LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 74, ab Freitag, 20. Dezember 2019 im HandelFür FreikäuferMaria Ludwig (31) und Jennifer Eckert (26) hat der Handballsport bisher ein Leben lang begleitet. Beide jagten auf der Platte zunächst selbst dem Ball hinterher und wurden schließlich Schiedsrichterinnen. Als Gespann führte sie ihr Weg schnell in die Bundesliga, wo sie 2018 als erstes Frauengespann aus Sachsen ein Spiel der 1. Bundesliga pfeifen durften.

Im selben Jahr wechselten die beiden vom SC Markranstädt zum SC DHfK Leipzig. Der LEIPZIGER ZEITUNG (LZ) gewährten sie im Interview einen Einblick in ihre Karriere als Schiedsrichterinnen.

Jennifer Eckert und Maria Ludwig, wie kommt man eigentlich darauf, Handball-Schiedsrichterin zu werden?

Ludwig: Jeder Verein ist verpflichtet, eine gewisse Anzahl an Schiedsrichtern zu stellen, um Spiele innerhalb des eigenen Spielbetriebes und natürlich im laufenden Spielbetrieb auf Bezirks- und Landesebene abzusichern. Aufgrund dessen kam mein damaliger Heimverein auf mich zu und hat gefragt, ob ich es mir vorstellen könnte. Ich musste nicht lange überlegen! So habe ich 2004 mit 15 Jahren als Schiedsrichterin begonnen.

Eckert: Bei mir war es ähnlich. Ich habe 2008 ebenfalls mit 15 Jahren begonnen. Da ich in meinem Heimverein jedes Wochenende das Kampfgericht abgesichert hatte, lernte ich einige Schiedsrichter kennen. Irgendwann wollte ich es dann selber einmal ausprobieren.

Und wie wird man dann tatsächlich zum Schiri?

Man wird vom Verein als zukünftiger Schiedsrichter gemeldet. Danach gibt es verschiedene Lehrgangstermine, bei denen das Handball 1×1 geschult wird. An einem dieser Termine ist die Teilnahme Pflicht. Basierend auf diesem Lehrgang muss man einen Regeltest bestehen und auch seine sportliche Leistungsfähigkeit und Fitness nachweisen.

Seit wann pfeifen Sie als Gespann gemeinsam, und wann hatten Sie es als Schiedsrichterinnen dann in die Bundesliga geschafft?

Wir pfeifen seit 2015 gemeinsam. Als eine Art Test, ob es zwischen uns passt, haben wir erst einmal zwei Landesspiele gepfiffen. Unser erstes Spiel in der 3. Liga hatten wir schließlich im September 2015. Zwei Jahre später haben wir 2. Bundesliga gepfiffen und seit 2018 sind wir in der 1. Bundesliga.

Was war das für ein Gefühl, zum ersten Mal ein Spiel der 1. Bundesliga pfeifen dürfen? Welches Spiel war das, und wie lief es für Sie?

Es kam für uns sehr überraschend, dass wir in unserer 1. Saison im DHB gleich diese Ansetzung bekamen. Wir haben uns riesig gefreut und konnten es anfangs gar nicht glauben. Die Vorfreude und Aufregung war groß. Es war das Spiel HC Rödertal gegen Neckarsulmer Sportunion, das am 14. April 2018 in Großröhrsdorf bei Dresden stattfand und das Kellerduell Letzter gegen Vorletzter war – es endete unentschieden. Wir wurden vor Ort von Schiedsrichter-Kollegen und Familie unterstützt. Nach den ersten Spielminuten war die Nervosität verflogen. So lief es gut für uns, und wir waren zufrieden.

Das Titelblatt der letzten LZ für 2019. Leipziger Träume zum Jahresschluss. Foto: Screen LZ
Das Titelblatt der letzten LZ für 2019. Leipziger Träume zum Jahresschluss. Foto: Screen LZ

Um ganz hochzukommen, muss man nicht nur konstant gute Leistungen abrufen, sondern auch Glück haben, dass die Leute am Ruder einem das Vertrauen schenken. Ist Letzteres bei Frauen mehr nötig als bei Männern?

Grundvoraussetzung für einen Aufstieg auf Schiedsrichterebene ist es – wie Sie schon gefragt haben –, konstant gute Leistungen abzurufen. Wir versuchen, auf der Platte jede Woche unser Bestes zu geben und das Spiel bestmöglich zu leiten. Daher glauben wir nicht, dass es bei Frauen und Männern große Unterschiede gibt. Jeder muss seine Leistung bringen und basierend auf dieser wird einem Vertrauen geschenkt.

Schiedsrichter in der Handball-Bundesliga zu sein, soll ein zeitintensiver Job sein. Wie sieht die Vor- und Nachbereitung bei einer Ansetzung aus, ergo was beinhaltet eine Ansetzung für Sie?

Sie haben recht, das ist ein zeitintensiver Job. Wir bekommen die Ansetzungen immer monatsweise, aber trotzdem denken wir immer nur von Wochenende zu Wochenende. Vor einem Spiel schauen wir uns die Tabellenkonstellation sowie die geografischen Gegebenheiten an, also ob es sich z. B. um ein Derby handelt.

In der heutigen Zeit haben wir glücklicherweise die Möglichkeit, dass auf unserer Pfeifebene etwa 99 Prozent aller Spiele auf Video vorliegen. Meist schauen wir in Spiele rein, die kurz vorher waren, um taktische Besonderheiten – wie z. B. die Abwehrsysteme – oder herausstechende Spieler zu erkennen. So machen wir es uns auch leichter, wenn wir schon wissen, was eventuell auf uns zukommen kann.

Die Anfahrtszeiten variieren von Wochenende zu Wochenende. Die Entfernungen betragen zwischen 150 und 450 Kilometer für eine Strecke. Zum Teil kann es auch vorkommen, dass wir an beiden Wochenendtagen eingesetzt werden. Meist schauen wir uns die Spiele im Nachgang noch mal an, wenn wir selber gemerkt haben, dass eine Entscheidung nicht gepasst hat oder wir bei ein, zwei Entscheidungen unsicher waren.

Wie viele Spiele leiten sie pro Jahr ligenübergreifend?

Wir kommen auf etwa 35–40 Einsätze im Jahr.

Warum tun sie es dann, statt Zeit mit Familien und Freunden zu verbringen? Was macht die Faszination Handball bzw. Schiedsrichterin aus?

Es ist faszinierend, vor vollen Hallen pfeifen zu dürfen. Und je höher man kommt, umso attraktiver, schneller und technisch besser werden die Spiele. Wenn man einmal in den oberen Bereichen Blut geleckt hat, strebt man automatisch nach mehr. Oft kannte man einige Spieler, Spielerinnen, Trainer oder Funktionäre nur vom Fernsehen, doch jetzt ist man unmittelbarer Bestandteil dieser Handballwelt.

Trotzdem versuchen wir so viel Zeit wie möglich mit unseren Familien und Freunden zu verbringen. Natürlich hätten wir ohne das Schiedsrichterleben mehr Zeit dafür, aber man empfindet es dadurch intensiver und versucht diese freie Zeit auch effektiver zu nutzen. Unsere Familien und Freunde sind ja über die Jahre mitgewachsen. Sie haben dafür Verständnis, akzeptieren das und unterstützen uns. Ansonsten wäre das sowieso alles nicht möglich.

Im Gegensatz zu anderen Sportarten sind Sie zu zweit. Wie entwickelt man als festes Schiedsrichter-Gespann diesen Team-Gedanken, und was ist Ihnen bei dem anderen in dieser Zusammenarbeit wichtig?

Der Teamgedanke steht schon im Fokus. Wir sind Freunde und treffen uns auch privat. Klar schweißen die gemeinsamen Erfahrungen – negativ wie positiv – sowie die Erfolge und Misserfolge zusammen. Wir fahren immer zusammen zum Spiel, sprechen auch nach dem Spiel offen miteinander. Vor den Spielen und auch danach haben wir unsere Rituale.

Beide wechselten 2018 zum SC DHfK. Foto: Thomas Strieter
Beide wechselten 2018 zum SC DHfK. Foto: Thomas Strieter

Was genau sind das für Rituale?

Maria ist für die Anfahrtsplanung und die Wochenendgestaltung verantwortlich. Vor dem Spiel gibt es immer dieselben Getränke und Süßigkeiten – und jeder hat seine Aufgabe für die technische Besprechung. Vor dem Spiel machen wir in der Kabine unser Aufwärmprogramm mit Stabi-Kissen und Black Roll. Jeder von uns hat seine feste Kampfgericht-Tischseite, wo das Wasser steht und die Jacke hängt. Und wenn es die Zeit zulässt, spielen wir „Mensch ärgere dich nicht“.

Stimmt es, dass Frauen weniger als die Männer verdienen?

Es gibt keinen finanziellen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Gespannen. Jeder verdient in der 1. Bundesliga Frauen/ Männer dasselbe! Es gibt nur Unterschiede zwischen den Ligen, denn man verdient im Männerbereich mehr als bei den Frauen.

Das liegt daran, dass bei Männerspielen, z. B. der physische Druck ein anderer ist, die Hallen voller sind und es bei jedem Spiel eine Fernsehübertragung gibt. Alles ist also sofort und überall einsehbar.

Inwieweit prägt das Pfeifen Ihre Persönlichkeit?

Dadurch, dass wir selber auch als Spielerinnen aktiv waren, sind wir beide stark im Bereich Teamgedanke unterwegs. Weiterhin hilft es uns privat weiter, dass wir uns jede Woche auf die unterschiedlichsten Charaktere einstellen und versuchen müssen, bestmöglich mit diesen zu agieren.

Auch Zeitmanagement spielt eine wichtige Rolle. Die Tatsache, dass wir schnell viele Entscheidungen treffen, hilft ebenfalls ungemein. (lachen)

Sie sprachen davon, selbst Handball gespielt zu haben. Wann und bei welchen Vereinen war das denn?

Ludwig: Ich habe 2000 beim SC Markranstädt mit Handball spielen angefangen. Ab 2007 habe ich dann bei mehreren Vereinen im Leipziger Umland gespielt. 2010 folgte der Wechsel zum SHV Oschatz, was spielerisch meine erfolgreichste Zeit war: Aufstieg in die 3. Liga, zweimal Sachsenpokal-Sieger und Teilnahme am DHB-Pokal-Achtelfinale. Bis 2017 konnte ich noch nicht ganz loslassen vom selber spielen.

Eckert: Ab 1999 habe ich bei Blau-Rot Coswig gespielt. Ich bin dem Verein bis 2016 immer treu geblieben und gehörte dem Landeskader Sachsen-Anhalt an. Der Verein hat mir diese Treue mit der Ehrenmitgliedschaft als Jüngste gedankt.

Paulina Kayßer im Interview „So eine super Trainingsgruppe findet man nicht oft“

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