LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 79, seit 29. Mai im HandelMit seinem Marathon rund um den Leipziger Marktplatz hat Jens Körner mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Er machte aus der Not des Läufers in Coronazeiten eine Tugend. 136 Mal umrannte er den Platz. Außerdem lief der 47-Jährige schon in New York, in Boston, in einem Bergwerk und in einer Turnhalle. Im LZ-Interview erzählt er aus seinem verrückten Läuferleben.
Jens, du hast im April den Leipziger Marktplatz 136 mal umrundet und bist damit einen Marathon gelaufen. Wie bist du auf diese Idee gekommen, und was ist während der 136 Runden auf, am und neben dem Marktplatz passiert?
Aufgrund der Corona-Pandemie finden seit Mitte März keine Laufveranstaltungen mehr statt. Die Marathon-Events mit all ihren Facetten waren eine Bereicherung und Motivation in meinem bisherigen Läuferleben. Das vorerst nicht mehr erleben zu können, war zunächst ein großer mentaler Dämpfer. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens waren aus meiner Sicht alternativlos und so habe ich mich recht schnell mit der veränderten Situation arrangiert.
Ich suchte mir neue Ziele, um weiter das zu machen, was mir Freude bereitet: Marathon zu laufen. Auf den Leipziger Marktplatz bin ich gekommen, nachdem ich bereits alle Seen im Leipziger Umland Ende März und Anfang April abgelaufen bin. Die Innenstadt bot sich an, da aufgrund der Ausgangsbeschränkungen und geschlossener Geschäfte die Leipziger City fast menschenleer war.
Eine ideale Ausgangsbasis, um einen Straßenlauf in einer Innenstadt durchzuführen – und wo kann man das besser als mit Start und Ziel vor dem Alten Rathaus in Leipzig?! Einen geeigneteren symbolischen Ort, um in seiner Heimatstadt einen Marathon zu laufen, konnte ich mir nicht vorstellen.
Die Passantenzahl in der Stadt hielt sich während meines Laufes stark in Grenzen. Die wenigen, die vorbeikamen, waren sehr neugierig und überaus freundlich. Eine Busfahrerin der LVB winkte mir zu, vorbeikommende Läufer grüßten mich, ein Spaziergänger-Pärchen bot an, mir einen Kaffee zu holen, andere applaudierten oder riefen mir etwas Motivierendes zu. Trotz der Rundenlauferei war es recht kurzweilig für mich, und die Zeit verging sehr schnell.
Durch diesen Marathon sind mehrere Medien auf dich aufmerksam geworden, aber es war weder dein erster überhaupt, noch dein erster im April. Wie viele Marathons hast du bisher absolviert und wie regelmäßig läufst du einen?
Ich bin 2014 in Berlin meinen ersten Marathon gelaufen. Das hat mich so fasziniert, dass ich im Jahr darauf bereits neun Läufe über diese Distanz absolviert hatte. Vor Corona bin ich in der Regel zwei Marathons im Monat gelaufen. Seit Ende März laufe ich wöchentlich einen Lauf über mindestens 42,2 Kilometer. Das ist möglich, weil ich durch Corona einfach mehr Zeit zum Laufen habe. Die aufwendigen Reisen zu den Laufveranstaltungen sind ja komplett weggefallen. Jetzt bin ich bei 115 offiziellen Marathon- bzw. Ultraläufen, und es macht immer noch Spaß.
Wie hält das dein Körper aus? Für die meisten ist ein Marathon doch eine extreme körperliche Belastung.
Der Körper muss natürlich für die längeren Laufdistanzen trainiert sein. Meine Gelenke, Bänder und die Muskulatur haben sich gut an die ausdauernde Belastung gewöhnt, da habe ich keinerlei Probleme. Die meisten meiner Marathon-Läufe absolviere ich zudem in einem angenehmen und ruhigen Lauftempo, sodass die Beanspruchung für den Kreislauf gut dosierbar ist. Einen schnellen 10 Kilometerlauf zu rennen, empfinde ich für mich anstrengender, als einen ruhigen Marathon zu laufen.
Welche Tricks hast du bei der Marathon-Verpflegung?
Da gibt es gar nicht so viele Tricks. Bei einem Wettkampf habe ich in der Regel Energy-Gels dabei, und mit Wasser komme ich da gut über die Distanz. Ansonsten esse und trinke ich unterwegs das, was im Angebot ist. Einige Laufveranstalter meinen es da wirklich richtig gut mit uns Läufern. Beim Supermarathon auf dem Rennsteig gibt es Wiener Würstchen, Nutella-Brote, Fettbemmchen, Knackwürstchen und auch mal ein Bier. Beim Ahrathon, das ist ein Marathon im Ahrtal, gab es reichlich Wein an den Verpflegungspunkten, und auch da bin ich gut ins Ziel gekommen.
Wie und wann bist du zum Laufen gekommen und warum bist so eifrig?
Durch die Teilnahme beim Leipziger Firmenlauf bin ich zum Laufen gekommen. Mit hochrotem Kopf bin ich da nach fünf Kilometern im Jahr 2012 ins Ziel gekommen. Danach wollte ich zehn Kilometer schaffen und dann irgendwann Marathon laufen. 2014 erfüllte sich dann beim Berlin-Marathon dieser Traum. Die Freude und der Stolz, 42,2 Kilometer geschafft zu haben, ist nach wie vor da. Solange ich diese innere Begeisterung in mir spüre, werde ich weiter laufen.
Was macht für dich die Leidenschaft Laufen und die Leidenschaft Marathon aus? Du könntest doch auch einfach am Wochenende in den Garten fahren.
Laufen ist für mich ein Ausgleich zum Bürojob. Aber auch Möglichkeit, andere Menschen, andere Länder und andere Städte kennenzulernen. Marathon ist hierbei für mich die bisher reizvollste Distanz. Der Lauf über die 42,2 Kilometer erfordert Disziplin, Hartnäckigkeit, Ausdauer, mentale Stärke und noch mehr. Dazu kommen noch die Erlebnisse rund um die Marathon-Veranstaltungen. Ich bin in einem Bergwerk, in einer Sporthalle, in einem Bürohaus, in New York, Berlin, London, Tokio, Wien, Athen, Hamburg, Frankfurt, Köln, Chicago, Boston einen Marathon gelaufen. Das sind bleibende Erinnerungen, die mich auch jetzt durch die Coronazeit tragen.
Du bist sogar auch schon in Sibirien gelaufen. Wie kam es dazu?
Sibirien ist auch eine schöne Anekdote. Als ich zu Hause verkündete, ich nehme am Sibirien-Marathon teil, dachte jeder, ich reise nach Russland, um dort zu laufen. Es war allerdings anders. Im Internet bin ich auf Laufberichte über einen Sibirien-Marathon gestoßen. Da ich ein Fan von außergewöhnlichen Laufveranstaltungen bin, war meine Aufmerksamkeit geweckt. Sibirien ist ein parkähnliches Gelände am Stadtrand von Elmshorn.
Dort veranstaltet der Marathon-Weltrekordhalter Christian Hottas, ein Arzt aus Hamburg, seit mehreren Jahren einen Marathon. Auf einer idyllischen Strecke von 723 Metern ging es um einen See, mit Start und Ziel vor der Gaststätte „Sibirien“. Nach 59 Runden hatte ich dann im Februar 2019 meinen 85. Marathon absolviert. Gleichzeitig lief Christian Hottas an diesem Tag seinen 2.750. Marathon. Das war für mich schon eine große Ehre und ein tolles Erlebnis da mitzulaufen.
Wie ist deine Laufwoche strukturiert und welchen Materialverschleiß hast du?
Wenn ich innerhalb von sieben Tagen zwei Marathon-Läufe absolviere, dann steht die Regeneration im Fokus. Ich laufe dann ein- bis zweimal in der Woche im ganz ruhigem Tempo, dazu noch zwei Stabi-Trainingseinheiten. Eine solche Woche sieht dann wie folgt bei mir aus: Montag: Stabi. Dienstag: 1 Stunde Laufen mit ca. 10 Kilometer. Mittwoch: frei. Donnerstag: 1 Stunde Laufen mit ca. 10 Kilometer. Freitag: Stabi. Samstag: frei. Sonntag: Marathon.
Ich laufe etwa 60 Kilometer in der Woche. Als Läufer brauchst Du nicht viel an Material, um deinen Sport auszuüben. Ein Laufshirt, eine Laufhose und ein paar vernünftige Laufschuhe. Das reicht am Anfang. Ein Shirt und die Hosen halten ewig. Bei den Schuhen verbrauche ich circa drei Paar im Jahr. Als fortgeschrittener Läufer kann man sich dann auch eine Laufuhr leisten, um die gelaufene Strecke, das dazugehörige Lauftempo und die Kilometer besser im Blick zu haben.
Ein Marathon klingt für Laufanfänger wie das achte Weltwunder. Welche Tipps würdest du Laufanfängern geben? Vor nicht allzu langer Zeit warst du ja auch noch einer.
Wichtig aus meiner Sicht ist es, sich die Freude am Laufen zu bewahren. Ich erlebe es oft, dass sich sehr ehrgeizige Ziele gesetzt werden und dabei der Spaß an der Bewegung an der frischen Luft verloren geht. Als Tipp für den ersten Marathon oder auch für den ersten Lauf: Blendet die Zeit komplett aus. Lauft los, genießt, kommt gesund an und dann seid stolz auf das Erreichte. Eine schnellere Zeit kommt dann später von ganz alleine.
Ein Marathon ist nicht nur eine lange Strecke, sondern auch eine lange Zeit. Wie hältst du dich mental bei Laune?
Das ist ganz unterschiedlich. Bei einem größeren Stadtmarathon fokussiere ich mich auf die Sehenswürdigkeiten und die Zuschauer. Das hilft und lenkt von der Streckenlänge ab. Wenn ich mit jemandem zusammen laufe, wird zumindest auf der ersten Streckenhälfte viel geredet und sich über alles Mögliche ausgetauscht. Wer bei einem Lauf noch reden kann, ist noch nicht am Limit. Das ist bei einem Marathon auf den ersten 20 Kilometern immer ein Vorteil.
Bei Marathon-Läufen, die ich alleine absolviere, nutze ich die Zeit zum Nachdenken. Ich lasse meine Woche nochmal in Gedanken Revue passieren. Ich reflektiere, was gut und was schlecht war. Bis vor zwei Jahren habe ich immer noch meine Marathon-Läufe der Reihenfolge nach aufgezählt. Ab dem 50. Marathon ist das dann schwieriger geworden, und irgendwann habe ich dann aufgehört sie aufzuzählen. Dazu habe ich immer noch Musik dabei, und wenn es mir wirklich zu langweilig ist, dann mache ich meine Playlist mit meinen Lieblings-Laufliedern an. So bin ich bisher immer ganz gut über die Zeit bei einem Marathon gekommen.
Hast du inzwischen eine Lieblingsveranstaltung, vielleicht sogar in Leipzig?
In Deutschland ist der Berlin-Marathon jedes Jahr mein Highlight. Die Atmosphäre rund um das Marathon-Wochenende und die Begeisterung beim Lauf durch die Hauptstadt ist schon ziemlich einzigartig. Wenn ich gefragt werde: „Wo soll ich meinen ersten Marathon laufen?“, dann empfehle ich immer den Berlin-Marathon. Dort bekommst du am Start Gänsehaut und wirst von den Zuschauern ins Ziel getragen. Hier in der Region liebe ich den Skatstadt-Marathon in Altenburg. Anspruchsvolle Strecke, begeisterungsfähige Zuschauer, tolle Streckenverpflegung und ein sehr emotionaler Empfang auf dem Marktplatz in Altenburg. Das Ganze zu einem sehr fairen Startgeld.
Welche Trainings-Laufstrecken liebst du in Leipzig?
Ich bin oft im Clara-Park unterwegs. Da gibt es immer was zu sehen, und man trifft viele Läuferinnen und Läufer. Das macht das Laufen sehr kurzweilig. Für längere Läufe bevorzuge ich den südlichen Auwald mit Umrundung des Markkleeberger Sees. Das ist mein Lieblingssee zum Laufen.
Was würdest du dir für die Leipziger Läuferszene wünschen?
Die Leipziger Laufszene ist durch Social Media, also Facebook und Instagram, sehr gut vernetzt. Es gibt durch das Internet viele Möglichkeiten, sich zum gemeinsamen Laufen zu verabreden. Das ist jetzt natürlich durch die Corona-Pandemie stark eingeschränkt. Jetzt dienen diese Plattformen dazu, sich gegenseitig zu motivieren – ein wichtiger Aspekt, um in diesen bewegten Zeiten bei Laune zu bleiben. In Leipzig gibt es dazu noch einige (Lauf-)Vereine, denen man sich auch anschließen kann und eine gute Betreuung findet.
Das Angebot an Laufveranstaltungen für Läufe bis zehn Kilometer ist in Leipzig sehr gut. Da gibt es fast das ganze Jahr über die Möglichkeit, an Laufveranstaltungen teilzunehmen. Für Marathon-Läufer ist das Angebot noch ausbaufähig. Ich laufe viel in Berlin, weil es dort viele selbst organisierte Veranstaltungen über 42,2 Kilometer gibt. Da wird von Marathon-Enthusiasten eine Strecke vermessen, Urkunden selbst erstellt, Medaillen besorgt, Verpflegungspunkte organisiert und alles für interessierte Läufer ausgeschrieben. Fertig ist ein Marathon. Ich selber habe das in Leipzig jetzt auch schon zweimal mit Freunden so praktiziert.
Für den jährlichen Leipzig-Marathon im April wünsche ich mir mehr Läuferinnen und Läufer auf der 42,2 Kilometer-Strecke. Auch mehr anfeuernde Zuschauer in der Stadt würden der Veranstaltung sehr guttun. Auf der ersten Runde des Marathons kommt man sich als Marathonläufer doch ziemlich einsam vor. Für eine Sportstadt wie Leipzig ist das im Vergleich zu den Läufen in Dresden oder Hannover sehr ernüchternd. Da gibt es definitiv noch Luft nach oben.
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Die neue Leipziger Zeitung Nr. 79: Von Gier, Maßlosigkeit, Liebe und Homeschooling in Corona-Zeiten
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