LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus der Ausgabe 46Für FreikäuferFür Menschen, die sich ein wenig mit den unwägbaren Verläufen von Insolvenzen auskennen, war nach der Insolvenzanmeldung der HC Leipzig Bundesliga GmbH aufgrund der Prominenz des Namens und der Emotionen im Sport allgemein vor allem eines erwartbar: Schnell fand man medial in Geschäftsführer Kay-Sven Hähner einen Schuldigen, es regnete Häme, böse Kommentare. Und vor allem gab es hektische Artikel, die mit Zahlen um sich warfen, auf neue Präsidiumsmitglieder im Verein (sämtlich falsch) pokerten und einen alten, deutschen Reflex bedienten: Insolvenz heißt Pleite und Vernichtung. Und irgendwer muss dafür hängen.

Womit sie bereits zu diesem Zeitpunkt etwas zu wissen vorgaben, was noch nicht einmal die vorläufige Insolvenzverwaltungskanzlei „Stapper Insolvenz- und Zwangsverwaltung“ aus Leipzig mit dem bestellten Juristen Christoph Alexander Jacobi an der Spitze sicher sagen kann. Bis heute übrigens nicht.

Und so führt Rechtsanwalt Felix Melzer für die Stapper Insolvenzverwaltung den Stand der Erkenntnisse gegenüber der LZ so auf, wie man ihn derzeit seriös beziffern kann. „Laut dem Insolvenzantrag vom 15.07.17 sei die HC Leipzig Bundesliga GmbH mit EUR 1,4 Mio. verschuldet und habe Außenstände über ca. EUR 300.000,00. Diese Angaben zu prüfen ist Aufgabe des vorläufigen Insolvenzverwalters. Die Ermittlungen dauern noch an.“ Mehr gibt es einfach zur GmbH nicht zu sagen, die Profi-Spielerinnen sind fast allesamt bei anderen Vereinen untergekommen, der Rest sind Gerüchte.

Die Ursachen für die vagen Zahlenangaben bei den realen Schulden und hohen Spannen von möglichen 500.000 Euro bis hinauf zu den 1,4 Millionen in den derzeitigen Schätzungen sind hingegen einfach. Im Zuge einer Insolvenz werden auch zurückliegende Geschäfte geprüft, Außenstände auf ihre Rechtmäßigkeit abgeklopft und Forderungen der insolventen GmbH erbarmungsloser eingetrieben, als es ein Geschäftsführer ohne Insolvenzverwalter könnte. Darüber hinaus hat schon so mancher die Erfahrung gemacht, dass Insolvenzverwalter keinen Gerichtstermin scheuen, um Forderungen abzuwehren oder Einkünfte für die Firma in ihrer Verwaltung einzutreiben.

Mit einfachen Worten: Von einer vollständigen Entschuldung bis zum endgültigen Ende der HC Leipzig Bundesliga GmbH scheint derzeit alles möglich, die Spannbreite der Prognosen reicht von Phöenix bis zur kalten Asche. In ruhigem Juristendeutsch seitens Melzer, was denn nun geplant sei: „Zu den internen Absichten des Vereins können wir keine Aussagen treffen. Es erscheint jedoch denkbar, die GmbH nach einer möglichen Entschuldung zu nutzen, um den organisatorischen Anforderungen des geplanten Wiederaufstiegs in die Bundesliga genügen zu können. Die konkrete Gestaltung liegt allerdings ausschließlich im Ermessen des Vereins.“

Sicher ist dort derzeit wohl nur, dass die HCL-Reise nun wieder in der 3. Frauenhandballliga und mit dem Nachwuchs beginnt, die Zeit der 1. Bundesliga vorerst vorbei ist und kommende Spiele nun durch den HC Leipzig e.V. in der Ernst-Grube-Halle und an der Brüderstraße ausgetragen werden. Sicher ist auch, dass die Schulden der insolventen GmbH, welche der Verein als bislang alleiniger Gesellschafter vor allem für die Bundesliga als Antrittsbedingung zur Gefahrenabwehr bei Zahlungssorgen braucht, noch nicht genau zu beziffern sind.

Der Verein hat auf seiner außerordentlichen Mitgliederversammlung am 17. August 2017 seine eigene weitgehende Schuldenfreiheit verkünden können, es habe Schuldenerlasse seitens der Gläubiger in Höhe von über 150.000 Euro gegeben. Darunter nach LZ-Informationen eine Bank, die wohl nicht ganz freiwillig von einem seltsamen Bürgschaftsdeal Abstand nahm. Der Verein kann also starten, doch noch verfügt er über eine eher wacklige Arbeitsstruktur – zumal ohne die GmbH, welche vorher quasi alles regelte, Büroräume hat und in Besitz aller weiteren Grundlagen wie Vertragsvorlagen, Kompetenzen, IT bis hin zu Mobiliar ist. Auf bestimmten Ebenen braucht man sich also durchaus noch – so zwischen GmbH und Vereinsvorstand um den neuen Vorsitzenden Rainer Hennig.

Ebenfalls klar ist, dass sich nun auch die Einnahme- und Ausgabeverhältnisse im laufenden Betrieb grundlegend ändern. So gibt es keinen Spielerinnenkader und Trainerstamm mit berechtigten Gehaltsforderungen mehr, die Mietzahlungen, wie sie noch die Arena Leipzig GmbH aufmachten, sind in der Brüderstraße in dieser Höhe Geschichte.

Und es wird nun aktuell vor allem von den Leipzigern abhängen, wieder bei „den Mädels“ Stimmung in der Halle zu machen und Eintritt zu zahlen. Denn auch dies gehört zur bisherigen Insolvenzgeschichte des HC Leipzig zwingend hinzu. Waren vor dem unaufhörlichen Aufstieg des RB Leipzig teils 5.000 bis 6.000 Besucher in der Sportarena zu Gast, sank das Interesse ab der 2. Bundesliga von RB auf durchschnittlich rund 2.000 Besucher pro Spiel ab. Gleichzeitig stiegen nach LZ-Informationen die Sponsorengelder nicht mehr, sondern stagnierten bei steigenden Kosten von Mieten über Fahrtkosten bis hin zu Gehältern bei 1,4 bis 1,8 Millionen Werbeetat pro Saison.

Alles Einnahmen, die zunehmend in der Kasse vermisst wurden, trotz internationaler Spiele. Denn eben zum Beispiel die Champions League barg neben dem Renomée anders als im Fußballprofisport eher das Risiko einer Kostenfalle. Wenn es aus Beobachter-Sicht zu Prestige-Duellen beispielsweise nach Rostov am Don ging, halfen keine exorbitanten TV-Gelder bei der Refinanzierung der Kosten.

So blieben beispielsweise eben jene Campions League-Ausflüge nach Russland nach LZ-Informationen sogar als Minus in der Bilanz stehen. Befasst man sich mit Zahlen rings um den HC Leipzig, kann einen eher das Gefühl beschleichen, wie lächerlich wenig Geld generell in einer Sportart mit hohem Leistungsanspruch und jahrelangem Training allgemein umgesetzt wird. Und wie nah bei jedem Handballclub in Deutschland Erfolg und Absturz letztlich beieinanderliegen. Eine Sponsorenabsage kann so zum raschen Aus führen.

Apropos Minus: Geschäftsführer Kay-Sven Hähner hat in all der Zeit die Verantwortung gehabt und wohl auch mehr als einmal getragen. Nicht nur, als er vor dem Schiedsgericht Recht behielt und sich die Entscheidung der Frauenhandballliga den HCL in der ersten Entscheidung nicht zum Bundesliga-Spielbetrieb zuzulassen, als schlicht falsch erwies. Das nachfolgend ausbleibende Geld eines Sponsors, welche den Neustart zusicherte, wird – schaut man auf die 20-jährige Erfahrung Hähners als Manager beim HCL – zwingend vertraglich gesichert sein. Welche Folgen dies nun für den Partner, welcher die Zahlung nicht leistete, haben wird, ist mindestens offen und nun Sache des Insolvenzverwalters.

Wer also die Verantwortung für die auf den Zahlungsausfall folgende Kettenreaktion tragen wird, auch. Insolvenzanwalt Felix Melzer dazu: „Es existieren Zusagen von Sponsoren, für den weiteren Spielbetrieb in der ersten Liga entsprechende Gelder zur Verfügung zu stellen. Allerdings sind diese Zusagen weitgehend an die Bedingung ‚Klassenerhalt‘ geknüpft, so dass nicht alle Sponsorengelder tatsächlich eingefordert werden können. Der vorläufige Insolvenzverwalter prüft derzeit, welche Ansprüche die HC Leipzig GmbH geltend machen kann.“

Auch für Kay-Sven Hähner selbst ist die Situation offen. Seit November 2016 verzichtete der Leipziger nach LZ-Informationen auf sein Gehalt und gab darüber hinaus selbst der klammen GmbH ein Darlehen. Heute dürfte er also zumindest drei Monate lang, wie alle, die es betrifft, sogenanntes Insolvenzausfallgeld erhalten und ist so nach fast 9 Monaten ohne Bezahlung das erste Mal wieder mit einem Gehalt in der Tasche unterwegs.

Noch ist Hähner Geschäftsführer – ob er will oder nicht. Im Falle einer Insolvenz ist er so oder so zur Mitwirkung bei den Bemühungen eines Insolvenzverwalters verpflichtet.

Der Artikel erschien am 25.08.17 in der aktuellen Ausgabe der LEIPZIGER ZEITUNG. An dieser Stelle zum Nachlesen auch für L-IZ.de-Leser.

Dieses und weitere Themen finden sich in der aktuellen LZ-Ausgabe, welche neben den normalen Leipziger Presseshops hier im Szeneverkauf zu kaufen ist.

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