Es war am 12.April 2003. Da stand ich mit Tausenden anderen auf dem Leipziger Marktplatz und konnte kaum mehr stehen vor Aufregung. "Leipzig!", verkündete damals Gerhard Schröder und schon war meine Heimatstadt im Rennen um die Olympischen Sommerspiele 2012 - zumindest für ein Jahr...
Neun Jahre, zerbrochene olympische Träume, Ernüchterung und einige Skandale später stehe ich nun an einem Dienstagabend im Juli 2012 im “Walpole Park” in Ealing. Der gemütliche und ruhige Stadtteil mit Piccadilly-, Central – und District-Line Anschluss liegt im Westen von London. In der Stadt, in welcher ich seit drei Jahren wohne und arbeite und die ich mittlerweile meine Heimat nenne. Nix Wahlheimat, Heimat ist da, wo man sich wohlfühlt. Ich bin mit meinem Mann und noch einem Freund zum Abendevent in den Park gekommen, um die Olympische Fackel (Englisch: Torch) zu sehen. Denn mehr als diese wird es hier von Olympia nicht zu sehen geben, das liegt im Osten der Stadt.
Die Fackel macht jetzt schon seit einigen Wochen die Tour quer durch das Königreich und ist letztes Wochenende mit martialischem Tam-Tam in London angekommen (Militärhubschrauber, Green Berets seilen sich ab über dem Tower of London, alles dabei). Nun verläuft ihr Weg durch alle 32 Boroughs, also die Stadtteile Londons. Wobei Ealing allein wohl so groß ist wie das gesamte Leipzig. Für alle, die sich jetzt “klein” dabei fühlen: unser Haus hat nur 2,30 Meter hohe Decken, es ist ganz schön laut (Flugzeuge) und ich benötige eine volle Stunde um auf Arbeit zu kommen. Dennoch schön, nun hier dabei zu sein.
Seit dem ersten Berührungspunkt mit Olympia in Leipzig nun also der zweite – der Fackellauf (Englisch: Torch Relay) quer durch Ealing mit Ende im Park. Bei knapp 30 Grad ratsam, haben wir uns auf einen schattigen Platz geeinigt, etwas weiter weg von der Bühne, auf der in großen Lettern “Moment to Shine” steht. Angekommen, ist noch schön viel Freiraum und die Kameras der BBC sind auch schon aufgebaut. Was mich auf den ersten Blick völlig umhaut, ist die schiere Menge an Familien. Muss denn da keiner arbeiten, um 5 Uhr am Abend? Normalerweise ist dann erst immer Schluss im United Kingdom (UK) und man begibt sich in den allabendlichen Kampf in die Tube (U-Bahn).
Ich könnte mir gut vorstellen, dass so einige einfach eher nach Hause gegangen sind, um das hier mitzuerleben. Sie scheinen alle eine gewisse Begeisterung zu entwickeln, hin zum Höhepunkt des Abends, der Ankunft der Fackel.
Die drei großen Sponsoren (Bank, Elektronikhersteller, Softdrink) des Torch Relays halten sich halbwegs zurück. Es gibt die ein oder andere Durchsage nach dem Motto “Presented by…” und am Rande der Wiese stehen ein paar Stände. Man kann da auch was gewinnen (Tickets zu den Spielen!). Um letztere haben sich wohl viele bemüht, und viele wurden enttäuscht. Warum dann doch immer die Stadien halb leer bleiben, muss mir mal jemand erklären. Ich denke für die Menschen um uns herum ist es einfach schon mal was hier dabei sein zu können.
Auch für diesen Event musste man Tickets mitbringen. Allerdings gab es die für alle, die in Ealing wohnen per Verlosung und wir haben welche bekommen! Ich finde, das hat etwas Ur-demokratisches und gemeinschaftliches, was ich bei allem Filth (umgangssprachlich: Dreck) so an diesem Land liebe. Mein Mann und ich haben erst gar nicht versucht an Tickets für, sagen wir mal Synchronschwimmen, zu kommen. Am Ende könnte man sich wohl für die weniger populären Sportarten am Tag des Events noch Karten kaufen, wenn man es denn in die Tube schafft. So werden es viele halten.
Nach und nach kommen mehr Leute. So gegen 6 Uhr am Abend müssen das hier knapp 5.000 sein. Noch mehr Kinder. Dann kommt der letzte Fackelläufer (Englisch: Torch Bearer) des Tages auf die Bühne herauf. Die Zuschauer freuen sich sichtlich und am Ende geht es dann eigentlich ganz schnell. Der gute Mann hat – wie alle Torch Bearer – etwas Gutes getan, ist von seiner Nachbarschaft und/ oder gemeinnützigen Vereinen bestimmt worden, vielleicht ist er einfach nur prominent. Das kommt vor. Keine Ahnung was er nun besonderes kann oder getan hat, aber neidisch bin ich schon, ein bisschen. Als er dann in seinem weiß-goldenen Trainingsanzug die goldfarbene Schale mit seiner Fackel in Brand setzt, ist es auch schon vorbei. Die Mobiltelefone und das Kind (nicht meins) in die Höhe gehalten um nichts zu verpassen, und schon fällt der Spannungsbogen und ich will nach Hause.
Am Freitag ist dann die Eröffnungszeremonie im über 80.000 Menschen fassenden Olympiastadion. Als wir wenig später den Park in Richtung Northfields Avenue verlassen, bekomme ich in all dem Englisch noch drei Fetzten Französisch mit und dann etwas Polnisches oben drauf. Das ist London für mich, mit oder ohne Olympia.
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