LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 70, seit 23. August im HandelNach 219 Pflichtspielen für den 1. FC Lok Leipzig hat Verteidiger Markus Krug Mitte Mai seine Karriere beendet. Der Rekordspieler des neuen FCL wird sich am 6. September mit dem Spiel Team Lok gegen Team Krug & Friends von den Fans verabschieden. Im großen LZ-Interview gibt Krug Einblicke in seine Zeit bei den Blau-Gelben. Es geht um eingeschlagene Scheiben, tote Tiere, tolle Menschen und viele Vorbilder.
Markus Krug, Sie spielten von 2009 bis 2019 für den 1. FC Lok. Eine lange Zeit. Wie würden Sie die Zeit unterteilen?
Das ist nicht so leicht. Ich kann mich noch an mein erstes Jahr bei Lok erinnern. Da habe ich mich auch gefragt, wo ich denn hier gelandet bin. Als ich auf das Gelände kam, bin ich an der Kunstrasenhalle vorbeigefahren. Da waren Scheiben eingeschlagen. Wie ich beim Training später feststellte, lagen die Scherben in der Halle, daneben tote Tiere. Ich dachte, die würde jemand mal wegmachen. Aber nein! Die lagen noch monatelang dort. Wir hatten anfangs auch zwei Mannschaftskabinen.
Teilweise haben wir uns nur auf dem Platz gesehen, und die Kabinen waren zudem in alt und jung aufgeteilt. Erst unter Marco Rose 2012 wurde dies geändert. Das Umfeld ist in den Jahren wesentlich professioneller geworden. Jetzt hat Lok neben der sanierten Halle sogar einen Kunstrasenplatz.
Abgesehen vom Umfeld – wie haben Sie die sportliche Entwicklung des FCL erlebt?
In meinem ersten Jahr haben wir in einer Trainingseinheit taktisch 11 gegen 0 gespielt, und wir haben es nicht mal geschafft, ohne gegnerischen Torwart ein Tor zu erzielen. Am Anfang war es sehr amateurhaft, weil der Verein sehr, sehr schnell gewachsen ist und ruckzuck wieder in der Oberliga war, wo es mit dem professionellen Fußball einigermaßen losgeht. Mit Willi Kronhardt haben wir meines Erachtens den ersten sportlichen Schritt nach vorn gemacht (Kronhardt kam Anfang 2012/ Anm. d. Red.).
Da wurde im Training, bei der Spielauswertung und bei der Spielvorbereitung vollkommen akribisch gearbeitet. Er hat sich den Nachwuchs angeguckt, und plötzlich hatten alle eine Koordinationsleiter. Er hat sich bemüht, dass alle Teams im Nachwuchs die gleiche Philosophie verfolgen. Mit ihm kam dann auch ein anderes Spielermaterial, Christopher Gäng als ehemaliger Bundesligaspieler beispielsweise.
So wurde langsam der Lok-Kosmos erweitert, es mussten nicht mehr alle eine Lok-/ VfB-Vergangenheit haben. Die Trainer und Funktionäre, die danach am Ruder waren, hatten ein größeres Netzwerk.
Immer wieder betonen Sie, wie einmalig die Zeit unter dem jetzigen Bundesliga-Trainer Marco Rose war. Was unterscheidet ihn von den anderen neun Trainern, die Sie bei Lok erlebt haben?
Nach jahrelanger Oberliga haben wir uns erst unter Kronhardt weiterentwickelt. Es waren dann eben nicht nur lange Bälle nach vorn und gucken, was passiert. Mit Rose und seinem Co-Trainer Roland Vrabec haben wir dann auf einmal Passformen gemacht, bei denen wir auf den jeweiligen Fuß geachtet haben, der für die Spielfortsetzung sinnvoll ist. Darauf hatten wir vorher gar nicht geachtet. In der Hinrunde mussten wir uns noch finden, die Rückrunde war überragend, wir waren eine Riesentruppe geworden. Trotz drohender Insolvenz und ausstehender Gehälter hat uns Rose zu dieser Truppe zusammengeschnürt.
Zu der Zeit war ich jedes Wochenende in Leipzig, da sind wir in Seifes L1 (Sebastian Seifert, ehemaliger Mitspieler Krugs/Anm. d. Red.) mit 20 Leuten, wenn es was zu feiern gab. Dieses Mannschaftsgefühl gab es vorher auch nicht. Bei meinem ersten Regionalliga-Spiel bei Hertha habe ich mich noch gefragt, wie ich das Spieltempo eine ganze Saison schaffen soll. Da hatten wir Laufschuhe an (lacht). Aber Rose hat uns herangeführt. Aber er ist nicht der einzige Trainer, zu dem ich aufschaue.
Zu wem noch?
Heiko Scholz ist für mich nach wie vor ein Vorbild. Als er im Herbst 2013 kam, waren wir mit einem Punkt nach acht Spielen Letzter. Trotzdem hatten wir am letzten Spieltag noch die Chance, die Klasse zu halten, obwohl Scholz den Großteil der Mannschaft nicht zusammengestellt hatte. Mit seinem Netzwerk hat er immerhin Verstärkungen wie Sebastian Zielinski oder Gianluca Marzullo geholt. Aufgrund dieser Rückrunde hatte uns keiner den Abstieg krumm genommen, weil wir alles gegeben hatten. Nach dem Abstieg wurde uns in Probstheida von den Fans sogar auf die Schultern geklopft. Nach einem Abstieg! Wahnsinn.
Scholz war auch der Trainer, der mich die meiste Zeit geprägt hat. Es wurde unter ihm jedes Jahr besser. 2016 waren wir ungeschlagen Oberliga-Meister, hatten bei der Rückkehr in die Regionalliga nie etwas mit dem Abstieg zu tun, standen im Landespokal-Finale und sind danach 6. geworden. Mit Heiko Scholz ist der gesamte Vereine mitgewachsen. Er hat sich darum gekümmert, dass wir ordentlich eingekleidet waren und hat später Rüdiger Hoppe mitgebracht. Der Verein bekam das Erbbaupachtrecht und das Logo zurück.
Das wäre ohne Heiko Scholz und ETL nicht möglich gewesen. Zudem war er zwar nur Trainer, aber er hat sich außerhalb auch sehr engagiert und wollte, dass der Verein noch wächst. Er hat Spielbeobachtung, Sponsorenakquise und Spielerverträge gemacht. Der Umbruch vor der letzten Saison war dann wahrscheinlich doch zu groß. Schade, dass es so enden musste. Ich hätte gern unter ihm die Karriere beendet.
Bei Marco Rose betonen Sie stets, er sei als Mensch überragend. Sollten das nicht alle Trainer sein, denn sie sollen ja eine Mannschaft führen?
Man braucht ja trotzdem als Trainer eine gewisse Distanz zur Mannschaft. Er hat es unter diesen schwierigen Umständen trotzdem geschafft, mit uns eine bärenstarke Rückrunde zu spielen. Er hat sich immer für die Mannschaft geopfert. Du konntest immer mit deinen Problemen hinkommen, er hat sich immer für dich eingesetzt, auch privat. Dazu kommt sein fachliches Wissen. Obwohl Rose nach Salzburg gegangen ist, habe ich ihm persönlich auch nur das Beste gewünscht. Er ist aufrichtig. Ich freue mich, dass er nun Trainer bei Gladbach ist. Er wird versuchen, auf jeden Fall zu meinem Abschiedsspiel zu kommen.
Nach der Entlassung von Heiko Scholz waren Sie als Co-Trainer unter Björn Joppe vorgesehen. Doch dazu ist es nie gekommen. Warum?
Ich habe dem Vorstand gesagt, dass ich mich nie als Trainer gesehen habe. Das habe ich bis heute nicht vor. In der schwierigen sportlichen Zeit wollte ich auf dem Platz weiterhelfen. Ich hab durch die Arbeit die Vormittagseinheiten ohnehin verpasst. So habe ich Ronny Surma empfohlen, mit dem ich mich die Wochen zuvor viel ausgetauscht habe. Er hat die letzten Trainingseinheiten unter Scholz mehr Zeit bekommen, um seine Ideen einzubringen. Ich fand seine Philosophie gut, er hatte sich fortgebildet und im Gegensatz zu mir die Zeit.
In zehn Jahren haben Sie mit allerhand Spielern zusammengespielt. Wer ist für Sie der beste Mitspieler?
Einen zu nennen ist schwer. Ich würde das eher auf den Positionen sehen: Benny Kirsten ist mit Abstand der beste Torhüter, mit dem ich spielen durfte. Robert Zickert ist für mich der beste Innenverteidiger den wir je hatten. Paul Schinke, Sascha Pfeffer, Daniel Becker sind überragende Mittelfeldspieler. Im Sturm dazu Felix Brügmann, und ich finde, Djamal Ziane macht genau das, was ein Mittelstürmer machen soll: Bälle festmachen, Kopfballduelle gewinnen, er ist schnell und hat in jeder Saison, in der er fit war, zweistellig getroffen.
Welche Spiele werden Sie nie vergessen?
Ich erinnere mich sehr gern an die Spiele gegen Carl Zeiss Jena und den 1. FC Magdeburg im Zentralstadion 2012. Im großen Stadion zu spielen, war als junger Spieler immer gut. Wir haben dort jeweils in Unterzahl gewonnen. Das war überragend. Dann diese Aufholjagd gegen Neustrelitz 2014, als wir als Abstiegskandidat gegen den späteren Regionalligameister aus einem 0:2 noch das 3:2 machten. Das 2:2 war schon Wahnsinn, und beim 3:2 ist gefühlt das Stadiondach weggeflogen.
Der Sieg gegen den BFC in Unterzahl 2017 war auch gut. Ich erinnere mich gern an die Aufstiegsspiele gegen Fortuna Chemnitz 2012 und Askania Bernburg 2016. Da hatte der Schiri eher abgepfiffen, weil die Hälfte der Fans auf dem Platz stand. Diese gesamte Saison 2015/ 2016, in der wir ungeschlagen Meister wurden und ich sogar vier Tore gemacht haben, werde ich auch nicht vergessen.
Ich denke aber auch manchmal an die Landespokal-Niederlage gegen Erzgebirge Aue in der 118. Minute in der Saison 2009/2010. Da sind wir trotz Niederlage gefeiert worden, weil wir den großen Favoriten beinahe gestürzt hatten.
Ich nehme an, Sie erinnern sich nicht gern an die Momente des Scheiterns beim Abstieg 2014 in Berlin und der verpassten Regionalliga-Relegation 2015 in Erfurt?
Absolut, denn bei diesen Spielen hätte ich nie gedacht, dass wir die vergeigen. Die gesamte Fahrt nach Berlin hatten wir nicht eine Minute, in der nicht ein hupendes Auto an uns vorbeigefahren ist. Gefühlt waren 10.000 Lok-Fans auf dem Weg nach Berlin. Dass wir dort gescheitert sind, weil uns ein Tor fehlte, war sehr deprimierend. Wir hatten dennoch die Hoffnung, dass es Neustrelitz noch schafft.
In Erfurt waren wir zu blöde um aufzusteigen. Erfurt hatte alles angerichtet für uns. Der Stadionsprecher hat uns sogar schon viel Erfolg für die Relegation gewünscht, Erfurt hatte die halbe A-Jugend spielen lassen. Und bei uns war totaler Blackout.
Robert Zickert, der damals in Markranstädt spielte, erzählte mir später, dass sie selbst nicht mehr dran geglaubt hatten, dass sie noch vorbeiziehen. Im Endeffekt war es Glück im Unglück. Die Relegationsspiele waren auch noch nicht gewonnen, die Mannschaft war noch nicht so gut. Das Jahr danach konnte der Verein einfacher und sicherer schon im Winter planen, weil der Aufstieg schon absehbar war. Das war gut vorbereitet. 2012 in Chemnitz waren wir komplett unvorbereitet in die Regionalliga aufgestiegen. Für die Regionalliga hatten wir damals zunächst nicht das Spielermaterial.
Nun hat die erste Saison seit 2009 begonnen, in der Sie nicht Teil des Lok-Kaders sind. Sind Sie neidisch auf die Jungs, die zurzeit für Lok spielen?
Ich muss schon sagen, dass es ein sehr komisches Gefühl war, als die Vorbereitung losging und ich nicht dabei war. Andererseits war ich auch sehr froh, dass wir zweimal im Urlaub waren und ich Zeit mit meiner Frau und meinem kleinen Sohn Moritz verbringen konnte. Ich will ein guter Vater sein und nicht die Jahre durch Trainingslager und Spiele verpassen. Beim Saisonauftakt gegen Hertha war es als Statist komisch, aber beim Test bei 40 Grad Celsius gegen Erzgebirge Aue ein paar Wochen zuvor, war ich froh, dass ich im Pool liegen konnte (lacht).
Ich habe ja in meiner Karriere nichts verpasst. Ich habe letzte Saison meinen Jahresurlaub für zwei Trainingslager und die Vorbereitung geopfert. Ich habe Lok zehn Jahre lang alles untergeordnet. Früher bin ich um 6 Uhr auf Arbeit, damit ich 17:30 Uhr trainieren konnte. 21 Uhr war ich das erste Mal zu Hause. Am Wochenende war samstags Training und sonntag Spiel.
Ich hab Hochzeiten und große Geburtstage in der Familie verpasst. Das habe ich gern gemacht, Lok ist meine Liebe. Jetzt beginnt ein schöner, neuer Abschnitt mit Familie.
Wie vertreiben Sie sich zukünftig die freie Zeit?
Ich bin ehrenamtlich in der Sponsorenpflege bei Lok tätig, gehe noch ein wenig ins Fitnessstudio und spiele zusammen mit meinem ehemaligen Mannschaftskameraden Kevin Zimmermann beim SV Zöschen. Ansonsten genieße ich die Freizeit mit der Familie.
Am 6. September, 19:30 Uhr findet im Plache-Stadion Ihr Abschiedsspiel statt. Worauf können sich die Zuschauer freuen?
Es wird das Team Lok gegen Team Krug & Friends. Die Teams sollten halbwegs ausgeglichen sein. Ich werde aus jedem der zehn Jahre einen Spieler dabei haben. Bis auf drei, vier Freunde und meinen Bruder sind es alles ehemalige Lok-Spieler und Spieler meiner sonstigen Stationen. Das wird wie ein großes Klassentreffen.
Ich hoffe wir bleiben danach noch sitzen und quatschen. Es soll Freibier für die Fans geben, und ich will dort auch noch eine halbe Stunde ausschenken, um mich bei ihnen für die Jahre zu bedanken. Es sind schon über 1.000 Karten weg. Das ist verrückt.
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