juli auspackte – und was die aus dem gleichen Hause stammende “Welt” am 4. Juli folgen ließ – war in der Substanz nichts Neues. Teilweise war davon auch schon in der L-IZ zu lesen. Nur der Zeitpunkt überraschte. Warum jetzt? Immerhin hatte Unister schon zwei Prozesse hinter sich, die die Verbraucherzentrale Sachsen angestrengt hatte. Die Verbraucherzentrale berichtete dazu noch einmal ausführlich auf ihrer Jahrespressekonferenz am 31. Mai. Immerhin war auch die “Bild” vor Ort. Man hatte also die wichtigsten Informationen zu den unseriösen, mehrmals abgemahnten Geschäftspraktiken im Hause Unister.
“Computer Bild” hat einfach mal hochgerechnet, um welche Summen es geht, wenn das, was die Verbraucherschützer angeprangert haben, auf den diversen Portalen der Unister GmbH (wie fluege.de) systematisch und weitgehend automatisiert abläuft. Was im Einzelfall vielleicht 10, 20, 30 Euro sind, summiert sich in der Vielzahl der Kauffälle auf einen hohen zweistelligen Millionenbetrag im Jahr.
Ins Laufen gekommen ist die Recherche im Hause Springer vermutlich durch den Abgang von Unister-Manager Thomas Meyer, der just im Bereich fluege.de tätig. war. Er ist nicht der einzige Unister-Mitarbeiter, der das Unternehmen in letzter Zeit verlassen hat. Von “Rache und persönlicher Diskreditierung von Unister-Chef Wagner (34)” spricht Carsten Hennig auf hotelling.net in einem Beitrag, der die Berichterstattung von “Computer Bild” als Attacke und “schmutzigen Krieg” sieht.
heise.de berichtete noch am selben Tag von einer “strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung gegen den Bericht der Computerbild”, mit dem Unister versuchte, die Berichterstattung abzubügeln. “Computer Bild” erklärte noch am selben Tag, dass es gar nicht daran denke, darauf einzugehen. Dass die Berichterstattung dann in der “Welt” ihre Fortsetzung fand, macht eigentlich deutlich, wie ernst es dem Springer-Konzern mit der Geschichte ist.
Verbraucherzentrale Sachsen zieht beklemmende Bilanz: Unseriöse Geschäftspraktiken nahmen auch 2011 zu
Pressekonferenzen von Verbraucherschutzorganisationen …
“eTown”-Award für Leipzig: Wirtschaftsbürgermeister freut sich über eine durchschaubare Google-PR-Aktion
Dafür kann Leipzigs Wirtschaftsbürgermeister …
Unister zum Bauprojekt am Brühl: Ja, wir haben die Baugenehmigung und eine Reaktion der Stadt Leipzig
Seit einem Jahr ruht die künftige Baustelle …
Und auch, dass man sich stark genug fühlt, dem Leipziger Schweigen endlich einmal etwas entgegen zu setzen. Denn nicht nur die Stadtverwaltung pries das “Vorzeigeunternehmen” aus dem Barfußgässchen 11 immer wieder. Die staatsanwaltschaftlichen Vorgänge um eine Beschwerde eines Unister-Kunden, der sich um 20 Euro geprellt sah, laufen nach Auskunft von Riccardo Schulz, Sprecher der Staatsanwaltschaft Leipzig, noch. Die Akten liegen – nachdem die Generalstaatsanwaltschaft Dresden die Beschwerde angenommen hatte – derzeit in Dresden. Eine Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft steht noch aus.
Noch am 6. Juni lobte Uwe Albrecht, der Wirtschaftsbürgermeister der Stadt Leipzig, als ihn der Internet-Gigant Google mit dem eTown-Award beehrte: “Eine schöne Ehrung für unsere Stadt, die kein Zufall ist. Leipzigs Internetwirtschaft verdient diesen Preis, denn ob große Unternehmen wie Unister, kleinere Firmen wie die Leipziger eCommerce Genossenschaft oder auch Netzwerke wie der Kreatives Leipzig e.V.: das Internet ist ein wichtiger Bestandteil der Wertschöpfungskette nahezu aller Branchen. Darin liegt eine Stärke Leipzigs.”
Welche Wertschöpfung? – Die “Welt” hat eigentlich recht plastisch erklärt, wie Unister die unendlichen Möglichkeiten des Internets nutzt, um schlicht als kostenbewusster Weiterverkäufer in einem Massenmarkt seine Gewinne zu machen. Und dieser Markt – darauf wies Joachim Betz, der Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Sachsen, recht deutlich hin – lebt vom überforderten Konsumenten, der nicht einmal merkt, dass er geneppt und übers Ohr gehauen wird, der sich weder für das Kleingedruckte noch die Allgemeinmen Geschäftsbedingungen interessiert. Der auch mit echten Preisvergleichen überfordert ist, nur möglichst schnell das Produkt haben will, das er sucht. Und wenn’s der billige Flug nach Mallorca ist, der dann am Ende etwas teurer ist, als ursprünglich ausgepreist.
Darauf lassen sich im Internet die grandiosesten Geschäftsmodelle aufbauen. Und das Frustrierende dabei ist: Die Verbraucherrechte sind dabei eher Treibgut als ein belastbarer Rechtsrahmen. Die Zahl der unseriösen Geschäftspaktiken im Internet hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, stellte die Verbraucherzentrale fest. – Warum auch nicht? Damit lässt sich augenscheinlich viel mehr und viel sicherer Geld verdienen als mit seriösen Geschäftsmodellen. Fördergelder von der Sächsischen Aufbaubank gibt’s dann auch noch problemlos. Und das Lob der regionalen Politik gibt’s als Sahnehäubchen obendrauf.
Den Beitrag der “Welt” findet man hier
www.welt.de
Der Beitrag auf heise.de
www.heise.de
Der Beitrag auf hotelling
http://hottelling.net
Anmerkung seitens Ricardo Schulz, Oberstaatsanwalt & Pressesprecher Staatsanwaltschaft Leipzig:
Sehr geehrte Damen und Herren, im Zusammenhang mit Ihrem Beitrag erlaube ich mir einen ergänzenden Hinweis, soweit Sie in Ihrem Artikel auf die Staatsanwaltschaft Leipzig Bezug nehmen: Der für den Artikel in der WELT verantwortliche Redakteur hatte an die Staatsanwaltschaft Leipzig für Computer-BILD eine Anfrage zu einem konkreten Verfahren gestellt.
Gegenstand dieses Verfahrens war eine Strafanzeige gegen den Geschäftsführer der Firma Unister GmbH wegen des Tatvorwurfs des Betruges im Zusammenhang mit der Geltendmachung einer Bearbeitungsgebühr in Höhe von 20,00 ? bei einer Flugbuchung. Das Verfahren war durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden und der Anzeigerstatter hatte Beschwerde hiergegen bei der Generalstaatsanwaltschaft in Dresden eingelegt.
Die Staatsanwaltschaft Leipzig hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Ermittlungsakten zur Prüfung der Beschwerde am 02.07.2012 (!)an die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden gesandt. Zum Zeitpunkt des Erscheinen des Artikels in Computer-BILD am 30.06.2012 war die Akte noch nicht einmal in Dresden, so dass die Generalstaatsanwaltschaft (und nicht die Oberstaatsanwaltschaft, die es als solche nicht gibt, aber auch nicht die Staatsanwaltschaft Dresden) noch gar nicht entschieden haben konnten.
Aber auch am 04.07.2012 zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels in der WELT lag in Dresden noch keine Entscheidung über die Beschwerde vor, da dort gerade einmal die Akten eingegangen waren…
Die Aussage, dass die Staatsanwaltschaft Leipzig in diesem Fall bereits durch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden zur Wiederaufnahme der Ermittlungen angewiesen worden ist, ist daher nicht zutreffend, man könnte auch sagen falsch. Der Ausgang des Beschwerdeverfahrens ist noch offen.
Unabhängig von Inhalt und Aussage des Beitrags im Übrigen, den ich von hier aus nicht bewerten möchte, geht es mir nur darum, dass die Arbeit der Staatsanwaltschaft objektiv zutreffend dargestellt wird. Dies ist hier leider seitens der Computer-BILD/WELT nicht erfolgt.
Sofern Sie Interesse am weiteren Fortgang des hier angesprochenen Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Leipzig haben, bitte ich Sie, sich insoweit an die Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft Dresden zu wenden.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung.
Schulz
Oberstaatsanwalt
-Pressesprecher-
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