Trotz Derby-Niederlage war der Sonntag für Rainer Lisiewicz ein einigermaßen glücklicher Tag. Der Lok-Cheftrainer feierte seinen 70. Geburtstag. Der Jubilar erlebt aktuell eines seiner aktivsten Jahre und ist auch im achten Lebensjahrzehnt noch immer nicht an Ruhestand interessiert.

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Rainer Lisiewicz viel Zeit. Im Krankenhaus ließ er Hüfte und Bandscheibe generalüberholen. 16 Jahre Leistungssport hatten ihre Spuren hinterlassen. Was für zahlreiche Rentner einen Einschnitt bedeutet, der nicht immer komplikationslos verläuft, war für „Lise“, wie er genannt wird, kein großes Problem. Drei Monate später war er erstmalig Trainer einer Regionalligamannschaft und ist es bis heute – wenn auch nicht in voller Verantwortung. Weil Loks bisheriger Trainer Björn Joppe noch nicht über die notwendige Trainerlizenz verfügt, sitzt der Fußballlehrer Lisiewicz seither mit auf der Trainerbank.

Aus dem kompletten Ruhestand war er ohnehin nicht gekommen. Der gebürtige Dahlener arbeitet nach wie vor als Sportlehrer und ist Präsident des SV Naunhof, wo er auch zuletzt als Trainer arbeitete. Seine größte Zeit als Trainer hatte er allerdings bei Lok. Zwischen 2004 und 2009 betreute er den „neuen“ 1. FC Lok und stieg viermal in Folge auf, was damals – abgesehen von dem Aufstieg aus der 3. Kreisklasse – nicht unbedingt nur einfach war. Seitdem ist Lisiewicz eine Legende in Probstheida, wo er zwischen 1968 und 1978 auch als Spieler aktiv war.

Schon als Kind spielte „Lise“ jede freie Minute mit seinem Bruder auf der Straße, sein Vater setzte sich dafür ein, dass die Jungs Fußball spielten. Die Mama sah es lieber, wenn die Söhne sonntags in die Kirche gingen. Ihrem Mann warf sie sogar einmal die Fußballschuhe hinterher, erinnerte sich Lisiewicz einst. Dessen berühmter Onkel Klaus, Mitglied der Chemie-Meisterelf von 1964, ließ ihn dann weiter vom Profifußball träumen.

Regelmäßig fuhr er mit dem Bus nach Leipzig, um seinen Onkel bei Chemie spielen zu sehen. „Meist kam ich erst in der zweiten Halbzeit an und war auch erst Mitternacht wieder zu Hause“, so Lisiewicz im Buch „125 Jahre – Die Geschichte des ersten deutschen Meisters“.

Mit 19 von Chemie zu Lok gewechselt

Sein fußballerischer Weg führte zunächst bis ins Nachwuchsinternat der BSG Chemie, wo ihn ausgerechnet zwei Lok-Funktionäre abwarben. Sein Onkel Klaus riet ihm zu dem Wechsel: „Bei Chemie haste keine Zukunft, die schicken dich auch bloß zur Armee.“ So wechselte der damals 19-jährige Lehrerstudent nach Probstheida, wo er als Spieler der 3. Mannschaft zufällig für ein Testspiel der ersten gegen die zweiten Herren ausgewählt wurde und dem damaligen Topverteidiger Michael Faber solche Probleme bereitete, dass der Jungspund tags darauf aus der Uni geholt wurde. Funktionäre teilten ihm mit, dass er fortan für die 1. Mannschaft auflaufen sollte.

So begann seine Profifußball-Karriere. Mit Lok stieg er in die DDR-Liga ab, erreichte dreimal ein FDGB-Pokalfinale und gewann 1976 auch diesen Pokal. 1973/74 schaffte es Lok auch Dank der Lisiewicz-Tore gegen den AC Turin und Fortuna Düsseldorf bis ins Halbfinale des UEFA-Pokals, wo erst gegen Tottenham Hotspur Endstation war.

Ab 1978 ließ er seine Karriere ausklingen und konzentrierte sich auf den Lehrerberuf und die Absolvierung aller Trainerlizenzen. Über die Stationen Motor Geithain und Motor Grimma kam er zur Wendezeit nach Merseburg, wo ihm über Nacht die halbe Mannschaft in den Westen weglief, darunter auch der spätere Bundesliga-Profi Silvio Meißner.

Nach weiteren zehn Jahren in Grimma wechselte Lisiewicz ursprünglich als Sportdirektor zum damaligen VfB Leipzig. Präsident Reinhard Bauernschmidt hatte den Grimmaer Trainer mit Stallgeruch nach Probstheida gelotst. „Aber das war mein größter Fehler. Da war das blanke Chaos“, erinnerte sich „Lise“. Das Rendezvous war nach wenigen Monaten beendet, der VfB ging pleite, und für den Nachfolge-Club Lok wurde Lisiewicz als Trainer gewonnen.

In einer kuriosen Erstsaison in der 3. Kreisklasse spielte Lok gelegentlich mit alten Idolen. So streiften sich Dieter Kühn, Frank Baum, Bernd Hobsch, Henning Frenzel und andere noch einmal das Lok-Trikot über. Die Idee dazu hatte Lisiewicz mit dem damaligen A-Jugend-Trainer Andreas Schmidt.

„Das waren herrliche Jahre“

Loks Wiederauferstehung geriet zum Triumphzug, und binnen vier Jahren hatte Lisiewicz die Mannschaft auch Dank der Fusion mit Torgau in die Oberliga zurückgeführt. Nach Kompetenzgerangel mit dem Präsidium um Steffen Kubald endete die Ära abrupt im Mai 2009. „Das waren herrliche Jahre und ich bin heute noch überzeugt, dass wir im zweiten Oberliga-Jahr den Aufstieg geschafft hätten.“

Doch es kam anders: Unter Lisiewiczs Nachfolgern konnte Lok die erste Saison in der Oberliga nicht wiederholen. Erst Heiko Scholz gelang es 2016 unter ganz anderen finanziellen Voraussetzungen, den 3. Platz in der Saison 2008/2009 zu überbieten.

Nun also ist Lisiewicz wieder beim 1. FC Lok, diesmal eine Liga höher. Zunächst läuft sein Vertrag bis 2020, Kollege Joppe arbeitet eifrig an der nächsten Lizenz und wird bis 2020 wohl noch nicht „alleine“ coachen dürfen. „Ich mache das solange ich gebraucht werde“, bleibt Lisiewicz entspannt. Und so hält er es auch mit seinem Job als Sportlehrer und als Präsident. „Mit 70 Jahren noch so aktiv sein zu können, ist ein absolutes Privileg, was ich sehr zu schätzen weiß.“

Was ist da schon eine Derby-Niederlage am Geburtstag…

BSG Chemie Leipzig vs. 1. FC Lok Leipzig 2:0 – Grün-Weiß ist verdienter Derbysieger

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