Über zwei Millionen Menschen müssen in Deutschland seit November die Füße stillhalten: Der im Herbst beschlossene „Lockdown Light“ und die Verschärfungen ab Dezember verdammen Gastronomen zum Nichtstun. Bundesfinanzminister Olaf Scholz gab allen betroffenen Unternehmen und Mitarbeiter/-innen Hoffnung: „Wir lassen in dieser ernsten Lage unsere Unternehmen und ihre Beschäftigen nicht allein, sondern erweitern nochmals unsere Hilfsangebote für die betroffenen Selbstständigen, Unternehmen und Einrichtungen.“
Die Initiative „Leere Stühle“ zeigt jedoch, dass viele Gastronomen, aber auch Hoteliers, Veranstalter und Zulieferer unzufrieden sind und sich eben nicht unterstützt fühlen. Sie fordern: einen Plan zur Wiedereröffnung der Gastronomie, eine schnelle und unbürokratische Umsetzung der Wirtschaftshilfen, das Einbeziehen von Minijobbern und indirekt betroffenen Unternehmen. Am 11. Dezember fand die bisher letzte Aktion statt. Was hat sich seither getan? Wie stehen Leipziger Gastronomen zu den Wirtschaftshilfen? Und was haben die Beschäftigten für Perspektiven?
Den Überblick behalten
Soforthilfe, drei verschiedene Überbrückungshilfen, November- und Dezemberhilfen, Forderungen nach einer Januarhilfe. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) bringt Licht ins Dunkel: „Die November- und Dezemberhilfe steht neben den Überbrückungshilfen. Im Rahmen der Überbrückungshilfe wird ein Zuschuss zu den betrieblichen Fixkosten gezahlt. Die Überbrückungshilfe steht grundsätzlich allen Branchen offen. Die November- und Dezemberhilfe können nur Unternehmen und Soloselbstständige erhalten, die aufgrund des Beschlusses von Bund und Ländern vom 28. Oktober 2020 und der daraufhin erlassenen Schließungsverordnungen der Länder den Geschäftsbetrieb einstellen mussten.“
So erhalten unter anderem gastronomische Betriebe durch die November- und Dezemberhilfen 75 Prozent ihres monatlichen Umsatzes von 2019. Wer jedoch diese Hilfen beantragt, erhält keine Zuschüsse mehr aus den Überbrückungshilfen. Diese gelten für alle Unternehmen, die einen Umsatzeinbruch von 30 Prozent verzeichnen. Seit Mitte Februar können Anträge auf die sogenannte Überbrückungshilfe III gestellt werden, alle Branchen – ob betroffen oder unabhängig von den Lockdown-Regelungen – sind antragsberechtigt. Derweil sei eine Januarhilfe, die wie die November- und Dezemberhilfe funktionieren würde, nicht mehr geplant, so das BMWi.
Ganze Systeme erschaffen
Bisher wurden knapp 17 Milliarden Euro in den Zuschussprogrammen ausgezahlt. Allein in Sachsen gingen für die November- und Dezemberhilfe jeweils über 15.000 Anträge ein. Eine Woche nach Einführung der Überbrückungshilfe III, die nun auch für die Gastronomie entscheidend ist, wurden bereits mehrere hundert Anträge gestellt. Während die Abschlagszahlungen durch den Bund bei allen Programmen recht zügig erfolgen, lassen die regulären Auszahlungen länger auf sich warten. Das Team der „Barcelona“ in Leipzig berichtet, dass teilweise schon am Tag der Antragsstellung der Abschlag ausgezahlt wurde.
Über einen Monat später seien dann erst die restlichen Zuschüsse gekommen. Die Chefin des Tapas-Restaurants in der Gottschedstraße zeigt neben Unmut aber auch Verständnis: „Ich habe ein sehr mitfühlendes Herz für jede Regierung auf der Welt, die gerade versucht, etwas zu erfinden, um die Gesellschaft nicht komplett an die Wand zu fahren. Es müssen von irgendwoher Mittel akquiriert und ganze Systeme erschaffen werden, die einfach noch nicht da sind.“
Peter Berndt, Inhaber der Cocktailbar „Brick’s“, empfand die November- und Dezemberhilfen als sehr großzügig. Nun sieht er aber vor allem in der Berechnungsgrundlage der Überbrückungshilfe III einige Probleme: „Für die Überbrückungshilfen werden nunmehr nur noch bis zu 90 Prozent der Festkosten erstattet. Dazu gehören allerdings keine Kosten für Unternehmerlöhne und deren Aufwendungen für ihre Sozialleistungen, wie beispielsweise die private Krankenversicherung.
Das bedeutet, dass für die folgenden Monate jeder von einer Schließung betroffene Unternehmer mit erheblichen Summen aus seinen Rücklagen Zahlungen für Mieten, Energie, GEMA, Steuerberater und so weiter sowie seine eigenen laufenden Kosten kompensieren muss. Ich hätte mir eine durchgehende faire und konstante Regelung zu den Entschädigungen gewünscht.“
Auf der Suche nach Alternativen
Während viele Gastronomen derzeit die Perspektivlosigkeit beklagen und die Regierung zu einer klareren Linie auffordern, richten einige Unternehmen ihre Augen auf Alternativen. Vor allem im Dezember waren Krankenhäuser und Gesundheitsämter zunehmend überlastet. So entschlossen sich einige Friseure und Gastronomen zur Eigeninitiative. Carlos, der normalerweise im Café Cantona tätig ist, bewarb sich im November auf eine Stelle zur Freiwilligen Hilfskraft am Universitätsklinikum.
„Die Aufgaben sind unterschiedlich“, erzählt der Restaurantleiter. „Wir sind im Eingangsbereich tätig und unterweisen die Patienten oder Besucher über die Verhaltensregeln: Hände desinfizieren sowie Mund- und Nasenschutz. Wir messen Temperatur, um notfalls den Zutritt zu verweigern, und wir bringen die für die Patienten abgegebenen Taschen zu den Stationen.“ Es tue sehr gut, wieder etwas Struktur im Alltag zu haben und nebenbei helfen zu können.
Auf Anfrage der Leipziger Zeitung (LZ) gaben die sächsischen Gesundheitsämter an, dass aufgrund der sinkenden Infektionszahlen derzeit keine Aushilfen gebraucht werden. Die Situation in den Krankenhäusern entspanne sich auch zunehmend. Dennoch werden vereinzelt Aufrufaktionen durchgeführt, berichtet beispielsweise der Landkreis Leipzig: „Unser Sozialamt startete eine Initiative. Inhaltlich waren natürlich pflegerisch vor- oder ausgebildete Personen besonders gefragt. Es fielen aber auch hauswirtschaftliche Tätigkeiten, Fahrdienst und ähnliches an. Wir haben so einen Helferpool aufgebaut, der aktuell 201 Personen umfasst.“
Das Gesundheitsamt Bautzen gibt an: „Aktuell ermitteln wir den Bedarf bei Pflegeheimen für zusätzliches Personal zur Durchführung der Schnelltests für Besucher in diesen Einrichtungen. Die Aktion beruht jedoch auf einem Aufruf der Bundesregierung und wird durch die Agentur für Arbeit umgesetzt. Als Landkreis sind wir hier nur vermittelnd tätig. Aus Gesprächen mit der Agentur für Arbeit wissen wir aber, dass dieser Aufruf vor allem von Angestellten aus der Gastronomie und Friseurbetrieben sowie anderen vom Lockdown betroffenen Branchen angenommen wird.“
Solche Aktionen sind jedoch nur der Einzelfall. Verschiedene Leipziger Kliniken – das Evangelische Diakonissenkrankenhaus, die Helios- und Median-Kliniken, das St. Elisabeth und das St. Georg – versicherten, dass derzeit keine Aushilfen gebraucht werden. „Wir müssen uns für eine neue Welle durch die mutierten Coronavarianten wappnen“, mahnte jedoch Christoph Lübbert, Leiter des Bereichs Infektions- und Tropenmedizin am Universitätsklinikum Leipzig, in der sächsischen Bürger- und Expertenkonferenz Anfang Februar.
Ob das sächsische Gesundheitswesen spontan auf erneut steigende Inzidenzen reagieren kann, wird sich zeigen. Vielleicht könnte aber mit den vielen engagierten Gastronomen und den Warnungen der Expert/-innen eine höhere Planbarkeit und Sicherheit erreicht werden, wenn der Aufbau von Helferpools kein Einzelfall, sondern die Regel wäre
„Gibt es Gewinner in der Pandemie?“ erschien erstmals am 26. Februar 2021 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Die Ausgabe 88 finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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