Handballer Lukas Binder, Bobpilotin Anne Lobenstein und Leichtathlet Robert Farken haben eines gemeinsam: Alle drei hatten sich bereits mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infiziert. Die „Leipziger Zeitung (LZ)“ berichtete in den Ausgaben 86 (vom 18.12.20) und 87 (vom 29.01.21) darüber. Völlig unterschiedlich hingegen waren die einzelnen Krankheitsverläufe dieser Sportler/-innen.
Während Farken komplett symptomfrei blieb, hatte Lobenstein auch im Nachgang noch mit massiven Einschränkungen ihrer Lungenkapazität zu kämpfen. Das führte uns zu der Frage: Welche Rolle spielt Corona im Spitzensport tatsächlich? Und: Wie viele Sportler/-innen sind betroffen und wie schwer setzt die Krankheit diesen jungen, durchtrainierten Menschen überhaupt zu? Wenn jemand diese und viele weitere Fragen fachkundig beantworten kann, dann ist das Prof. Dr. med. Bernd Wolfarth. Er ist der Fachbereichsleiter für Sportmedizin im Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig und gleichzeitig Chef der Abteilung Sportmedizin an der Charité in Berlin.
Zudem ist er Deutschlands leitender Olympia-Arzt und Vorsitzender der medizinischen Kommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Kurz gesagt: ein wirklicher Experte. Die LZ hat sich mit dem 55-Jährigen zum Telefoninterview verabredet:
Professor Wolfarth, wie viele Sportler/-innen werden insgesamt am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig betreut und was müssen diese an Zugangsvoraussetzungen erfüllen?
Im IAT haben wir im Fachbereich Sportmedizin pro Jahr etwa 3.500 Kontakte mit Sportler/-innen. Viele kommen 3–5 Mal pro Jahr zu uns, was immer darauf ankommt, wie intensiv die Sportart betreut wird – die Leichtathlet/-innen – vor allem die Mittel- und Langstreckenläufer/-innen – oder auch die Schwimmer/-innen, Triathlet/-innen und Ruder/-innen sehen wir daher zum Beispiel öfter.
Unser Klientel sind ausschließlich Leistungssportler/-innen, vor allem die Bundeskader-Athlet/-innen, also solche, die dem Olympiakader, dem Perspektivkader oder dem Nachwuchskader 1 bzw. 2 angehören. Aber es sind auch einige Landeskader- oder regionale Athlet/-innen dabei, die am IAT in trainingswissenschaftliche Projekte eingegliedert sind.
Seit rund einem Jahr ist mit Corona nun ein neuer „Player“ im Spiel. Wie viele Fälle wurden bei „Ihren“ Sportlern bisher registriert?
In Leipzig haben wir etwa 30–40 Athlet/-innen post-COVID-19 bei uns gehabt, die wir auch untersucht haben. In Berlin, wo wir eine wesentlich größere Abteilung haben, liegen wir schon bei deutlich über 100 post-COVID-19-Fällen – alleine aus dem Leistungssport. Wenn man die dortigen Fälle aus dem Freizeitsport dazuzählt, sind es noch wesentlich mehr.
Wie und wann kommt das IAT ins Spiel, wenn bekannt wird, dass eine/-r der Sportler/-innen infiziert ist?
Da gibt es unterschiedliche Wege. Es kann sein, dass die Kader-Athlet/-innen direkt mit einer Symptomatik auf uns zukommen und wir daher den ersten Test durchführen. Meistens ist es aber so, dass die Sportler/-innen woanders positiv getestet werden und wir dann im Nachgang hinzugezogen werden, wenn die Erkrankung ausgeheilt und die entsprechende Quarantänezeit abgelaufen ist. Dann kommen wir für die sogenannte Return-to-Sport-Untersuchung ins Spiel. Das heißt, bevor sie wieder in den Sport integriert werden können, müssen die Sportler/-innen einmal komplett untersucht werden.
Gibt es bei den bekannt gewordenen Corona-Fällen bestimmte Tendenzen oder Auffälligkeiten, zum Beispiel im Hinblick auf bestimmte Sportarten, auf die Geschlechtszugehörigkeit oder anderen Faktoren?
Nein, in diesem Altersbereich gibt es bis jetzt keine spezifischen Verteilungen, die statistisch signifikant durchgeschlagen wären. Es gibt auch keine wirkliche Sportarten-Häufung. Gefühlt hat man natürlich immer ein bisschen die Mannschaften im Blickfeld, denn wenn dort eine/-r positiv ist, ist das relative Risiko, dass sich auch andere Mitspieler-/innen infizieren, etwas höher.
Aber es gibt keine Sportart, von der wir sagen können, dass sie besonders anfällig für Corona ist und auch keine, die es gar nicht betrifft. Denn gerade das macht diese Pandemie momentan ja aus, dass es jede/-n treffen kann, weil die Immunität einfach noch nicht vorhanden ist und wir fast alle für dieses Virus noch immunologisch naiv sind.
Welche Erfahrungen konnten Sie bisher hinsichtlich der Krankheitsverläufe bei den Sportler/-innen sammeln?
Insgesamt sehen wir bei den Sportler/-innen eher milde Krankheitsverläufe. Wenn man sich die allgemeine Reaktion auf die Erkrankung in der Bevölkerung ansieht, wissen wir inzwischen, dass im Großen und Ganzen junge, körperlich fitte Menschen weniger Probleme mit dem Krankheitsverlauf haben als Personen mit einer medizinischen Vorbelastung – und auch mit zunehmendem Alter treten mehr Probleme auf.
Unser Sportlerklientel, da reden wir von 15- bis 35-Jährigen, die in aller Regel körperlich leistungsfähig und gut trainiert sind, hat normalerweise keine größeren medizinischen Probleme und keine allzu kritischen Verläufe. Ausnahmen bestätigen natürlich auch hier immer mal wieder die Regel. Außerdem sind sie nach überstandener Krankheit auch relativ rasch wieder belastbar und in den Sport integrierbar.
Wir haben bei denen, die milde Verläufe hatten, bis dato keine größeren Ausfallerscheinungen, klinische Probleme, Beschwerden oder Reduktionen der Leistungsfähigkeit gesehen.
Was waren bisher die schwersten Symptome, mit denen Sie in Kontakt gekommen sind?
Wir haben gelegentlich auch mal eine kardiale Beteiligung (das Herz betreffend / d. Red.) dabei. Das ist zwar wirklich selten, kam bei uns aber vor. Da haben wir eine Myokarditis gesehen, also eine Herzmuskelentzündung. Soweit wir es beurteilen können, ist sie in diesem Fall aber folgenlos abgeheilt. Der Athlet ist inzwischen wieder im Spielbetrieb und kann auch wieder voll belasten. Er hat allerdings eine längere Pause von drei Monaten einlegen müssen.
Glücklicherweise ebenfalls selten, haben wir eine Lungenbeteiligung. Denn das ist meist ein Zeichen für einen schwereren Krankheitsverlauf. Diejenigen, die mit einer Lungenbeteiligung auffällig sind, haben in der Regel etwas länger Probleme. Es kann sein, dass diese Athlet/-innen dann mehr als nur die üblichen zehn bis 14 Tage ausfallen.
Was wir mit Abstand am häufigsten sehen, ist der viel zitierte Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns. Das normalisiert sich üblicherweise in fünf bis zehn Tagen wieder. Aber auch da haben wir Fälle, wo nach drei Monaten der Geruchssinn noch nicht zurückgekommen ist. Das ist sicher keine massive Einschränkung, aber für die betreffende Person trotzdem unangenehm.
Wir machen übrigens im Moment eine wissenschaftliche Studie, die auch vom Bundesinstitut für Sportwissenschaften finanziert wird und an mehreren Standorten in Deutschland stattfindet. Das ist eine Multicenterstudie, wo wir genau solche Fälle sammeln, um sie im Nachgang auszuwerten und zu sehen, ob es spezielle Verläufe und besonders kritische Fälle gibt. Es wird aber sicherlich noch eine gewisse Zeit dauern, bis man sich da ein abschließendes Urteil erlauben kann.
Gibt es für die betroffenen Sportler/-innen eine Art „Reha“ und wie sieht diese aus?
Eine Reha braucht man da in der Regel nicht. Es geht eher darum, ausführlich zu untersuchen. Wir haben bereits im letzten Mai durch die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention einen Untersuchungsalgorithmus für diese Return-to-Sport-Untersuchung herausgebracht: Wenn es ein komplett milder Verlauf war, gibt es „nur“ ein Standardprogramm.
Wenn aber z. B. jemand eine Lungenproblematik hatte, muss eine etwas aufwendigere Nachuntersuchung stattfinden, sowohl lungenfunktionell als auch im Hinblick auf die Belastungsfähigkeit – sprich: Blutgasuntersuchungen und Spiroergometrie (Messung der Atemgase unter Belastung / d. Red.). Wenn sogar der Verdacht auf eine Herzbeteiligung besteht, wird ein Kardio-MRT, also eine Kernspintomographie des Herzens, gemacht. Sollten diese Untersuchungen unauffällig verlaufen, kann es – wie der Name schon sagt – wieder zurück in den Sport gehen.
Weil wir dieses Virus und seine Folgeerscheinungen aber noch zu wenig kennen, sind wir dabei eher auf der vorsichtigen Seite. Daher sind die Untersuchungen auch bei geringer Symptomatik deutlich umfänglicher als bei den üblichen grippalen Infekten.
Wie lange dauert es im Schnitt, bis Erkrankte wieder voll ins Geschehen einsteigen kann?
Die meisten steigen nach etwa 14 Tagen wieder ein. Inzwischen wird die Quarantänezeit von den Gesundheitsämtern auf zehn Tage nach Beginn der Symptomatik bzw. nach einem positiven Test angesetzt. Und etwa drei bis vier Tage nach Ablauf dieser Quarantäne werden die Return-to-Sport-Untersuchungen durchgeführt. Die meisten Sportler/-innen sind direkt danach wieder voll belastbar. Die Herausforderung für uns ist es aber, die wenigen schwereren Verläufe ausfindig zu machen bzw. die wenigen auffälligen Befunde zu erkennen. Diese müssen dann natürlich gesondert behandelt werden.
Wie schätzen Sie die Fallzahlen im Leistungssport verglichen mit denen in der Gesamtbevölkerung ein? Hätten Sie in Ihrem Bereich mehr oder weniger Fälle erwartet?
Ich denke, das ist analog zu den Fällen in der Gesamtbevölkerung. Was man für den absoluten Spitzensportbereich sagen kann ist, dass die Hygienekonzepte rund um die Athlet/-innen inzwischen sehr ausgereift sind und es dadurch in diesem Bereich wahrscheinlich ein paar Fälle weniger gibt. Zum einen, weil viel getestet wird und weil auch eine sehr enge medizinische Versorgung vorhanden ist. Aber alles in allem sehen wir im Spitzensportbereich weder ein erhöhtes Risiko für eine Infektion, noch ein deutlich geringeres individuelles Risiko der Erkrankung.
Im Sport drängen viele auf einen Wiederbeginn. Wie riskant schätzen Sie als Arzt einen solchen Restart ein?
Ich glaube, dass es möglich ist, mit vernünftigen Hygienekonzepten den Sport wieder aufzunehmen. Man muss ja sagen, dass der Leistungssport in Deutschland mit den entsprechenden Hygienekonzepten in den letzten Wochen und Monaten relativ gut umsetzbar gewesen ist – es gab keine größeren Komplikationen. Aber die Frage ist ja jetzt eher: Wie bringt man den allgemeinen Sport und insbesondere den Jugend- und Nachwuchssport wieder zum Laufen?
Denn es ist auch von der gesellschaftlichen Seite her wichtig, Kinder und Jugendliche wieder zu körperlichen Aktivitäten zu bringen. Man darf nämlich auch die Sekundärschäden nicht unterschätzen, die entstehen, weil die Bewegung immer weiter zurückgefahren wird und die Bewegungsangebote nicht mehr vorhanden sind.
Inwiefern können die von Ihnen erarbeiteten Erkenntnisse auch für die breite Bevölkerung interessant sein?
Es ist wichtig, dass man die Chance nutzt, jetzt Fälle zu sammeln, konsequent zu dokumentieren und wissenschaftlich auszuwerten. Das alles dann auf die Allgemeinheit zu übertragen, ist jedoch eher schwierig, denn wir haben nun mal ein besonderes Klientel, das in der Regel jung und sehr leistungsfähig ist.
Doch was man schon jetzt als Aussage treffen kann ist, dass sich eine gewisse körperliche Grundfitness und eine gute Belastbarkeit im Gesamten positiv auswirkt, was den Schweregrad der Infektion bzw. den Verlauf der Erkrankung anbelangt.
Gerade unter jüngeren Menschen, die schwerere Verläufe haben, finden wir Patient/-innen, die schon andere Grunderkrankungen hatten und vielleicht körperlich nicht ganz so fit waren. Die haben ein höheres Risiko. Unser Hauptaugenmerk liegt aber darauf, wie wir den bestmöglichen Umgang für unser Klientel finden. Also: Wie kann man die möglichst zielgerichtete Rückkehr in den Sport generieren?
Natürlich gilt im Umgang mit dieser Erkrankung, bei der wir noch nicht alle Aspekte kennen, dass die Sicherheit vorgeht, um irgendwelchen Schaden für die mittel- und langfristigen Gesundheits- und Leistungsverläufe bei den Athlet/-innen zu vermeiden.
Alle Spitzensportler/-innen arbeiten auf Olympia 2021 hin. Ist es aus Ihrer Sicht vernünftig, die Olympischen Spiele stattfinden zu lassen und welche Chancen sehen Sie, dass diese überhaupt stattfinden werden?
Ich denke, das wird sehr stark davon abhängen, wie wir international mit den Impfungen vorankommen. Wenn es gelingt, bis zum Sommer auch bei den Sportler/-innen eine große Anzahl an Impfungen zu realisieren, sehe ich es als durchaus möglich an, die Olympischen Spiele umzusetzen. Aber diese medizinischen Fragestellungen werden es nicht alleine entscheiden, denn es spielen auch politische Entscheidungen eine große Rolle.
Aus medizinischer Sicht ist es in meinen Augen durchaus möglich, mit guten Hygienekonzepten und einer bestmöglichen Impfquote Olympische Spiele im Sommer dieses Jahres stattfinden zu lassen. Letztlich glaube ich aber, dass es eher eine politische als eine medizinische Entscheidung sein wird, ob und in welcher Form wir Olympische Spiele im Jahr 2021 sehen werden.
„Corona – Die umfängliche Immunität ist einfach noch nicht vorhanden: Sportmediziner Prof. Dr. Bernd Wolfarth vom IAT Leipzig im Interview“ erschien erstmals am 26. Februar 2021 in der aktuellen Printausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. Unsere Nummer 88 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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Bei diesem Artikel wünschte ich mir etwas mehr journalistischen Tiefgang, etwas mehr Forschungsdrang des Autors! Erst vor kurzem erschien im Ersten eine Dokumentation über die Menschenversuche am FKS, der direkten Vorgängerinstitution des IAT. Spannender Weise ist auch beim Wikipedia Eintrag des interviewten Professors von Doping vorwùrfen die Rede. Das schreit doch danach dieses Thema bei einem Interview zu hinterfragen oder irre ich?