LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 77, seit 27. März im HandelVor drei Wochen flogen und rollten die Bälle noch durch Leipzig, freuten sich die Icefighters auf ihr erstes Playoff-Abenteuer, kämpfte die BSG Chemie gegen den Abstieg, der 1. FC Lok um den Aufstieg, RB Leipzig um die Deutsche Fußball-Meisterschaft und der SC DHfK um einen komfortablen Platz in der Handball-Bundesliga der Männer. Nichts von alledem wird so schnell eintreten. Corona bremst den Sport aus.

Stattdessen heißt die neue Realität: Minusgeschäft statt Meisterschaft, Kurzarbeit statt Klassenkampf und Solidarität statt Sport. Ob Karsten Günther, Andy Müller-Pappra, Thomas Löwe und Thomas Conrad eigentlich glauben können, was gerade passiert? Noch vor vier Wochen bangten über 3.000 Lok-Fans mit ihrem Team. Erst in der Schlussminute erzielte Paul Schinke gegen den ZFC Meuselwitz den vorentscheidenden Treffer zum Heimsieg.

Lok war Tabellenführer und der direkte Konkurrent Energie Cottbus gab eine Woche später sogar noch einmal Punkte ab. Der Weg Richtung 3. Liga schien so kurz wie nie zuvor. Doch seit diesem 28. Februar gab es in Probstheida keinen Fußball mehr. „Gerade wo wir uns auf eine erhöhte Zuschauerresonanz gefreut und so viel Geld und Zeit in unsere Vision 2020 gesteckt haben, werden wir brutal ausgebremst“, so Lok-Präsident Thomas Löwe.

Bei der BSG Chemie bestritt man zuletzt am 8. März ein Spiel. 2.620 Chemiker hofften vergebens auf einen Überraschungserfolg gegen das Spitzenteam VSG Altglienicke. Nach dem unglücklichen 2:4 blieb Chemie im Tabellenkeller der Regionalliga stecken.

Ob und wann überhaupt die Regionalliga-Saison fortgesetzt wird, steht in den Sternen. Der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) hat am 18. März erklärt, dass der Spielbetrieb aufgrund der aktuellen Gefährdungslage durch Corona bis einschließlich des 19. Aprils ruhen wird. Eine Fortsetzung danach scheint nicht sofort möglich zu sein.

Die LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 77, seit 27. März 2020 im Handel. Foto: Screen Titelblatt
Die LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 77, seit 27. März 2020 im Handel. Foto: Screen Titelblatt

Ähnlich hält es auch die Handball-Bundesliga der Männer. Der 32:27-Heimsieg des SC DHfK gegen die Eulen aus Ludwigshafen war bis dato das letzte Spiel der Grün-Weißen. Seitdem ist die Arena geschlossen. Die Saison ist erstmal ausgesetzt, soll aber möglichst zu Ende gespielt werden. Spieltags-Einnahmen fehlen allen Klubs, das Insolvenzgespenst hat sich zumindest mal das Kostüm angezogen. In Sachsen wird es einige erschrecken können.

SC DHfK-Geschäftsführer Karsten Günther hat allerdings beizeiten zu ersten Gegenmaßnahmen gegriffen. Nicht nur, dass seine Angestellten auf reichlich Gehalt verzichten werden, er hat auch in den Hochebenen der sächsischen Mannschaftssportarten durchgeklingelt und eine Art Selbsthilfegruppe aufgebaut.

„Ich habe alle Erst- und Zweitligisten aus Sachsen aus den relevanten Sportarten, die mir geläufig waren, angerufen plus die Drittligisten und die Viertligisten im Bereich Fußball.“ Dabei hat sich eine illustre Truppe zusammengefunden, die nun unter dem Namen Initiative „Teamsport Sachsen“ firmiert.

„Es kam schnell eine ziemliche Dynamik in die Sache. Wir sind auf einem sehr guten Weg und den einen oder anderen Tipp untereinander haben die Vereine auch schon ausgetauscht“, so der Initiator. Aber wohin soll der Weg führen? „Die Idee ist, dass man als Vereinsverbund gemeinsam auf die Landesregierung zugeht, um Unterstützungsmöglichkeiten zu besprechen und sich nicht jeder Verein einzeln einen Termin holt und dann das Terminchaos ausbricht“, so Lok-Präsident Thomas Löwe.

Wie die BSG Chemie ist der Verein stark von den Einnahmen aus Ticketing und Merchandising abhängig. Die Spielausfälle im letzten Drittel der Saison sind katastrophal. Genauso wie Chemie hat auch Lok auf Kurzarbeit umgestellt. Bei den DHfK-Handballern ist man noch nicht soweit. „Aktuell sind wir voll am Start“, so Günther, „um für Fans und Sponsoren da zu sein. Wir wollen nicht nur präsent sein, wenn Handball gespielt wird, sondern auch in dieser Zeit.“

Diese Woche hat der Verein eine Corona-Hilfsbörse auf seiner Homepage eröffnet – wo er doch selbst Hilfe braucht. „Wichtig ist, dass wir direkt Gehör finden und einen sehr engen Austausch auf Augenhöhe mit den Institutionen, mit denen wir die Krise meistern können, haben werden“, hofft Günther auf die Wirkungen der Initiative.

Schon vergangene Woche hat ein Treffen mit Vertretern der Initiative und Vertretern aus der Politik stattgefunden. Um nicht alle Treffen in großer Runde abzuhalten, wurde eine Arbeitsgemeinschaft Sport gegründet, der Vertreter des Landessportbunds, der Stadt- und Kreissportverbände, der Sächsischen Staatskanzlei und der Initiative angehören.

„Wir müssen irgendwie durch die schwierige Zeit ohne Einnahmen und mit vielen Fixkosten durchkommen. Es ist klar, dass wir unter anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen wieder starten werden.“ Wichtig ist sowohl Löwe als auch Günther, dass die Sportvereine überhaupt wieder starten. „Wir übernehmen als Arbeitgeber und soziale Institution verschiedene gesellschaftliche Funktionen. Wenn wir die weiter wahrnehmen sollen, brauchen wir den Schulterschluss.“

Insgesamt 21 Profivereine aus Sachsen sind in der Initiative organisiert, die in Rekordzeit zusammengefunden und erste Ergebnisse erzielt hat. „Es geht einfach darum, die Kräfte zu bündeln“, so Günther. Und dabei auch Ressentiments beiseite zu lassen, immerhin hätte der Zusammenschluss in normalen Tagen eine ordentliche Portion Zündstoff enthalten: Lok Leipzig, Chemie Leipzig, RB Leipzig, Dynamo Dresden und Erzgebirge Aue in enger Zusammenarbeit wäre sicher nicht geräuschlos in den Fan-Lagern aufgenommen worden.

Dass es keinerlei nennenswerten Gegenwind in Leipzig gibt, zeigt, dass Fan-Animositäten und Konkurrenzdenken nachrangig zum nackten Überleben sind. „Es ist ein gutes Miteinander, in dem es keine Rolle spielt, welche Vereine zusammenarbeiten. Man hilft sich und wir sind schon wirklich eine sehr, sehr gute Gemeinschaft“, so Thomas Löwe, der dankbar für Karsten Günthers Initiative ist.

Dass die Vereine strukturelle und administrative Unterschiede haben, sei kein Problem, so der Initiator. „So unterschiedlich sind die nicht, wir sind alles Sportunternehmen und Arbeitgeber, die Aufgaben zu erfüllen haben.“

Karsten Günther, SC DHfK-Geschäftsführer und Initiator von „Teamsport Sachsen“. Foto: Jan Kaefer
Karsten Günther, SC DHfK-Geschäftsführer und Initiator von „Teamsport Sachsen“. Foto: Jan Kaefer

Zur Gemeinschaft gehört auch der HC Leipzig. Der sechsmalige Deutsche Handball-Meister musste 2017 aus der 1. Handball-Bundesliga der Frauen zwangsabsteigen und kletterte letztes Jahr aus der 3. in die 2. Liga. Den Präsidenten Thomas Conrad plagen ähnliche Sorgen wie die Kollegen in der Initiative, wenn auch nicht in dieser Ausprägung.

Eine Sorge weniger hat er ohnehin: Die Saison der 2. Liga wurde offiziell abgebrochen, es gibt keine Auf- oder Absteiger. Sportlich herrscht also Klarheit. Die HCL-Damen hatten es sich im Tabellen-Mittelfeld gemütlich gemacht, sind von der Regelung nicht sonderlich beeinflusst. Finanziell gibt es allerdings durch Corona die üblichen Baustellen.

Die Einnahmeverluste kann Conrad aktuell gar nicht beziffern. „Wir wissen ja überhaupt nicht, was mit unseren potenziellen Sponsoren passiert. Sicherlich haben wir Einnahmeverluste durch die abgesagten Heimspiele. Aber wenn man gegenrechnet, hätten die Auswärtsspiele auch wieder Kosten verursacht. Daher ist das alles noch überschaubar.“

Conrad hält ohnehin nicht viel von Schwarzmalerei. „Wir können uns erstmal nur auf die Sachen konzentrieren, die im Moment stattfinden, denn wir wissen doch alle nicht, wann das zu Ende ist, und ob wir dieses Jahr überhaupt noch mal Handball spielen.“

Umso wichtiger ist die Initiative für die Vereine, die allesamt im Dunkeln tappen, was die eigene sportliche Zukunft angeht. Bis zum 30. Juni laufen die Spieler- und Trainerverträge. Was passiert, wenn die Saison länger dauert? Welche Sponsoren überleben und welche können sich dann noch engagieren?

Thomas Löwe ist sich jedenfalls nicht sicher, ob der Ball wieder rollen wird. „Ich hatte immer gehofft, dass es am 19. April weitergehen könnte, aber bei den Hiobsbotschaften, die uns täglich von den Virologen erreichen, bin ich mir gar nicht sicher, ob 2020 überhaupt noch mal gespielt werden kann.“

Die Politik soll nun dem sächsischen Teamsport helfen, seine Arbeit weiterhin machen zu können. Die ersten Gespräche verliefen positiv, der Austausch ist trotz aller Unterschiede konstruktiv. „Da bringt sich jeder ein, jeder hat auch Infos, die den anderen entsprechend weiterbringen. Es geht darum, dass der Sport als solches zusammensteht“, fordert Günther und hofft einfach nur, „dass wir so schnell wie möglich zu normalen Verhältnissen zurückkehren. Es geht auch um Existenzen, um Leben und dann um Sport.“

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Ein Spiel auf Zeit: Die neue Leipziger Zeitung zwischen Ausgangsbeschränkung, E-Learning und dem richtigen Umgang mit der auferlegten Stille

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