Ganz gewiss hat Kati Brenner schon ruhiger geschlafen. Denn am Vortag musste die Geschäftsführerin des Organisationskomitees (OK) die Entscheidung mittragen, dass „ihre“ Multisport-Veranstaltung Turnen21 endgültig abgesagt wird. Eine unruhige Nacht später stand sie der Leipziger Zeitung (LZ) im Telefoninterview dennoch Rede und Antwort. „Es ist immer noch schwer fassbar, dass es drei Wochen vor der Veranstaltung jetzt zur Absage gekommen ist“, machte die einstige aktive Turnerin keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung.
Denn nun steht unwiderruflich fest, dass es vom 13. bis 16. Mai kein Turnspektakel in Leipzig geben wird. Das ist gleich doppelt bitter. Denn ursprünglich war für diesen Zeitraum das große Turnfest geplant, bei dem um die 80.000 Athlet/-innen aus Deutschland und der Welt in Aktion getreten wären. Mit Blick auf die dynamische Entwicklung des Pandemie-Geschehens wurde dieses Highlight im deutschen Sportkalender bereits im Oktober 2020 abgesagt.
Zu diesem Zeitpunkt hatten OK-Chefin Kati Brenner und ihr Team bereits über zwei Jahre auf dieses Ereignis hingearbeitet – und schließlich nach einer Alternative gesucht. Diese wurde in der Multisport-Veranstaltung Turnen21 gefunden, einer extrem „abgespeckten“ Variante des Turnfestes.
Dabei waren auf dem Leipziger Messegelände fünf Deutsche Meisterschaften vorgesehen: Aerobicturnen, Rhythmische Sportgymnastik, Rope Skipping, Trampolinturnen und Gerätturnen. Letztere hätte eine besondere Gewichtung noch dadurch erfahren, dass der Wettkampf gleichzeitig auch als erste Olympiaqualifikation vorgesehen war.
„Wir hätten die Wettkämpfe in zwei Messehallen durchgeführt“, erklärt Brenner. „Diese waren in jeweils zwei Abschnitte unterteilt, sodass jede Meisterschaft in einem Abschnitt gut isoliert hätte stattfinden können – ohne Zuschauer/-innen. Das war der letzte Stand der Dinge, darauf haben wir unsere Vorbereitungen ausgerichtet. Auf Basis eines Hygieneleitfadens für die gesamte Veranstaltung haben wir mit unseren Schutz- und Hygienekonzepten jede einzelne Meisterschaft für sich betrachtet.
Die Mitarbeitenden beim Deutschen Turner-Bund in Frankfurt und wir im OK haben mit Hochdruck an der Planung und Durchführbarkeit gearbeitet, haben unter anderem Testzentren vorbereitet, damit wir täglich Schnelltests durchführen können. Wir waren davon überzeugt, dass es geht. Die letzten Tage haben in der Dynamik aber eine andere Erkenntnis wachsen lassen.“
Die Situation spitzt sich zu
Besonders bitter ist diese Entscheidung für die Sportler/-innen, die endlich mal wieder ein Ziel vor Augen glaubten. „Der Spitzensport – die Nachwuchskader-Athlet/-innen und der Erwachsenenbereich – hätte nach anderthalb Jahren endlich wieder einen nationalen Wettkampf gehabt, denn im letzten Jahr waren ganz viele Meisterschaften ausgefallen“, so Brenner.
„Daher war es die Grundidee, den Athlet/-innen diese Meisterschaft zu ermöglichen, zumal wir ja auch über kontaktlosen Sport reden. Parallel dazu war ein umfangreiches Streaming geplant, sodass möglichst viele Menschen diese Meisterschaften hätten verfolgen können. Wir waren guter Hoffnung – bis zur letzten Woche …“
Wie diese verlief, fasst die OK-Geschäftsführerin wie folgt zusammen: „Wir haben die aktuelle Lage immer im Blick gehabt. Wie vereinbart fanden auch immer wieder Gespräche mit unseren Zuwendungsgeber/-innen statt, unter anderem am letzten Dienstag (20. April / d. Red.). Dort spitzte sich die Situation bereits zu. Wir haben geschaut, wie ist die Lage und was wird von uns im Hinblick auf die neuen Verordnungen des Freistaates Sachsen und des Bundesinfektionsschutzgesetzes erwartet.
Dann wurde noch einmal genau auf das Format der Multisport-Veranstaltung geschaut und eingeschätzt, dass die Aussicht, es in dieser Form und Größenordnung tatsächlich durchführen zu können, vorerst nicht gegeben sein wird. Wir hatten noch mit der Stadt Leipzig über die Idee einer Beantragung als Modellprojekt gesprochen. Aber momentan sieht es so aus, als wenn der Freistaat die bereits laufenden Modellprojekte beenden wird und andere Modellprojekte zeitnah nicht an den Start gehen können. Das war dann der letzte Punkt, an dem klar war, dass es nicht weitergeht.“
Zur Erklärung: Modellprojekte müssen Erkenntnisse erwarten lassen, die für die landesweite Bekämpfung der Corona-Pandemie von Bedeutung sind – und sie müssen zudem wissenschaftlich begleitet werden. „Die Schwierigkeit lag für den Deutschen Turner-Bund (DTB) vor allem darin, eine wissenschaftliche Betreuung in der Kürze der Zeit zu finden“, erläuterte DTB-Präsident Dr. Alfons Hölzl in der offiziellen Pressemitteilung am 22. April zur Absage der Veranstaltung Turnen21.
Eine Absage, die Emotionen freisetzt
Auch seitens des Verbandes sah der Präsident alle Möglichkeiten ausgeschöpft. „Die Entscheidung zur Absage von Turnen21 war aufgrund der vielen, sich eher negativ statt positiv entwickelnden Faktoren unausweichlich. Es tut mir als Sportler sehr weh, dass nach dem Turnfest auch diese kleinere Veranstaltung trotz eines sehr ausgefeilten und aufwendigen Hygienekonzeptes aktuell nicht umsetzbar sein soll.“ Gleichzeitig betont Hölzl die gute Zusammenarbeit mit der Stadt Leipzig.
„Auf beiden Seiten, DTB und Stadt, ist sehr viel geleistet worden, um diese Veranstaltung im Sinne des Sports für Spitzenathlet/-innen in Leipzig durchzuführen. 626 Athlet/-innen aus 223 Vereinen Deutschlands haben sich im Training mit Unterstützung ihrer Trainer/-innen auf die Meisterschaften vorbereitet und in den Bundesländern qualifiziert. Ihnen allen und den vielen Ehrenamtlichen, die über Monate mitgewirkt haben, gebührt unser Respekt. Die Rahmenbedingungen konnten weder die Stadt Leipzig noch der DTB beeinflussen.“
Seit März hatten sich die (Kader-)Athlet/-innen für die Meisterschaften in Leipzig anmelden können. „Die Meldung war abgeschlossen, was auch als Signal nach außen wirkte, dass wir davon überzeugt waren, diese Veranstaltungen tatsächlich durchzuführen“, blickt Kati Brenner zurück.
„Aber die allgemeinen und die zuletzt beschlossenen Regularien haben uns nun einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ Die Absage setzt verständlicherweise Emotionen frei, was auch den Reaktionen der Sportler/-innen anzumerken ist.
„Viele Athlet/-innen haben uns dokumentiert, dass sie sehr traurig sind, dass es nicht zu dieser Meisterschaft im Mai hier in Leipzig kommen kann. Sie haben sich beim Team dafür bedankt, dass wir versucht haben, es möglich zu machen. Bei sehr vielen überwiegt natürlich momentan die Enttäuschung. Denn sie hatten endlich wieder ein Ziel vor Augen, das nun erst mal in weite Ferne gerückt ist. Es ist aktuell noch nicht geklärt, wie es weitergeht, wann wieder nationale Wettkämpfe möglich sind. Man fängt jetzt wieder von vorne an.“
Der Blick nach vorn
Einzig für die Gerätturner/-innen funkelt ein Hoffnungsstreif am Horizont. Kurzfristig ist es den Organisator/-innen gelungen, die eigentlich für Leipzig geplante Olympiaqualifikation der Männer und Frauen im Mehrkampf in die Finals 2021 zu integrieren, die vom 3. bis 6. Juni in Berlin und Nordrhein-Westfalen über die Bühne gehen sollen. Für alle anderen muss der Blick noch ein bisschen weiter nach vorn gerichtet werden. Denn immerhin – und das ist die gute Nachricht – wird Leipzig in vier Jahren doch noch sein Turnfest bekommen.
„Die Aussagen stehen, der Stadtratsbeschluss dazu steht auch. Und auch der Deutsche Turner-Bund hat sich in seinen Entscheidungsgremien dafür ausgesprochen, dass zu Christi Himmelfahrt 2025 das nächste Turnfest wieder in Leipzig stattfindet. Das wird dann vom 28. Mai bis zum 1. Juni 2025 sein“, blickt Brenner voraus. „Das ist neben der jetzigen großen Enttäuschung das Ziel, worauf ab dem nächsten Jahr hingearbeitet wird, um hoffentlich wieder eine Veranstaltung mit 80.000 Teilnehmenden organisieren zu dürfen.“
Doch erst mal heißt es durchzuhalten und die sportliche Motivation zu wahren. „Wir können nur hoffen, dass die Athlet/-innen in den Vereinen nicht müde werden, weiterhin zu trainieren und die Hoffnung nicht aufzugeben, dass wir schnell wieder ins Wettkampfgeschehen einsteigen können“, sagt Kati Brenner.
„Wir hätten es begrüßt, wenn wir mit Turnen21 ein Zeichen dafür hätten setzen können, dass auch Indoor-Sportveranstaltungen für den organisierten Sport wichtig sind. Aber der Sport ist ja geübt darin, dass man nicht immer Sieger sein kann.“
In der LZ zum Thema bereits erschienen:
„Wir sind gerade dabei, etwas Einzigartiges auf die Beine zu stellen.“, LZ 80 vom 26.06.2020 und „Da blutet einem das Herz.“, LZ 85 vom 20.11.2020
Mehr Informationen:
www.turnen21.de
„Nach dem Turnfest lässt Corona nun auch Turnen21 platzen: Es ist immer noch schwer fassbar.“ erschien erstmals am 30. April 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 90 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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