Fast 40 Jahre überwachten, verfolgten und unterdrückten die Mitarbeiter der Leipziger Stasi-Zentrale die Bewohner der Stadt. Am 4. Dezember 1989 konnte deren Tätigkeit mit der Besetzung der Bezirksverwaltung gestoppt werden. Damit war eine zentrale Stütze der SED-Diktatur demontiert und ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einem demokratischen Rechtsstaat gegangen.
Nicht nur über den weiteren Umgang mit der Stasi und den Prozess der Aufarbeitung, sondern auch über die Zukunft des Areals der ehemaligen Stasi-Zentrale wird nach wie vor emotional debattiert. Am 4. Dezember 2022 erinnert das Leipziger Bürgerkomitee an die Besetzung der Leipziger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit vor 33 Jahren und betont die Bedeutung der steinernen Zeugen für die Vermittlung der SED-Diktatur. In dem stündlich stattfindenden Geländerundgang „Stasi intern“ erleben die Besucher eine Vielzahl noch original erhaltener Räumlichkeiten und Gebäude, die sonst nicht zugänglich sind.
Die Friedliche Revolution im Herbst 1989 in Leipzig
Wochenlang war die „Runde Ecke“ ein wichtiger Kristallisationspunkt der Leipziger Montagsdemonstrationen. Noch im September war die erste Demonstration unter der damaligen Fußgängerbrücke am Brühl umgekehrt und so der befürchteten Konfrontation mit der Stasi ausgewichen. Später, von Montag zu Montag mutiger geworden, artikulierten sie gerade vor der abgeschotteten und angsteinflößenden Bezirksverwaltung am Dittrichring ihre Forderung nach Abschaffung des „Schild und Schwert“ der SED-Diktatur.
Der Zorn der Menschen war so groß, dass hier immer wieder die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation bestand. Um den weiteren gewaltlosen Verlauf der Proteste zu sichern, verhandelten am Nachmittag des 4. Dezember 1989 Vertreter der neuen demokratischen Gruppierungen mit dem Leipziger Stasi-Obristen über eine Kontrolle des Stasi-Gebäudes. Als Ergebnis dieser Verhandlung gelang es am Abend einer Gruppe von 30 Bürgern, das gesamte Areal zu besichtigen und die seit Tagen auf Hochtouren laufende Aktenvernichtung zu stoppen.
Eine der wesentlichen Forderungen der vorhergegangenen Wochen war nun in die Tat umgesetzt: die Macht der verhassten Staatssicherheit wurde endgültig gebrochen. Die Berichte der Journalisten, die die Demonstranten in das Gebäude begleitet hatten, gingen an diesem Abend um die ganze Welt. Millionen Zuschauer sahen die abgedunkelten Gänge, verschlossenen Türen und die Verunsicherung der einst Mächtigen, die kaum fähig waren, das auch für sie Unfassbare zu verstehen. Draußen vor den Toren standen die Leipziger Bürger und feierten singend ihren friedlichen Triumph: „So ein Tag, so wunderschön wie heute, …“
Das sich in dieser Nacht bildende Bürgerkomitee setzte nicht nur den sofortigen Stopp der seit Wochen laufenden Aktenvernichtung durch und sicherte alle vorgefundenen Unterlagen und Objekte. In den kommenden Wochen machte es die Arbeitsweise der kommunistischen Geheimpolizei transparent.
Damit begann die unumkehrbare Demontage des Unterdrückungsapparates, der jahrzehntelang die eigene Bevölkerung im Auftrag der SED überwacht, eingeschüchtert und seiner äußeren und inneren Freiheit beraubt hatte. Die weitblickende Forderung damaliger Demonstranten „Runde Ecke Schreckenshaus – Wann wird ein Museum draus?“ ist inzwischen seit mehr als drei Jahrzehnten am authentischen Ort Wirklichkeit.
Zum Umgang mit einem unbequemen Ort mitten in der Stadt
Dieser authentische Ort ist es, der Besucher Leipzigs aus aller Welt anzieht. Noch ist der gesamte Stasi-Komplex auf dem früheren Matthäikirchhof wie eine „Zwingburg der SED-Diktatur“ mitten in der Stadt erlebbar. Der Gesamtkomplex stellt in seiner Ambivalenz ein wichtiges architektonisches Zeitzeugnis für Diktatur, Revolution und Demokratie im 20. Jahrhundert dar: vom Verwaltungsneubau der Leipziger Feuerversicherungsanstalt 1913, über die Zerstörung der Matthäikirche und des gesamten angrenzenden Areals in der Bombennacht vom 4. Dezember 1943, der Nutzung der „Runden Ecke” nach dem Ende der NS-Diktatur unter amerikanischer und sowjetischer Besatzung sowie schließlich als Sitz der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bis zur Besetzung während der Friedlichen Revolution am 4. Dezember 1989 und der nachfolgenden Auflösung.
Der einst einschüchternde Ort der Diktatur in bester Citylage soll nun zu einem „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“. weiterentwickelt und ein Zentrum lebendiger Demokratie und des Austauschs von Generationen zu Zeitgeschichte, Gegenwart und Zukunft werden. Leipzig hat sich darüber hinaus für das Zukunftszentrum „Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ beworben, dass auf diesem Areal ideale Rahmenbedingungen vorfände, denn Zukunft braucht Erinnerung und Erinnerung braucht Erinnerungsorte.
Die Debatte um die Zukunft der architektonischen Zeitzeugnisse beschäftigt mittlerweile die Stadt und viele Institutionen, die sich mit der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit schon seit vielen Jahren beschäftigen: Wieviel historische Substanz ist zur Wahrung eines solchen Geschichtsortes notwendig? Muss sich zum Beispiel auch der Denkmalschutz für die unangenehmen Spuren einer Stadtepoche engagieren?
Die Zukunft des Areals ist ungewiss: Erhalt, Abriss oder Teilabriss für die ins Auge fallenden Stasi-Bauten stehen zur Debatte.
In dieser noch ergebnisoffenen Diskussion will das Bürgerkomitee mit den Geländerundgängen Besuchern die Möglichkeit der Orientierung vor Ort geben. Worum geht es eigentlich in der Diskussion? Sollten alle Spuren der DDR-Diktatur beseitigt werden oder braucht es am Ende doch Erinnerungshilfen in Form von diesen Gebäuden? Der fast totale Abriss der Berliner Mauer wird heute als ein durchaus schwerwiegender und nicht rückgängig zu machender Fehler gesehen.
Auch viele andere Gedenkstätten kranken daran, dass die originalen Räume ihrer ursprünglichen Einbindung und damit ihres Funktionskontextes beraubt wurden. Dieser Fehler sollte in Leipzig aus dem Abstand von über 30 Jahren nicht wiederholt werden.
Rundgänge „Stasi intern“ jeweils 10.30 Uhr, 11.30 Uhr, 12.30 Uhr und 13.30 Uhr
Die Besucher können am 4. Dezember 2022 sonst nicht zugängliche, aber original erhaltene Räume im Komplex der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung besichtigen. Der Rundgang zeigt auch die Bedeutung der noch erhaltenen Räumlichkeiten für die Vermittlung der Geschichte von Unterdrückung und Unrecht in der DDR. Besichtigt werden unter anderem die verbunkerten Schutzräume im zweiten Kellergeschoss, der Wartebereich der Stasi-eigenen Poliklinik oder die Kegelbahn des MfS im Saalbau. Auch die beiden Garagen im Innenhof, in denen die Stasi bis zum Nachmittag des 4. Dezember 1989 Akten mit der großen „Kollermaschine“ vernichtete, können entdeckt werden.
Treffpunkt: Eingangsbereich der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, Dittrichring 24, 04109 Leipzig
Open-Air-Ausstellung „Von der Burg zur Stasi-Zentrale – Erinnerungen an den Matthäikirchhof“
Am Ende des Rundganges bekommen die Besucher auch einen Einblick in die Open-Air-Ausstellung „Von der Burg zur Stasi-Zentrale – Erinnerungen an den Leipziger Matthäikirchhof“, die die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke” im Rahmen der Diskussion um die Zukunft des Areals der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung auf dem früheren Matthäikirchhof präsentiert. Auf dem Hintergrund der mehr als 1000-jährigen Stadtgeschichte Leipzigs, die hier mit der „urbe libzi“ ihren Ursprung nahm, steht vor allem die Entwicklung seit Anfang des letzten Jahrhunderts im Mittelpunkt.
Vom Verwaltungsneubau der Leipziger Feuerversicherungsanstalt 1913, über die Zerstörung der Matthäikirche und des gesamten angrenzenden Areals in der Bombennacht vom 4. Dezember 1943, der Nutzung der „Runden Ecke” nach dem Ende der NS-Diktatur unter amerikanischer und sowjetischer Besatzung sowie schließlich als Sitz der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) bis zur Besetzung während der Friedlichen Revolution am 4. Dezember 1989 und der nachfolgenden Auflösung wird die wechselvolle Geschichte dieses Areals bis in die Gegenwart erzählt.
MDR-Dokumentarfilm „Die Leipziger Stasi-Zentrale – DDR-Relikt in bester City-Lage“ im ehemaligen Stasi-Kinosaal
Im Anschluss an die Führung wird im ehemaligen Stasi-Kinosaal der MDR-Dokumentarfilm „Die Leipziger Stasi-Zentrale – DDR-Relikt in bester City-Lage“ gezeigt, der mit Unterstützung der Gedenkstätte und deren Mitarbeitern entstanden ist und als eine Annäherung auf die derzeitige Problematik des richtigen oder falschen Umganges mit einem historischen Ort verstanden werden kann.
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