LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 84, seit 23. Oktober im HandelDas Land ist flach, der erste Schnee noch in weiter Ferne. In Eilenburg schnallen sich die Jungadler des SV Lok dennoch ihre Ski an und stürzen sich an einem Oktobernachmittag die Josef-Dotzauer-Schanze hinunter. Bereits seit 1958 hat das Skispringen in der Kleinstadt, rund 20 Kilometer nordwestlich von Leipzig, ein Zuhause. Doch außerhalb von Eilenburg wissen nur wenige davon, wie Lok-Trainer Stephan Kupke (44) gegenüber der „Leipziger Zeitung (LZ)“ sagt.
Ein Interview über Nachwuchsgewinnung in einer Randsportart, die Förderung von Talenten und den Traum vom Fliegen.
Herr Kupke, welchen Stellenwert genießt Skispringen in Eilenburg?
Leider sind wir hier im schneearmen Flachland nur eine Randsportart. Unsere Sprungschanze ist aber ein echter Hingucker und auch in dem Wanderwegeplan vermerkt.
Schnee ist selten, aber das stört Sie nicht, richtig?
Für uns ist das eher ein Vorteil. Während die Gebirgsvereine jetzt im Oktober bereits ihre Schanzen mit Netzen für den Winterbetrieb fertigmachen und nicht springen können, geht es bei uns nahtlos weiter auf den Kunststoffmatten. Gerade in der Zeit des Klimawandels warten dann die Gebirgler meist lange vergeblich auf Schnee.
Als wir vor kurzem telefoniert haben, waren Sie gerade auf dem Weg zu den Nordischen Skispielen der Alpenländer in Hinterzarten. Haben die Eilenburger Flachländler überhaupt eine realistische Chance gegen die internationale Konkurrenz aus den Alpen?
Die Chance besteht durchaus, da unsere Kinder, sollten sie sich zu einer leistungssportlichen Entwicklung entschließen, an einen Bundesstützpunkt nach Oberwiesenthal oder Klingenthal wechseln können und dort weiter gefördert werden. Unser Martin Hamann hat erst kürzlich zwei Continental-Cup-Springen in Polen gewonnen. Martin war sieben Jahre bei uns im Verein, er hat mit sieben Jahren angefangen und bei uns die Grundlagen des Skispringens erlernt.
Dann ist er zur SG Nickelhütte Aue ins Erzgebirge gewechselt. Warum?
Der Vereinswechsel kommt zustande, weil wir nicht die nötigen finanziellen Mittel für alle Leistungssportler aufbringen können und sonst alle Verbindlichkeiten von den Eltern übernommen werden müssen. Mit der SG Nickelhütte gibt es einen Verein, der sich nur um die Leistungssportler kümmert.
Wie viele Kinder schaffen den Sprung zu einem Bundesstützpunkt?
In den vergangenen zehn Jahren haben neun Kinder aus unserem Verein diesen Sprung geschafft.
Martin Hamann ist mittlerweile 23 Jahre alt. Was trauen Sie ihm noch zu?
Er ist derzeit in der besten Form seiner Karriere, er könnte dieses Jahr sogar den Sprung in die erste Mannschaft des Deutschen Skiverbandes schaffen. So die Corona-Pandemie es zulässt, hat er einen Startplatz für die ersten Weltcup-Springen.
Inwiefern beeinflusst die Corona-Pandemie den Trainings- und Wettkampfbetrieb?
Die Auswirkungen sind schon sehr groß. Nicht nur, dass uns der Lockdown erheblich in Trainingsverzug gebracht hat. Einschränkungen sind selbst nach den Lockerungen noch spürbar gewesen. Hygienekonzepte und Zuschauerbegrenzungen bei Wettkämpfen bergen erhebliche Belastungen für das Ehrenamt. Und jetzt hält uns die Angst in Atem, wie es weitergeht. Werden wieder alle Wettkämpfe abgesagt? Müssen wir unsere Nachwuchsprojekte absagen? Kann unser Verein die finanziellen Ausfälle verkraften?
Wie oft nimmt Eilenburg für gewöhnlich an Wettkämpfen teil?
Normalerweise sind es für unsere Kinder jährlich zehn Springen im Rahmen des Sachsenpokals. Dazu kommt ungefähr die gleiche Anzahl an Vereinswettkämpfen in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Niedersachsen und Bayern.
Und wie wird der Nachwuchs gewonnen?
Durch Projekttage wie jetzt am 7. November, Kindergartenvormittage oder durch die eigenen Kinder. Meine beiden Söhne springen auch.
Wollten Ihre Söhne nicht wie viele andere Kinder lieber Fußball spielen?
Sie spielen gern Fußball, aber nicht im Verein. Mein Großer war als Kind sehr klein und brachte nicht viel auf die Waage. Rabiaten Fußballern hatte er körperlich nicht viel entgegenzusetzen. Inzwischen ist er wie Martin Hamann zur Nickelhütte gewechselt und hat eine leistungssportliche Entwicklung als Skispringer eingeschlagen. Der Kleine hat sich zunächst sehr für Kampfsport interessiert, aber als er merkte, dass man dann auch ab und an mal eins abbekommen kann, hat er diese Idee auch verworfen. Wir haben unsere Kinder nicht dazu gedrängt, Skispringen zu machen, es ist aus ihrem eigenen Antrieb geschehen.
Wie viele Kinder trainieren hier?
Derzeit trainieren 17 Kinder und Jugendliche auf unserer Eilenburger Sprungschanze. Uns ist vor allem wichtig, dass wir Kinder bereits im Kindergartenalter gewinnen, um eine kontinuierliche Altersstruktur zu haben. Leider gelingt das nicht immer.
Wie schwierig ist es, die Kinder fürs Skispringen zu gewinnen?
Die Kinder sind eigentlich nicht das Problem, die sind sehr schnell für diesen Sport zu begeistern. Die Hemmschwellen sind meist die Eltern, die dann doch denken, dass es ein sehr gefährlicher Sport ist und ihre Kinder lieber zum Fußball schicken. Statistisch gesehen ist das Risiko, sich schwer zu verletzen, beim Fußball zehnmal höher.
Was ist Ihr Einzugsgebiet?
Nordsachsen und hauptsächlich die Eilenburger Region. Nach Leipzig gibt es zwar eine gute S-Bahn-Anbindung. Leider ist dort fast niemandem bekannt, dass Skispringen in der Nähe überhaupt möglich ist.
In welchem Alter kann man mit Skispringen beginnen?
In der Regel fangen die Kinder zwischen fünf und sieben Jahren an, aber es gab auch schon Nachzügler, die wesentlich später damit begonnen haben und auch erfolgreich waren.
Wie sind Sie selbst eigentlich zum Skispringen gekommen?
Bereits mein Vater hat diesen Sport ausgeübt, aber eigentlich bin ich nicht durch ihn, sondern eher über einen Freund zufällig mit sechs Jahren an die Schanze gekommen. Ich habe dann, bis ich zwölf Jahre alt war, auf die leistungssportliche Entwicklung hingearbeitet – bis das DDR-System mich aus politischen Gründen aussortiert hat.
Sie waren mit zwölf noch ein Kind – was wurde Ihnen vorgeworfen?
Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Mein Vater war nicht gerade linientreu. Und als er dann kurz vor meiner Eignungsuntersuchung zur Aufnahme an die Kinder- und Jugendsportschule gemeinsam mit meinem Opa zur Silberhochzeit seiner Tante in die Bundesrepublik reiste, war das für die politische Führung zu heikel, und es wurde durch den untersuchenden Mediziner festgestellt, dass meine Knie geschädigt seien. Laut dieser Diagnose müsste ich bereits heute künstliche Gelenke haben. Ja, was soll ich sagen, es ist alles noch original.
Wann und wie sind Sie zurückgekommen?
Eigentlich auch wieder durch einen Zufall. Vier Jahre habe ich nichts gemacht, außer Angeln zu gehen und irgendwann wurde ich mal angesprochen, ob ich nicht mal wieder an der Schanze vorbeikomme. Ja und dann kam eins zum anderen.
Welche Rolle spielt Skispringen heute in Ihrem Leben?
Ich bin ausgebildeter Trainer und Sprungrichter. Ich leite an zwei Tagen in der Woche das Training der Kinder und übernehme auch die Wettkampffahrten an den Wochenenden. Zweimal im Jahr fahre ich jeweils eine Woche mit ins Trainingslager. Des Weiteren bin ich für das Kampfrichterwesen und die Organisation der Wettkämpfe in Eilenburg verantwortlich. Es ist schon ein zeitraubendes Hobby.
Da sind noch die Vorstandssitzungen, Gelder müssen beschafft, Förderanträge geschrieben und Kontakte gepflegt werden, auch über die Grenzen der Landesverbände hinaus. Auch die Pflege der Anlage gehört dazu. Meine Frau würde sagen: „Was würdest du nur ohne Skispringen machen?“ Aber das alles kann man natürlich nicht allein bewältigen. Ein starkes Team mit vielen engagierten Trainern und Helfern ist nötig, um alles am Laufen zu halten.
Was macht das Skispringen für Sie so besonders?
Es ist ein Sport, der so vielseitig wie auch einzigartig ist. Und den Traum vom Fliegen träumen ja viele. Leonardo da Vinci hat es mal schön beschrieben: „Wenn du das Fliegen einmal erlebt hast, wirst du für immer auf Erden wandeln, mit deinen Augen himmelwärts gerichtet. Denn dort bist du gewesen und dort wird es dich immer wieder hinziehen.”
Wenn Sie sich an Ihren ersten Sprung erinnern – wie war das?
Der erste Sprung ist eigentlich nicht so das große Erlebnis gewesen. Es sind immer die Sprünge auf den jeweils größeren Schanzen oder der Sprung, als man das erste Mal in der richtigen Flugposition „auf der Welle“ war und die Luftkräfte gespürt hat, wie sie einen tragen können. Oder der weiteste Sprung, den man je gemacht hat, bei mir mit 28 Jahren 118 Meter auf der Oberhofer Schanze im Kanzlersgrund.
Mehr Informationen:
www.eilenburger-adler.de
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