Der 9. Januar 2022 wird wohl eine tiefe Narbe bei den Hockey-Frauen des ATV Leipzig hinterlassen. Nach 15 Jahren ununterbrochener Zugehörigkeit zur Hallenhockey-Bundesliga, wurde an diesem Tag der Abstieg endgültig besiegelt. Die Leipziger Zeitung (LZ) hat mit Trainer Christian Hufnagl gesprochen, der auf die denkwürdige Saison zurückblickt und eine handfeste Kampfansage in den Raum stellt.
Christian Hufnagl, seit dem bitteren Abstieg aus der Hallenhockey-Bundesliga sind jetzt zwei Wochen vergangen. Wie geht es Ihnen als Trainer inzwischen damit?Mir geht es mit dem Abstieg nicht so gut, der ist immer noch sehr ernüchternd für mich. Denn wenn man alle Mannschaften noch einmal Revue passieren lässt, war es einfach unnötig. Es ist nicht die schlechteste Mannschaft abgestiegen. Im Endeffekt haben wir aber zu wenige Tore geschossen und auch den Matchplan nicht immer komplett durchgezogen. Deshalb bin ich ganz froh darüber, dass wir jetzt erst mal drei Wochen nichts mit dem Schläger machen und alle damit abschließen können. Aber nach 15 Jahren Bundesliga ist das eben gar nicht so leicht, nun runtergehen zu müssen.
Gehen wir gedanklich noch einmal ganz zum Anfang. Wie bewerten Sie die Saisonvorbereitung, und wie zufrieden waren Sie mit dem zur Verfügung stehenden Kader?
Mein Kader war eigentlich ganz gut besetzt, ich war zufrieden damit. Mit Elisabeth Kirschbaum stand zwar eine erfahrene Spielerin in der Hallensaison wegen einer Verletzung an der Ferse nicht zur Verfügung, dafür haben wir aber Stella Schniewind aus Wien zurückbekommen.
Wir hatten eine gute Vorbereitung absolviert, die allerdings sehr kurz war, weil wir bis zum 31. Oktober noch Feldsaison gespielt hatten. Dadurch standen uns nur acht Trainingseinheiten zur Verfügung. Leider musste mit dem Messecup dann unser wichtigstes Vorbereitungsturnier aufgrund der Corona-Bestimmungen abgesagt werden. Das war eine Woche vor Ligabeginn. Wenn man kurz vor der Saison die Abläufe nicht noch mal in einem Turnier üben kann, wird es natürlich schwer. Da war schon zu befürchten, dass sich das auf die Saison niederschlagen könnte.
Dafür war der Saisonstart doch eigentlich ganz gut gelungen?
Wir sind gegen Osternienburg (9:5) gut in die Hallensaison gestartet – vielleicht sogar ein bisschen zu gut, denn danach haben wir nichts mehr holen können, sondern sind in jedem Spiel nur noch hinterhergelaufen. Dabei haben wir gegen die Zehlendorfer Wespen, gegen die wir im Jahr zuvor keine Chance hatten, gut ausgesehen und haben auch gegen den Berliner HC gut mitgespielt. Das waren aber Spiele, bei denen wir gar nicht eingeplant hatten, zu punkten. Und in den Spielen, in denen wir Punkte eingeplant hatten, haben wir einfach versagt, mit Ausnahme des ersten Spiels.
An sich haben es die jungen Mädels aber gut gemacht, nur wir waren vor dem Tor nicht effizient genug. Das war schon in der Saison davor so, wo wir gerade so die Klasse gehalten haben. Wir sind keine Mannschaft, die im Spiel hundert Chancen hat – wir haben vielleicht zwanzig, müssen daraus aber mehr machen als drei, vier Tore. So wie am ersten Spieltag, da haben wir so gut wie jede Chance reingemacht.
Und dann läuft es eben. Du kommst in den Flow, denkst nicht darüber nach, sondern machst einfach das Beste daraus. Aber wenn du viermal vorm Tor stehst und ihn nicht reinmachst, denkst du plötzlich darüber nach. Und wenn du nachdenkst, hast du verloren. Vor dem Tor musst du den Kopf ausschalten und einfach „deine Aufgabe erfüllen“.
Also war der Abstieg auch eine Kopfsache?
Wir haben eine junge Truppe, von denen viele noch nie Bundesliga gespielt hatten. Die „zerdenken“ alles im Kopf: „Wenn ich den Ball jetzt bekomme, was dann? Was passiert, wenn ich ihn nicht reinmache?“ Dadurch gehen sie schon zu negativ an die Sache ran. Osternienburg zum Beispiel, macht sich da keine Platte. Die stehen vor dem Tor und schießen einfach drauf. Manchmal treffen sie, und wenn nicht, schießen sie den nächsten wieder aufs Tor. Irgendwann wird das dann funktionieren. So sind wir halt nicht. Wenn es für uns läuft, sind wir richtig gefährlich. Wenn es aber nicht läuft, müssen wir uns alles hart erarbeiten und scheitern dabei manchmal.
Wir machen einfach zu viele kleine Fehler, die sich zu einem großen Fehler summieren. Daraus entstehen Gegentore, und dann ist es wie ein Strudel, aus dem du nicht mehr rauskommst. Wir sind nicht am letzten Spieltag gegen den Berliner HC aus der Liga abgestiegen, sondern wir sind die Spiele davor abgestiegen, weil wir in diesem Teufelskreislauf waren, dass unsere kleinen Fehler immer wieder bestraft wurden. Dann lagen wir mit zwei, drei Toren hinten und rannten hinterher.
Dann kamen wir wieder ran, verschliefen dann aber fünf Minuten und waren wieder mit drei Toren hinten. Das steckst du einfach nicht weg. Du brichst diesen Teufelskreis nur, wenn du aus so einem „dreckigen“ Spiel wie gegen Mariendorf oder Osternienburg mal einen Punkt mitnimmst oder gewinnst. Wenn es aber in jedem Spiel immer wieder nach demselben Schema abläuft, haben die Mädels im Kopf einfach ein Problem.
Mit welchen Mitteln haben Sie versucht, Ihren Spielerinnen diesen Druck zu nehmen, um den Kopf freizubekommen?
Das ist schwierig. Ich selbst habe keinen Druck aufgebaut. Wir haben viele, viele Torschüsse trainiert, haben versucht, Routine hineinzubringen, haben da viel investiert. Ich kann den Mädels keinen Vorwurf machen, denn für diesen Amateursport haben sie richtig gut und viel trainiert. Aber man kann aus einer unerfahrenen Spielerin nun mal keinen Goalgetter machen. Man muss das ein bisschen in die Wiege gelegt bekommen haben. Beim Fußball ist es ja genauso, entweder ist man ein Knipser vor dem Tor, oder man ist es eben nicht.
Mir selber ist es ja als Spieler genauso gegangen. Als ich jünger war, war ich auch nicht der Beste vor dem Tor. Aber mit den paar Jahren Erfahrung, die ich inzwischen habe, treffe ich auch öfter mal aus Situationen, in denen ich als Nachwuchsspieler noch gescheitert bin. Das muss man sich erarbeiten, muss einfach dranbleiben und darf den Kopf nicht hängenlassen. Das versuche ich allen Spielerinnen mitzugeben. Und ich versuche ihnen in Vier-Augen-Gesprächen auch mitzugeben, dass sie sich keinen Druck machen brauchen.
Der Knackpunkt in Sachen Abstieg war sicherlich die Niederlage im letzten Heimspiel gegen den Mariendorfer HC. Dort hätte ein Unentschieden gereicht, um den letzten Platz zu verlassen – aber es kam anders. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Partie?
Das Spiel gegen Mariendorf war bezeichnend für unsere ganze Saison. Wir haben 2:0 geführt und hatten das Spiel im Griff. Es war überhaupt nichts passiert, Mariendorf hatte keine guten Chancen. Doch dann haben die eine Ecke, die wird zum Siebenmeter, daraus wird das 2:1. Mit diesem Gegentor sind wir acht Minuten lang mental eingebrochen. In diesen acht Minuten machen die zwei weitere Tore, und es steht 2:3 gegen uns. Dann nehmen wir den Torwart raus, machen einen Fehler – 2:4. Damit war das Spiel entschieden. Das sind Sachen, die dürfen so einfach nicht passieren, wenn man 1. Liga spielen will. Wir waren im Kopf wieder nicht frisch genug.
Hinterher waren natürlich alle niedergeschlagen, und auch ich hätte heulen können. Aber ich wäre ein schlechter Trainer, wenn ich gesagt hätte: „Das war’s, wir sind abgestiegen!“. Wir hatten am nächsten Tag ja noch ein Spiel beim Berliner HC. Aber gerade gegen den BHC das entscheidende Spiel haben zu müssen, ist natürlich so eine Sache, denn eigentlich ist das in dieser Liga ein unschlagbares Team. So war es dann auch. Wir haben etwa drei Viertel lang gut mitgespielt und hatten sogar die Chance zum 2:2, schießen die Ecke aber knapp am oberen Winkel vorbei. Das hat dann wieder zu einem Einbruch geführt, und so hat uns der BHC noch richtig auseinandergenommen (1:9).
Nach 15 Jahren in der 1. Liga geht es in der nächsten Saison nun erst einmal in die neu entstehende 2. Bundesliga. Das soll für den ATV aber vermutlich nur ein kurzer Zwischenstopp sein?
Ich habe den Mädels noch in der Kabine gesagt, dass wir aus dieser Situation viel stärker wieder herauskommen müssen. Es ist natürlich hart gewesen, und wir müssen das erst mal verdauen, aber es darf uns nicht schwächen. Für die nächste Hallensaison gilt daher nur eins: Die anderen dafür bluten lassen, dass wir Schmerz erleben mussten. Alle in der Liga müssen geplättet werden, damit wir wieder aufsteigen. Das muss unser ganz klares Ziel sein, darauf müssen wir uns in der Halle zu 100 Prozent konzentrieren, denn die Ära von 15 Jahren soll wieder neu aufgebaut werden.
Wenn der Verein mir weiterhin vertraut, bleibe ich Trainer und arbeite mit den Mädels weiter. Denn ich will mit ihnen in die Liga zurück, wo wir hingehören. Die Chemie mit den Mädels passt mittlerweile richtig gut. Es macht mir immer noch Spaß und ich bin voll dabei. Für mich gibt es kein Aufgeben, für mich gibt es nur weiter nach vorne. Abstiege sind zwar hart, aber dafür sind die Aufstiege danach um so geiler!
„ATV-Trainer Christian Hufnagl im Interview: Abstiege sind hart, aber die Aufstiege danach um so geiler!“ erschien erstmals am 28. Januar 2022 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 98 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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