LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 72, seit 25. Oktober im HandelRoter Stern Leipzig feiert in diesem Jahr das 20. Jahr seines Bestehens. Seit 1999 ist der Verein Stück um Stück eine ernste soziale und gesellschaftliche Größe mindestens im Leipziger Süden geworden. Aber der Verein hat sich auch verändert. Durch die Vergrößerung und Einflüsse von außen. Und nicht zuletzt durch den Überfall auf RSL-Fans vor genau zehn Jahren. Ein Gespräch über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft mit dem ehrenamtlichen RSL-Geschäftsführer und dem Stadtvorsitzenden von Die Linke, Adam Bednarsky.
Herr Bednarsky, dieses Jahr feiert Roter Stern Leipzig 20 Jahre. Rund um den Verein gibt es ein paar Themen, die sich angestaut haben. Unter anderem jährt sich der Überfall in Brandis diese Woche zum zehnten Mal. Wie ist die Gefühlslage im Verein diesbezüglich?
Es gibt ein paar Ideen, wie wir diesen zehnten Jahrestag angehen werden. Wir werden aller Voraussicht nach im November eine Veranstaltung mit Menschen, die vor zehn Jahren vor Ort beziehungsweise im Nachgang mit der ganzen Thematik betraut waren, durchführen. Fakt ist, dass sich dieser Tag ins kollektive Gedächtnis des RSL eingebrannt und dieses Projekt nicht unwesentlich nach innen und außen geprägt hat.
Aber um auf die juristische Aufarbeitung zu sprechen zu kommen, mir ist nach zehn Jahren immer noch unklar, wie es dazu kam, dass diese rechte Personengruppe in der Stadt war, wer die organisatorischen Drahtzieher gewesen sind und was sie – neben ihrer Weltanschauung – konkret motiviert hat.
Was bleibt noch von diesem Tag bis heute?
Es hat ein bundesweites Schlaglicht auf die Verhältnisse in Sachsen geworfen, die zehn Jahre später ein stückweit die Wahlergebnisse der AfD erklären. Es hat ebenso aufgezeigt, wie neonazistisch geprägte Gewaltexzesse in Sachsen juristisch aufgearbeitet werden. Ich erkenne bei der Aufarbeitung des sogenannten Überfalls auf Connewitz am 11. Januar 2016 nicht wenige Parallelen. In beiden Zusammenhängen war Fußball als gesellschaftliche Instanz involviert.
Es gehört aber zur Fairness mit dazu, dass sich im Nachgang des Überfalls auf den Roten Stern in Brandis die Polizei kooperativ gezeigt hat, gerade auch der damalige sächsische Polizeipräsident Bernd Merbitz. Ich nenne nur ein Beispiel: Wir hatten auch einen Schwerverletzten, der medizinisch super versorgt wurde, gerade weil sich die Behörden an der Stelle „gekümmert“ haben.
Trotz aller Medizin konnte die Sehkraft des Auges nicht wieder so hergestellt werden, dass er seinen Beruf weiter ausüben konnte. Und vergessen wir nicht, es waren wenige Millimeter, die zum Schlimmsten geführt hätten.
Das Verhältnis zwischen RSL und Polizei hat sich danach intensiviert …
Wie ich gerade geschildert habe, das Verhältnis musste sich auf dieser Grundlage zwingend ändern. Es ist quasi im Nachgang eine Art Sicherheitspartnerschaft zwischen zwei ungleichen Partnern wie der Polizei und dem RSL eingetütet worden. Es gab und gibt auch Lernprozesse bei der sächsischen Polizei.
Das was in Brandis passiert ist, hat dazu beigetragen, dass es nicht wieder passieren konnte. In Brandis hatten wir keine nennbaren Kräfte der Polizei vor Ort, das hat sich bis dato nicht wiederholt. Warum das damals so gewesen ist, dazu gibt es bis heute aber nichts Belastbares.
Bei den Spielen zuvor war Bereitschaftspolizei anwesend, in Brandis fehlte sie. Vielleicht ist der 10-jährige Jahrestag ein guter Anlass, auch diese Frage noch einmal zu beantworten.
Neben diesem Jahrestag bewegt den Verein auch der Ausbau des Sportplatzes Teichstraße.
Das ist richtig. Im Sportprogramm 2024 der Stadt Leipzig wird die Sanierung der Anlage als prioritär angesehen. Wir haben grünes Licht seitens der Fördermittelgeber Stadt Leipzig und Freistaat Sachsen für das erste große Bauprojekt auf der Anlage. Die hohe Förderpriorität von Land und Stadt zeigt, dass wir bei unseren Infrastrukturprojekten der letzten Jahre gute Arbeit geleistet haben.
Zurzeit erwarten wir die finale Darlehenszusage der Sparkasse, die positive Bauvoranfrage hat uns ebenfalls erreicht, sodass mit der Darlehenszusage auch der positive Förderbescheid für 1,5 Allwetter-Großfelder erteilt werden kann und wird. Wir haben dieses Bauvorhaben in zwei Bauabschnitte gesplittet, dieses Jahr wird eine Million Euro, nächstes Jahr 500.000 Euro investiert.
Unser Plan sieht vor, Ende nächsten Jahres diese Allwetterplätze fertig zu haben, sodass das heutige Feld 2 auf Seiten der Wohnungsbebauung Brandstraße grundhaft ertüchtigt ist. Der aktuelle Beachvolleyballplatz wird dann ebenfalls verlegt.
Gleichzeitig braucht der Verein allerdings auch Spenden, um die Bauvorhaben umzusetzen.
Das ist korrekt. Wir bitten weiter um Spenden und zinslose Darlehen, um den sechsstelligen Eigenanteil dieser Umbaumaßnahme realisieren zu können. Insgesamt brauchen wir circa 150.000 Euro. Das Projekt in der Teichstraße ist vom Finanzvolumen vergleichbar mit dem, was wir lange Zeit am Goethesteig realisiert haben. Dort haben wir in zehn Jahren einen Rasenplatz, Ballfanganlagen, eine Beregnungsanlage und einen Kleinfeld-Kunstrasen gebaut und dazu den Sozialtrakt saniert.
Parallel dazu stieg unsere Mitgliederanzahl von 200 auf 1.500. Aus dem RSL-Fußballverein wurde ein Verein, der eine Vielzahl an Sportarten anbietet und zu einem großen Teil jugendliche Mitglieder hat.
An einem funktionierenden Sozialtrakt fehlt es auch in der Teichstraße. Jetzt investieren Sie erst mal in den sportlichen Untergrund. Aber wo sollen sich die Sportler umziehen können?
Auf dem Gelände stehen Teile der Container-Anlage einer geplanten Asylunterkunft an der Prager Straße. Die mussten in einer Nacht-und-Nebelaktion weichen, weil dort eine Oberschule entsteht. Jetzt standen die Container auf verschiedenen Leipziger Sportplatzanlagen. Mittlerweile sind die Anschlussarbeiten unserer Container fast abgeschlossen. Die mittelfristige Zielstellung ist die, dass in Kombination mit den Containern und dem Allwetter-Platz eine halbwegs vernünftige Nutzung der Sportanlage erfolgen kann.
Dazu beitragen könnte auch die 1907 erbaute Sporthalle in der Teichstraße, die saniert werden könnte.
Das ist etwas für die mittlere Zukunft. Mit einigen Gegenstimmen wurde im Stadtrat der Planungsfortgang dieser Turnhalle konkretisiert, wofür im Stadt-Doppelhaushalt 2019/2020 bereits Planungsgeld eingestellt ist. Es könnte beispielsweise in Richtung Dreifeldhalle gedacht werden, weil die derzeitige Sportfläche nicht mehr die Standards der heutigen Zeit genießt. Die Frage ist, inwieweit auch weitere Nutzungen, die gerade in der Stadt dringlich sind, zum Beispiel fehlende KiTa-Plätze, in die Planung integriert werden können.
Gleichzeitig wäre ein Sozialtrakt für den RSL auf der Teichstraße wichtig, der ebenfalls in der aktuellen Halle dargestellt werden sollte. Das soll also das zentrale Projekt für die nächsten Jahre mit der entsprechenden Win-Win-Situation für das Quartier, Schulsport, Kita, den auf der Anlage befindlichen Kegelclub und andere Sportarten werden.
Gerade Sportarten wie Volleyball, Handball, Badminton, Basketball und weitere, die beim RSL beheimatet sind, können sich so auch weiterentwickeln. Unsere Stadt wächst, und das ist ein Projekt, das mich unglaublich fasziniert und welches ich gern in den nächsten Jahren mit umsetzen möchte.
Mit dem Sportplatz an der Agra, Goethesteig, Friederikenstraße und der Teichstraße bespielt Roter Stern derzeit vier Sportanlagen. Wäre es nicht mal an der Zeit „zusammenzuziehen“?
Logisch wäre das, aber wir haben jetzt schon wieder arge Kapazitätsengpässe. Vor allem in den Wintermonaten von Oktober bis April weisen wir zu wenige Kapazitäten auf, und im Sommer, in dem man spielen könnte, ist Pause. Wir haben für 700, 800 Fußballer/-innen nur einen beleuchteten Platz, der ist am Goethesteig. Der neue Allwetter-Platz wird Flutlicht haben und die aktuelle Infrastruktursituation entkrampfen.
Aber die Infrastruktur ist nur eine Seite der Medaille. Wir haben mittlerweile 1.500 Mitglieder, es braucht also eine gute Organisation. Jeder Verein in den Hotspots von Leipzig kann fünf Jugendfußballteams aufmachen, die sind in fünf Tagen voll. Man braucht aber auch dann zehn Trainer. Das ist kein Selbstläufer, auch wenn es vielleicht beim RSL noch etwas einfacher ist als woanders.
Wir haben uns gerade in den letzten fünf Jahren strukturell deutlich besser aufgestellt. Mit unserem Geschäftsstellenleiter Thomas Köhler haben wir eine Person im Verein, der viele kleine Baustellen abräumt, bevor es größere werden. Das alles ist enorm wichtig, denn wenn du niemanden hast, der Förderanträge schreibt, Beiträge einsammelt und so weiter, dann läufst du Gefahr, in eine Negativspirale zu geraten.
Dazu haben wir mehrere Angestellte bis hin zum Jugendwart Elias, der ein Garant für die tolle Jugendarbeit beim RSL ist. Das sind die Erfolgsfaktoren, die dazu beitragen, dass wir als Verein im Jugendbereich Fußball durchaus Akzente gesetzt haben. Jetzt ist es als RSL wichtig, klug die nächsten Schritte zu planen und Kurs zu halten.
Vor zehn Jahren gewann der Verein den Julius-Hirsch-Preis für das Projekt IVF (Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensport-Fußball). Welche Perspektiven ergeben sich dafür in diesen Zeiten?
Die IVF ist endlich in der regulären Förderung des Weltoffenen Sachsen angekommen und kann in den nächsten Jahren ihre tolle Antidiskriminierungsarbeit im Fußball fortsetzen. Die Aktiven sind gerade dabei, neue Ideen zu entwickeln. Mit dem Landessportbund und dem Sächsischen Fußballverband sind sie gut vernetzt. Es ist eine Geschichte, die erfolgreich gelaufen ist, was mich, als einen der ursprünglichen Initiator/-innen, freut.
Wir sind damit auch weiterhin in ganz Sachsen, Stadt und Land unterwegs, immer mit der Frage im Gepäck: Was ist der Fußball imstande zu leisten, wenn wir ihn als zivilgesellschaftlichen Akteur anerkennen?
Die Frage stellt sich erst recht als Roter Stern: Wie gehen wir mit den Vereinen gerade in ländlichen Regionen um? Wir haben darauf zwei Antworten: Wir haben einerseits die IVF und ihre Ausstellung „Strafraum Sachsen 2.0 – Fußball zwischen Ressentiment und Integration“, bei der viele Vereine mitgemacht haben, wie etwa der Chemnitzer FC oder der Döbelner SC, die Workshops gebucht haben, und andererseits sind die Vereine da draußen, die in den politisch umkämpften Räumen mit einer langjährigen Verankerung von rechten Ideologien enorm wichtig sind.
Daher müssen wir uns als Roter Stern Leipzig ‘99 immer fragen: Sagen wir diesen Vereinen: „Ihr seid Teil des Problems oder seid ihr Teil der Lösung?“ Ich jedenfalls meine, diese Vereine sind in großer Mehrzahl Teil der Lösung und sollten von uns mit Respekt und Anerkennung bedacht werden.
RSL-Homepage:
https://rotersternleipzig.de
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