Die Corona-Pandemie wirft in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens unzählige Fragen auf. Das macht sie zu einem wichtigen und interessanten Forschungsthema – auch im Leistungssport. Radprofi Romy Kasper (32) hat kürzlich ihr Masterstudium „Prävention und Gesundheitsmanagement“ erfolgreich abgeschlossen. In ihrer Masterarbeit im Schwerpunkt Sportpsychologie hat sie untersucht, ob es bestimmte Persönlichkeitsmerkmale gibt, die hilfreich dabei sind, möglichst gut durch die Krise zu steuern.
Die Olympiastarterin von Rio 2016 hat mit der Leipziger Zeitung (LZ) über ihre Forschungsergebnisse gesprochen:Romy, zu Beginn erst mal ein paar Fragen zu Ihrer aktuellen sportlichen Situation. Wie ist Ihre Rennsaison bisher angelaufen?
Zu Beginn wurden im Februar zwei Rennen in Spanien abgesagt, die nun auf Mai verschoben wurden. Ansonsten läuft im Moment alles recht normal. Die weiteren Rennen sind bei mir geplant durchgegangen.
Das waren für mich bisher acht Renntage. Am kommenden Wochenende fahre ich dann den Klassiker Gent-Wevelgem (28.03.), das Wochenende darauf den Klassiker Flandern-Rundfahrt (beide Belgien / 04.04.) und dann folgen noch Paris-Roubaix (Frankreich / 11.04.) und La Flèche Wallonne (Belgien / 21.04.). Es geht jetzt also Schlag auf Schlag.
Seit diesem Jahr fahren Sie für das niederländische Team Jumbo Visma, wie zufrieden sind Sie mit diesem Wechsel? Sind Sie gut im neuen Team angekommen?
Ja, definitiv! Es macht wirklich Spaß, ich fühle mich dort super aufgehoben und es läuft alles so, wie ich es mir vorgestellt habe. Bei Jumbo Visma sind das Frauen- und das Männerteam nicht getrennt, alle arbeiten Hand in Hand zusammen.
Es wird sich miteinander ausgetauscht, wir bekommen die Erfahrungen der Männer von den verschiedenen Rennen geteilt, da ja vor allem die Klassiker-Rennen ziemlich gleich sind. Das passt alles super, ich kann mich nicht beschweren und bereue den Wechsel überhaupt nicht.
Wie sehr steht für Sie aktuell eine eventuelle Olympia-Teilnahme in Tokio im Fokus?
Letztes Jahr hatte Olympia bei mir noch deutlicher im Fokus gestanden. Das hat sich nun etwas geändert, da mein Fokus jetzt mehr bei meinem Team liegt. Natürlich ist und bleibt Olympia mein Ziel, aber es wäre eher eine schöne Zugabe. Denn man weiß ja nicht mal richtig, ob und wie Olympia überhaupt stattfinden kann. Da kommen ja fast täglich irgendwelche Änderungen rein.
Ich glaube auch nicht, dass es mit all den Einschränkungen für mich das gleiche Erlebnis wäre wie Rio 2016. Damals konnte ich mir zum Beispiel mit weiteren Sportlern gemeinsam auch die anderen Wettkämpfe ansehen und einfach die Zeit dort genießen. Das wird diesmal definitiv nicht möglich sein.
Die Einschränkungen und Wettkampfabsagen, die 2020 durch Corona erforderlich waren, hatten für Sie persönlich im Hinblick auf Ihre Masterarbeit wahrscheinlich auch Vorteile, oder?
Ja, also Anfang Mai 2020 musste ich mein Thema für die Masterarbeit einreichen, hatte aber gefühlt Mitte April überhaupt noch keine Idee, worüber ich schreiben könnte. Dann kam Corona und ich dachte mir, warum nicht ein Thema zu Corona und Leistungssport aussuchen?
Damit nahm die ganze Geschichte ihren Lauf. Außerdem hatte ich dann ja plötzlich viel mehr Zeit für die Arbeit zur Verfügung als vorher eingeplant. Das war natürlich positiv für mich, so wurde es auch nicht eng mit den noch anstehenden Rennen zum Ende der Saison. Abgabetermin war Ende November, das hat alles gut geklappt.
Was genau haben Sie studiert und wie lautet das Thema Ihrer Masterarbeit?
Ich habe Prävention und Gesundheitsmanagement auf Master studiert, mit den Studienschwerpunkten Finanzen, Controlling und Sportpsychologie. Das war ein Fernstudium an der Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG). Meinen Master habe ich dann in Sportpsychologie gemacht.
Die Masterarbeit hat den Titel „Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Spitzensportler“ und umfasst 75 Seiten. Sie beinhaltet sportartübergreifende Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und der psychologischen Resilienz im Hinblick auf die Bewältigung der Krise als Stresssituation.
Wie war Ihre Herangehensweise an diese Thematik?
Zuerst einmal habe ich mich damit beschäftigt, wie die Themen Resilienz und Persönlichkeitsmerkmale miteinander zusammenhängen. Dann habe ich einen Online-Fragebogen entworfen, den ich beispielsweise über die Spitzenverbände, die Sportfördergruppe Bundeswehr oder die Sporthilfe an die Sportler gebracht habe. Mein Professor hatte gesagt, wenn du auf 150 Rückmeldungen kommst, hätte das schon eine gute Aussagekraft.
Deshalb habe ich gar nicht damit gerechnet, dass ich sogar beachtliche 750 Rückmeldungen bekomme! Darunter waren 400, die den Bogen wirklich komplett beantwortet haben. Man hat gemerkt, das ist ein Netzwerk unter Sportlern. Immerhin hat man sich für den Fragebogen bestimmt so etwa 15 Minuten Zeit nehmen müssen.
Insgesamt haben sich 47 Sportarten beteiligt. Dabei kamen aus dem Radsport mit 46 Sportlern, Rudern mit 29 Sportlern und Eishockey mit 27 Sportlern die meisten Rückmeldungen.
Wie sah dieser Fragebogen aus, und was wurde alles abgefragt?
Der Fragebogen bestand aus drei Teilen: Aus einem Fragebogen zu den Persönlichkeitsmerkmalen, das waren etwas über 30 Fragen, und einem Fragebogen zur Resilienz, mit zehn Fragen. Diese beiden waren bereits etablierte, wissenschaftlich festgeschriebene Fragebögen.
Dort musste auf Skalen von 0 bis 4 angegeben werden, wie sehr die jeweilige Frage oder Aussage zutrifft oder nicht. Der dritte Teil bestand dann aus rund zehn Fragen zu den Themen Leistungssport, Motivation, Angst vor Karriereende und ähnliches.
Es waren beispielsweise folgende Aussagen auf einer Skala zu bewerten: „Ich fühle mich zu jung, um mich aus dem Wettkampfsport zurückzuziehen“, „Ich fühle mich dank bisheriger Erfahrungen zunehmend erfolgreicher“, „Ich mache mir Sorgen, meinen Job aufgrund des Coronavirus zu verlieren“ oder „Die Verschiebung der Olympischen Spiele hat positive Auswirkungen auf mich“.
Welches waren schließlich die interessantesten Erkenntnisse, die Sie aus dieser Befragung ziehen konnten?
Die wichtigste Erkenntnis war, dass es durchaus Zusammenhänge zwischen der Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit, und den verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen gibt. Bis auf eine Dimension der Persönlichkeit, nämlich die Verträglichkeit, haben alle anderen einen Zusammenhang mit der Resilienz gehabt.
Es stellte sich heraus, dass ältere Sportler definitiv resilienter waren als jüngere. Das hat zum Beispiel damit zu tun, dass die älteren solche Dinge wie Verletzungspausen schon hinter sich hatten und wussten, wie sie damit umzugehen haben – im Gegensatz zu den jüngeren Sportlern, die jetzt wahrscheinlich ihren ersten Rückschlag der Karriere haben und gar nicht mehr wissen, wo hinten und vorne ist.
Im Hinblick auf das Geschlecht gab es hingegen keinen großen Unterschied in der Resilienz. Auch im Vergleich von Individual- zu Mannschaftssportlern gab es kaum Unterschiede. Das fand ich überraschend, da ich erwartet hätte, dass die Individualsportler eventuell einfacher durch die Krise kommen als die Mannschaftssportler, weil ja Mannschaften nicht zusammen trainieren konnten und abhängiger voneinander sind.
Einen großen Unterschied hat allerdings die Kaderzugehörigkeit ausgemacht. Man konnte klar sehen, dass Olympiakader und Perspektivkader, die auf Olympia hin trainiert haben und sich Chancen ausgerechnet haben, höhere Resilienzwerte hatten als die anderen Kader. Sie haben ja auch ganz andere Perspektiven und Trainingsmöglichkeiten und konnten mit Ausnahmegenehmigungen fast die ganze Zeit weitertrainieren – im Gegensatz zu beispielsweise Landeskadern oder Sportlern, die noch nicht so weit oben angekommen sind und gezwungen waren, eine Pause einzulegen.
Es gab auch einen Zusammenhang zwischen Resilienz und der Angst vor dem ungewollten Karriereende. Sportler, die eine höhere Resilienz hatten, hatten weniger Angst davor, dass die Karriere jetzt zu Ende sein könnte und sie ihren Job als Profisportler verlieren. Sportlern mit höherer Resilienz gelang es außerdem besser, eine höhere Motivation aufrechtzuerhalten und ihre sportlichen Ziele weiterzuverfolgen.
Unterm Strich kann man sagen, dass die Spitzensportler im Vergleich zu Nichtathleten eine höhere physische und psychische Resilienz hatten. Sie haben sich also größtenteils von der Krise nicht so sehr verunsichern lassen.
Welches waren bei den teilnehmenden Sportlern die Top-3-Persönlichkeitsmerkmale, die eine solche Widerstandsfähigkeit unterstützen?
Die größte Korrelation gab es im Bereich Neurotizismus. Wenn Neurotizismus, also die Neigung zu Angst und Nervosität, niedrig war, hatten die Sportler eine höhere Resilienz. Sie konnten dann mit Leistungsdruck und Stress im Wettkampf besser umgehen. Der zweitgrößte Zusammenhang bestand zwischen Resilienz und Gewissenhaftigkeit. Sportler, die gewissenhafter, organisierter und verantwortungsbewusster waren, hatten auch eine höhere Resilienz.
Und drittens waren extravertierte Sportler resilienter als die introvertierten. Sportler, die Dinge optimistischer angegangen sind und sich nicht so schnell ablenken ließen, waren resilienter. Mit Optimismus in die Zukunft zu schauen, trägt also viel dazu bei, gut durch die Krise zu kommen.
Insgesamt war zu erkennen, dass Sportler im Vergleich zu Nichtsportlern im Schnitt extravertierter und emotional stabiler sind und eine höhere Ausprägung bei der Gewissenhaftigkeit aufweisen, mit den zentralen Elemente Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Der einzige Punkt, der überraschend keinen großen Unterschied aufzeigte, war die Offenheit für Erfahrungen. Damit hätte ich nicht gerechnet.
Haben Sie den Fragebogen eigentlich auch mal für sich selbst ausgefüllt, und was kam dabei heraus?
Ja, ich habe für mich selbst den Fragebogen auch ausgefüllt. Alleine schon um herauszufinden, wie viel Zeit man dafür benötigt. Aber ausgewertet habe ich den Bogen ehrlich gesagt nicht. Ich habe es mir nicht angeguckt, ob ich extravertiert oder gewissenhaft bin. Gefühlt bin ich es, denn sonst hätte ich Sport und Studium wohl nicht unter einen Hut gekriegt. Und auch beim Sport gibt es viele organisatorische Dinge, die geregelt werden müssen. Also ich glaube schon, dass ich recht resilient bin.
Welche Note hat Ihnen die Masterarbeit schließlich eingebracht und welche Beurteilung haben Sie dafür erhalten?
Ich habe auf meine Masterarbeit eine 1,0 bekommen. Damit hätte ich wirklich nicht gerechnet, auch wenn ich viel Arbeit hineingesteckt habe. Mein Mentor beziehungsweise Erstkorrektor war Prof. Dr. Jan Mayer, der auch für die TSG Hoffenheim arbeitet und ein führender Sportpsychologe in Deutschland ist. Daher hatte ich eigentlich vermutet, dass meine Arbeit richtig kritisch bewertet werden würde.
Aber sie schien ja dann doch ganz gut gewesen zu sein. Eine Beurteilung habe ich für die Note aber nicht bekommen, dazu hat sich der Professor nicht geäußert. Ich habe die Note auch erst im Februar, quasi zwischen Tür und Angel, während des Team-Trainingslagers erfahren. Da hatte ich fast schon vergessen, dass ich ja eigentlich noch auf eine Benotung warte. Später habe ich dann meine Abschlussurkunde bekommen, und das war es dann mit dem Studium.
„Welche Eigenschaften durch die (Corona-)Krise helfen: Radsportlerin Romy Kasper stellt die Ergebnisse ihrer Masterarbeit vor“ erschien erstmals am 26. März 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 89 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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