Die Auflösung der Sowjetunion liegt jetzt ein Vierteljahrhundert zurück, doch entgegen aller Erwartung hat der zeitliche Abstand die ererbten Konflikte kaum gemindert. Während sich Ökonomie und Staatlichkeit mit viel Kraftaufwand transformieren ließen, hat eines der gravierendsten gesellschaftlichen Experimente der UdSSR – ihre Konstruktion als Vielvölkerreich – sich im Nachhinein als schwere Hypothek erwiesen: In den neu gegründeten Nationalstaaten sind nun umfängliche Volksgruppen aus anderen Teilen der einstigen Union zu integrieren – ohne dass es dafür positive Ideen einer irgendwie multiethnischen Verfasstheit gäbe. Beinahe überall wird stattdessen auf die Durchsetzung „nationaler Leitkulturen“ gepocht.
Dabei zeigen sich Erinnerungen und Mythen der Titularnation und ihrer „Minderheiten“ oft als diametral gegeneinander gerichtet. Vor allem im Blick auf den II. Weltkrieg und dessen Folgen scheint im Baltikum oder der Ukraine die Suche nach verbindenden Narrativen schier aussichtslos. Anstatt an Brückenschlägen gemeinsamer neuer Identitäten zu arbeiten, kam es zur kulturellen Verfestigung rivalisierender Geschichtsbilder – ein Konfliktpotenzial, das latent die noch kaum stabilen Zivilgesellschaften bedroht. Nicht zuletzt leidet darunter der praktische Umgang mit den Hinterlassenschaften der umstrittenen Periode. Wie geht man nicht nur mit Büchern, Filmen, Theaterstücken um, sondern fast noch wichtiger: wie mit den Städten, den Häusern und – immer wieder für Schlagzeilen tauglich – mit den Denkmälern? Bewahren und pflegen? Oder abräumen und vergessen?
Zeit: Donnerstag, 10.11.2016, 19 Uhr
Veranstaltungsort: Alte Nikolaischule, Nikolaikrichhof 2, 04109 Leipzig
Abendvortrag im Rahmen der Konferenz:
„Denkmalschutz im Baltikum – Probleme, Potentiale, politische Bedeutung“.
Gemeinsame Tagung des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO) und der Böckler-Mare-Balticum-Stiftung [= Homburger Gespräch 2016]
Das vollständige Konferenzprogramm der zum Herunterladen findet sich hier: http://www.boeckler-mare-balticum-stiftung.de/media/doc/20161018_Programm_HBG_2016.pdf
In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei
Keine Kommentare bisher