LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 85, seit 20. November im HandelDer November-Lockdown trifft nicht nur die Mannschaftssportarten. So spüren beispielsweise auch die Leichtathleten die aktuellen Einschränkungen unmittelbar: Es fehlt ihnen vor allem an Trainingshallen und greifbaren Zielen in Form von Wettkämpfen und Meisterschaften, an denen sie wachsen können. Thomas Uth ist Abteilungsleiter und ehrenamtlicher Trainer beim SV Lindenau 1848.

Seit über drei Jahrzehnten ist er fest mit dem Verein verbunden. Die aktuelle Situation bereitet ihm mit Blick auf die Zukunft daher einiges Kopfzerbrechen. „Die Einschränkungen haben uns auf dem falschen Fuß erwischt“, gesteht der 63-Jährige. „Es war nicht abzusehen, dass auch der Sportbereich betroffen sein würde – zumal hier im Hinblick auf Corona recht wenig passiert ist. Wir haben seit Mai wieder in allen Trainingsgruppen trainiert und hatten dahingehend überhaupt keine Probleme.“

Für den Amateursport-Lockdown hat Thomas Uth daher wenig Verständnis: „Ich weiß nicht, warum der Sport so eingeschränkt wurde. Es ist der Sache jedenfalls nicht dienlich. Denn wir müssen uns auf Wettkämpfe vorbereiten, die höchstwahrscheinlich trotzdem stattfinden werden. Zumindest sind im Januar die Meisterschaften geplant.“ Zwar hatte der Verein im Frühjahr bereits einschlägige Erfahrungen im Umgang mit einschneidenden Corona-Schutzmaßnahmen gemacht und diese Herausforderungen auch erfolgreich bewältigt, doch diesmal ist es trotzdem alles ein wenig anders.

„In der ersten Lockdown-Phase konnten wir immerhin noch Heimtraining machen lassen, weil es abends draußen noch hell war. Diesmal ist es komplizierter, denn ab 16:30 Uhr ist es faktisch dunkel und die Temperaturen sinken. Heimtraining ist somit nur eingeschränkt möglich. Das ist eine ziemlich schlechte Situation. Wir versuchen zwar, mit allen Trainingsgruppen etwas zu machen, müssen nun aber erst mal sehen, wie das funktionieren kann.“

Immerhin sind Leichtathleten nicht zwingend auf Mannschaftstraining angewiesen, können auch individuell an ihren Zielen arbeiten – jedenfalls soweit es die Corona- und Trainingsbedingungen hergeben. Landes- und Bundeskader kommen sogar in den Genuss einer Ausnahmeregelung, nach der sie höchst offiziell ihrem Sport nachgehen dürfen. Klingt gut, stößt in der Praxis aber dennoch an Grenzen: „Die neue Verordnung lässt immerhin zu, dass unsere Kadersportler trainieren dürfen. Allerdings haben wir nun das Problem, dass die Schulsporthallen gesperrt sind – warum auch immer.

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 85, Ausgabe November 2020. Foto: Screen LZ

Denn einerseits darf Schulsport stattfinden, andererseits machen die Schulen nachmittags die Hallen dicht. Ich komme also im Moment in keine Halle rein, was für mich nicht nachvollziehbar ist. Das ist natürlich unbefriedigend. Wir wissen nicht, wie lange die Situation noch andauert und wann wir wieder mit der kompletten Gruppe trainieren können. Wann dürfen wir die Sporthallen wieder nutzen?“, fragt sich Abteilungsleiter Uth achselzuckend.

Als eigene Sportstätte steht ihm und seinen Schützlingen das vereinseigene Gelände zur Verfügung. Das ist zumindest beleuchtet, darf entsprechend der Verordnung aber auch jeweils nur von wenigen Sportlern gleichzeitig zum Training genutzt werden. „Wir versuchen, unsere Leistungsgruppe, in der die Kadersportler sind – über die Woche verteilt – wenigstens einmal auf unserem Sportplatz Charlottenhof zu haben.

Den Rest der Woche müssen sie zu Hause trainieren“, erklärt Uth. „Wenn ich dann aber sehe, dass zur gleichen Zeit, in der wir dort mit unseren drei, vier Leuten etwas machen, die Fußballer von Chemie Leipzig auf unserem Kunstrasen mit der kompletten Kapelle trainieren dürfen, finde ich das schon sehr fragwürdig.“

Doch es ist gar nicht wirklich dieses Trainingsprivileg der Regionalliga-Kicker, das Thomas Uth Sorgen bereitet. Es ist vielmehr der bange Blick in die Zukunft: Wie geht es für seine Athleten weiter? „Wenn sich diese Situation noch weiter hinzieht, was ja zu erwarten ist, wird es immer schwieriger, die Ziele, die wir mit unseren Sportlern gemeinsam erarbeiten, aufrechtzuerhalten. Sie brauchen ein Ziel. Es kann nicht sein, dass wir ins Blaue hinein trainieren und abwarten, dass irgendwann mal etwas passiert“, ist sich der Coach der mentalen Macht eben solcher Ziele bewusst.

„Aber wenn man dieses Ziel nicht geben kann, wird es problematisch. Die Sportler verlieren immer mehr an Motivation, und es wird immer schwieriger, sie zu motivieren. Das Ergebnis könnte sein, dass sie ganz aufhören. Damit bricht uns in der Leichtathletik sehr viel von der Basis weg, die in Sachsen sowieso schon nicht so besonders gut bestückt ist. Das macht es auch für uns als Trainer schwer. Es ist momentan ein täglicher Kampf.“

Und der hat letztendlich auch wieder mit Geld zu tun: „Jede Abmeldung aus dem Verein tut uns weh, auch finanziell. Über die finanziellen Verluste, die den Vereinen in dieser Situation entstehen, spricht ja auch keiner. Ich muss zum Beispiel zusätzliche Kosten aufbringen, um das Training abzusichern und hatte erhöhte Reisekostenaufwendungen, weil wir zu vielen Wettkämpfen – auch außerhalb Sachsens – fahren mussten. Wir haben dieses Jahr deshalb auf jeden Fall rund 2.000 Euro Mehrausgaben, die uns dann natürlich bei anderen Dingen fehlen. Zudem weiß ich jetzt auch noch nicht, wie viele Mitglieder sich zum Jahresende vielleicht noch abmelden.“

Thomas Uth, dessen hürdensprintende Zwillinge Linn-Marit und Niklas Anfang des Jahres aus Lindenau an den Stützpunkt Chemnitz gewechselt sind, gehen die einschränkenden Corona-Maßnahmen allmählich ans Gemüt: „Ich brenne als Trainer absolut für meine Sportler und bin mit Herzblut dabei. Daher sind solche Situationen emotional schwer zu verkraften. Denn wir Trainer wissen, was die Sportler investieren, und sehen, was machbar ist. Wir stehen immer auf ihrer Seite, das ist ganz wichtig. Die Eltern sind uns dankbar dafür, dass wir so aktiv sind und versuchen, Lösungen zu finden, damit ihre Kinder den Sport weiterhin betreiben können. Denn sie freuen sich auf jedes Training. Es tut daher weh, wenn es hierbei immer wieder zu Einschränkungen kommt.“

Den Kopf in den Sand zu stecken, stellt für den Lindenauer Abteilungsleiter dennoch keine Alternative dar. „Wir geben nicht auf“, verspricht Uth. „Wir müssen mit den Umständen zurechtkommen, wir erschaffen diese Umstände ja nicht und sind letztlich nur die Leidtragenden. Natürlich werden wir uns auch weiterhin dafür engagieren, dass unsere Sportler zu ihren Zielen kommen. Das ist klar – und ich hoffe, dass sich auch unser Sächsischer Landesverband diesbezüglich wieder mehr einbringt, denn das fehlt mir im Moment sehr.“

Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit

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