Als die erste Wasserwanderkarte von Pro Leipzig vor 20 Jahren erschien, war im Gewässerknoten Leipzig vieles noch Vision und das wassertaugliche Teil kostete 9,80 DM. Es gab weder die A 38 im Leipziger Südraum, noch war der Cospudener See zum Baden freigegeben. Und am Floßgraben vermerkte die Karte: „Unbefahrbar (Verlandung und aufsteigende Faulgase).“ Aber die Karte war ein Vorbote. Denn die innerstädtischen Gewässer waren schon zum Leben erwacht.

Und die Höhepunkte, die damals bei Wassersportfreunden wirklich Begeisterung auslösten, waren der aufwendig sanierte Karl-Heine-Kanal und die vielen neuen Anlegestege, die gerade an der Weißen Elster entstanden – meist mit direktem Restaurant-Anschluss. Das darf man nicht vergessen, wenn man die heutige Ernüchterung mit der damaligen Begeisterung über das wieder erlebbare Bootsvergnügen auf dem Wasser vergleicht. Man gewöhnt sich ja ziemlich schnell daran, selbst wenn diese Eroberung der Leipziger Gewässer eine jahrzehntelange Tristesse beendete, in der die Flüsse vor sich hinstanken und zum Bootserlebnis garantiert nicht einluden.Und Pläne gab es ja allerhand. Die alte Wasserwanderwanderkarte erzählt davon. Und ihr Ausschnitt war auch deutlich kleiner gewählt als jetzt in der völlig neu gestalteten Wasserwanderkarte, die erstmals auch sichtbar macht, wie das System der wieder geöffneten Leipziger Mühlgräben einmal aussehen wird – und auch mit Booten befahrbar sein wird. Auch wenn ursprünglich durchaus mal die Vision im Raum stand, dass die Mühlgräben bis 2020 wieder geöffnet sein könnten.

Aber die Teilstücke verschieben sich immer wieder und haben sich teilweise in den Kosten deutlich verteuert. Und ob die Alte Elster am Sportforum wieder geöffnet wird, die ebenso als geplantes Gewässer in die Karte eingemalt ist, darf bezweifelt werden. Sie macht weder im Hochwasserschutz der Stadt Leipzig einen Sinn, noch ordnet sie sich in irgendeiner Weise in die Revitalisierung der Nordwestaue ein. Hier muss Leipzigs Stadtrat in den nächsten drei Jahren den Mut haben, dieses „wassertouristisch“ gedachte Projekt endgültig von der Agenda zu nehmen.

Paddeln auf der Weißen Elster. Foto: Ralf Julke
Paddeln auf der Weißen Elster. Foto: Ralf Julke

Denn auch andere einstige Vorzeigeprojekte aus der Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland haben sich mittlerweile als undurchdacht und eigentlich unbezahlbar erwiesen. Das wird ja aktuell an der Kanuparkschleuse zwischen Störmthaler See und Markkleeberger See (die vor 20 Jahren beide noch nicht zur Verfügung standen) sichtbar. Man hat die Folgen des Grundwasserwiederanstiegs im alten Kohlerevier eben doch nicht wirklich komplett vorhersehen können. Genauso wenig die Notwendigkeit, auch den Zwenkauer See vor einem unkontrollierten Durchbruch zum Cospudener See zu schützen, was zu explodierenden Kosten am Harthkanal führt.

Immer deutlicher wird, dass diese Großbauwerke eigentlich nicht gebraucht werden, um die Leipziger Gewässerlandschaft erlebbar zu machen. Kanuten brauchen keine Schleusen und Kanäle. Sie tragen ihre Boote einfach um, wenn komplizierte Stellen kommen. Und sie dürfen auch dort die Gewässer befahren, wo es für Motorboote schlicht aus Naturschutzgründen verboten ist.

Die neue Wasserwanderkarte zeigt also wieder mit genauen Hinweisen auf Gefahrenstellen, Untiefen und Umtragemöglichkeiten, wo überall man im Leipziger Gewässerknoten Paddelboot fahren kann. Und natürlich sind auch alle neuen Gewässerabschnitte auf der Karte, die es vor 20 Jahren noch nicht gab.

Etwa das neue Teilstück des Karl-Heine-Kanals bis zum Lindenauer Hafen und die Route zum Cospudener See. Und es gibt auch die nötigen naturschutzfachlichen Hinweise, die man beim Wasserwandern beachten muss. Denn dieses Freizeitvergnügen macht ja nur Spaß, wenn man auch nachfolgenden Paddlern intakte und nichtverschmutzte Gewässer und Landschaften hinterlässt.

Einige der Projekte im Neuseenland sind noch eingezeichnet, als würden sie in den nächsten Jahren eine reale Chance auf Umsetzung haben. Doch auch Pro Leipzig hat ja 2018 den Runden Tisch des Grünen Rings zur Fortschreibung des Wassertouristischen Nutzungskonzepts (WTNK) verlassen.

Das WTNK liegt seitdem auf Eis und kann nicht fortgeschrieben werden, denn mit dem Beharren auf technischen Großprojekten, die massiv in Gewässerlandschaft und Wasserhaushalt eingreifen und einem wirklich sanften und naturnahen „Wassertourismus“ keinen Raum lassen, macht die Steuerungsgruppe Leipziger Neuseenland eine Kooperation mit den Naturschutzverbänden, die ja ebenfalls den Runden Tisch verließen, unmöglich.

Aber selbst die Bewohner des Neuseenlandes unterstützen mehrheitlich die Wünsche der Naturschutzverbände nach einem sanften „Wassertourismus“, also nach Nutzungen wie dem Paddeln auf Seen und Flüssen. Das ist aber auch ohne die millionenteuren Großbauwerke möglich. Die Kanäle und Schleusen werden tatsächlich nur gebraucht, um Motorbootkapitänen die Nutzung der Gewässerverbindungen zu ermöglichen, sind also für eine winzige Interessengruppe gedacht, die auch nicht wirklich größer wird, wenn man sich große Zahlen anreisender Motorbootbesitzer herbeiwünscht.

Doch während die Motorbootenthusiasten in Leipzigs Verwaltung den Ausbau des Elster-Saale-Kanals sogar in die Liste der Strukturprojekte geschrieben haben, die aus den Geldern für den Kohleausstieg bezahlt werden sollen, verzichtet die Wasserwanderkarte auf eine hypothetische Ausbaulinie für diesen Kanal, für den selbst die Verbindung mit dem Lindenauer Hafen noch aussteht.

Fortsetzung des Karl-Heine-Kanals zum Lindenauer Hafen. Foto: Marko Hofmann
Fortsetzung des Karl-Heine-Kanals zum Lindenauer Hafen. Foto: Marko Hofmann

Selbst im innerstädtischen Gewässerknoten werden Ausbauschritte immer wieder verschoben, weil sie in ihrer Dimension aktuell nicht finanzierbar sind. Die Liste führen derzeit der Elstermühlgraben zwischen Elsterstraße und Lessingstraße und der für Paddelboote ebenso nicht benötigte Stadthafen an, gefolgt vom Pleißemühlgraben am Goerdelerring und dem Pleißemühlgraben an der Lampestraße.

Aber der Blick auf die Karte zeigt schon, dass Paddelfreunde heute schon jede Menge Möglichkeiten haben, die Leipziger Gewässerwelt vom Boot aus zu erkunden.
In der Zusammenfassung von Pro Leipzig: „Die Karte zeigt die bewährten und neu hinzugekommenen vielfältigen Möglichkeiten und Attraktionen für Wasserwanderer auf den Flüssen und im Leipziger Neuseenland. Sie bietet auf der Basis einer detaillierten Stadtkarte (1 : 15.000) und einer übersichtlichen Umlandkarte (1 : 69.000) alle wichtigen Hinweise und Vorschriften für Freizeitkapitäne, dazu Ausblicke auf die Freilegung der Mühlgräben, die geplante Anlage des Stadthafens und die Entwicklung des Gewässerverbundes in der Region. Das Format beträgt 70 x 65 cm, gefaltet 11,5 x 21 cm. Die Karte ist auf reißfestem Material gedruckt und enthält auch Detailkarten von bestimmten Situationen, Serviceteile mit Standorten von Bootsverleihen, Personenschifffahrt und Wassersportvereinen.“

Wasserwanderkarte. Leipzig und Umgebung, Pro Leipzig, Leipzig 2021, 9 Euro.

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