LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 77, seit 27. März im HandelDas Fußballmagazin Kicker schlägt Alarm. Unter der Schlagzeile „Deutschland verliert 3.450 Nachwuchsteams in einem Jahr!“ wird ein dramatischer Rückgang der Anzahl junger Fußballerinnen und Fußballer beschrieben. Die LEIPZIGER ZEITUNG (LZ) nahm dies zum Anlass, beim Sächsischen Fußball-Verband (SFV) nachzufragen, wie sich die Situation im Freistaat darstellt. Ein Interview mit SFV-Präsident Hermann Winkler.
Im Interview spricht Hermann Winkler unter anderem über positive Stagnation, sächsische Maßnahmen und die Notwendigkeit wirklicher Hilfe und Unterstützung statt politischer Sonntags-Reden.
Herr Winkler, wie das Fußballmagazin Kicker am 9. März 2020 vermeldete, wurden im Jahr 2019 deutschlandweit 3.450 Mannschaften vom Spielbetrieb abgemeldet. Wie ist die Lage bzw. wie sind die Zahlen in Sachsen?
Wir unterbreiten gemeinsam mit unseren Vereinen den 157.832 Mitgliedern nach wie vor das größte Angebot für Bewegungsförderung im gesamten Freistaat. Der negative Trend wirkt sich auf die Vereine in Sachsen nicht so dramatisch aus. Trotzdem beobachten wir die Zahlen genau. Der Kicker beziffert in dem Beitrag den Verlust an Mannschaften zwischen 2009 und 2019 auf 18 Prozent. In Sachsen hatten wir in diesem Zeitraum einen Zuwachs von 8,6 Prozent.
Der Höhepunkt während dieser Periode lag 2017 bei 6.431 gemeldeten Mannschaften. Seit 2018 verzeichnen wir im Nachwuchsbereich eine positive Stagnation, also entgegen dem Trend der demografischen Entwicklung. Anhaltende moderate Verluste müssen wir jedoch im Herrenbereich hinnehmen. Demgegenüber stehen allerdings Zuwächse in den jüngsten Altersklassen G, F, E sowie im Ü-Bereich. In Zahlen ausgedrückt: Im Vergleich zu 2018 haben 2019 (6.334) 31 Mannschaften weniger am Spielbetrieb teilgenommen.
Welche Gründe sehen Sie für diese Entwicklungen?
Die Kollegen Meikel Schönweitz und Markus Hirte vom DFB haben in dem Kicker-Beitrag schon einige mögliche Ursachen aufgezählt. Dem schließe ich mich grundsätzlich an. Ergänzen möchte ich noch die Auswirkungen der demografischen Entwicklung. Die geburtenschwachen Jahrgänge spüren unsere Vereine jetzt vor allem im Erwachsenenbereich.
Welche Gegenmaßnahmen wird der SFV ergreifen?
Schauen Sie, auch hier gebe ich den Kollegen vom DFB recht. Als Verband können wir gewisse gesellschaftspolitische und soziale Entwicklungen nicht im Alleingang beeinflussen. Was wir allerdings tun können, ist den Vereinen ein Bündel an Instrumenten an die Hand zu geben, mit denen sie die unterschiedlichen Herausforderungen anpacken können. Hier hebe ich vor allem unsere Qualifizierungsoffensive heraus.
Allein 2019 haben wir 208 C- und 42 B-Lizenzen ausgestellt. Zusätzlich stecken noch 316 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Ausbildung. Unser Junior-Coach-Projekt, bei dem wir mit unseren Kooperationsschulen im gesamten Freistaat junge Menschen auf eine Lizenzierung im Speziellen und einem Ehrenamt im Allgemeinen vorbereiten, ist ein großer Erfolg.
Unser gemeinsames Ziel ist die Attraktivität des Spielbetriebs aufrechtzuerhalten. Dafür steht unsere Spielklassen-Strukturreform im Herrenspielbetrieb und auch bei den Junioren ist die Diskussion angestoßen. Es geht uns vor allem um die Flexibilisierung und altersgerechten Kinder- und Jugendfußball.
Als ein Grund wird zudem vermutet, dass sich der Profifußball immer mehr von der Basis entfernt und Stadionbesuche nicht mehr so billig sind. Inwieweit teilen Sie diese Ansicht?
Vorbilder sind wichtig! Das hat der Weltmeistertitel 2014 bewiesen. Die Vermutung, dass Eintrittskartenpreise Auswirkungen auf den Mannschaftsrückgang haben, ist allerdings etwas weit hergeholt. Für uns ist wichtig, dass unsere Amateurvereine auch weiterhin ihre eigene, regionale Identität aufrechterhalten und ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens bleiben.
Außerdem konkurriert „realer“ Fußball zunehmend mit dem virtuellen, beispielsweise auf Konsolen. Wie sehr ist Ihrer Meinung nach daher der Trend vereinbar, dass immer mehr Vereine eine eSports-Abteilung aufbauen?
Tut er das tatsächlich? Diese Auffassung teilen wir nicht. Ganz im Gegenteil. Laut aktuellen Studien sind mehr als die Hälfte der aktiven Fußballer in ihrer Freizeit auch Konsolenspieler. Außerdem ist es eine Möglichkeit für Vereine, alternative Angebote zu schaffen, die sich nicht an das enge Korsett eines Wettspielbetriebs halten müssen. Nichtsdestotrotz fokussieren wir uns auf die Herausforderungen, die unsere Vereine beim „echten“ Fußball beschäftigen.
Zu strenge oder unqualifizierte Trainer wurden auch im Kicker als Grund genannt. Noch ist die Absolvierung einer Lizenz für den Leistungsfußball an Bedingungen geknüpft, unter anderem die Note in der vorherigen Lizenzausbildung, Eignungsprüfung, Eignungsgespräch. Ist dieses Modell noch zeitgemäß?
Das Modell ist nicht nur zeitgemäß, sondern auch zwingend notwendig. In Zeiten von besorgniserregenden Respektlosigkeiten in allen gesellschaftlichen Bereichen möchten wir zum einen die Trainerinnen und Trainer genau kennen und sie zum anderen so gut wie möglich auf die Aufgaben vorbereiten. Denn es sind vor allem sie, die mit ihrer Arbeit Einfluss auf die persönliche und soziale Entwicklung unserer Kinder nehmen.
Und wie kann der Verband tätig werden, um Trainer zu überzeugen, überhaupt in die Lizenzierung einzusteigen?
Unser Junior-Coach-Projekt habe ich bereits erwähnt. Damit holen wir die Trainerinnen und Trainer von morgen schon sehr früh ab. Trotzdem müssen die Vereine auch selbst Initiative ergreifen, um beispielsweise ihre Mitglieder für eine Lizenzierung zu motivieren.
Wie blicken Sie der Zukunft des Fußballs in Sachsen entgegen?
Ich blicke nach wie vor zuversichtlich in die Zukunft. Unsere Spitzenvereine liefern schon seit Jahren ab und bieten uns im gesamten Freistaat Topfußball. Unsere Nachwuchsleistungszentren funktionieren in Zusammenarbeit mit unserer Talentförderung hervorragend, und es werden Jahr für Jahr junge Talente aus Sachsen für die U-Nationalmannschaften nominiert. Auch im Hinblick auf das Schiedsrichterwesen ist die Situation in Sachsen noch sehr komfortabel.
Und auch wenn mir dafür jetzt valide Zahlen fehlen, gehe ich davon aus, dass sich die Situation in den ländlichen Gebieten wieder entspannen wird. Es wird zwar dauern, aber es ist nicht nur meine persönliche Wahrnehmung, dass immer mehr junge Familien zurück aufs Land gehen. Sie sehen also, dass wir an vielen Fronten kämpfen.
Jetzt gilt es noch, die politischen Ebenen zu sensibilisieren und zu aktivieren, sodass unsere Vereine keine Kinder mehr wegschicken müssen, weil es an Platzkapazitäten fehlt. Unsere 20.000 Ehrenamtlichen leisten Woche für Woche einen großen gesellschaftlichen Beitrag und sie brauchen dafür nicht nur Sonntags-Reden sondern wirkliche Hilfe und Unterstützung.
Link zum erwähnten Kicker-Artikel vom 09.03.2020:
https://www.kicker.de/771787/artikel
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