Für FreikäuferLEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus der Ausgabe 50Mannschaftssport ist, wie gern geworben wird, „Emotion pur“ – geht es um Fußball, noch immer vorrangig männlich und testosteronschwer. Das Prinzip ein uraltes: Auf begrenztem Platz kämpfen stellvertretend für die vom Alltagsmühsal ablenkungsbereiten Zuschauer auf den unteren Rängen stehend möglichst gut trainierte Gladiatoren zum Beweis kriegerischer Abwehrbereitschaft der Gesellschaft. Einmal für sich und in Stellvertretung der Anhängerschar wird im griechisch-römischen Oval ein möglichst heroischer Kampf um Sieg oder Niederlage dargeboten.

Gern in Gruppenschlachten, bei denen verschiedenste Nationen mit jeweils typischer Bewaffnung aufeinander losrannten und sich möglichst geschickt die Gedärme aus den Leibern zu schlagen suchten. So mancher Politiker gewann schon damals an Geld, Macht und Einfluss, wenn er sich in die Arena wagte, selbst Spiele veranstaltete oder auf Kampfausgänge mit gut betuchten Freunden sitzenderweise von erhobenen Tribünenplätzen aus wettete.

Schon immer galt es dabei eifrigen und nicht ganz grundlos sogenannten „Schlachtenbummlern“ in den Arenen bei hitzigen Auseinandersetzungen als opportun, auch die Anhängerschar der dargestellten Gegnernation hier und da mit Exkrementen zu bewerfen und sich unflätigste Meinungsbekundungen quer über den Platz zuzurufen. Standen die eigentlich nicht an den Kämpfen beteiligten Plebejer, Händler und Soldaten zu nah beieinander oder begegneten sich zufällig auf der gleichen Latrine, konnte es so durchaus schon zu Neros, Trajans und Cesars Zeiten zu Raufhändel und handfestem Streit mit Todesfolge führen.

Ging es bei früheren Zweikampfathleten auf dem Platz oft genug um Leben oder Tod, wurde man sich in Zeiten der Aufklärung einig, dass es wohl fröhlicher für alle sei, auch Unterlegene öfter zu Gesicht zu bekommen. Dies verbesserte deutlich die Kosten-Nutzen-Rechnung, denn so lebten die viele Jahre lang trainierten und gefütterten Gladiatoren einfach länger und konnten sich öfter zur Freude des Publikums ins Rund stellen. So hatten sie zudem Zeit, über junge Jahre hinaus ihre Techniken zu verfeinern. Aus geschleudertem Speer, gerammtem Schild, geworfenen Netzen und Äxten wurden weniger gefährliche Gummi- und Lederkugeln, die man möglichst kunstvoll um den Gegner herum und in nun nur noch passiv aufgespannte Netze hineinlavierte.

Die Schlachtenbummler der anderen Seite am 22.11. 2017 in Leipzig Probstheida. Foto: Jan Kaefer
Die Schlachtenbummler der anderen Seite am 22.11. 2017 in Leipzig Probstheida. Foto: Jan Kaefer

Die Kunst des gegenseitigen Verletzens wurde gerade im fußbetriebenen Ballsport der Neuzeit zur trickreichen Umspielung des Gegners. Und das vom sportlichen Mutterland stammende „Fairplay“ gilt seither durchaus als Beweis für großes Können. (Natürlich nur bei siegreicher Spielgestaltung, sonst wird rasch fehlender Wille unterstellt.) Oft auch gelingen Siege, weil des Gegners allzu robustes Verletzenwollen durch Dezimierung der eigenen Mannschaftsstärke gewaltfrei gesenkt wird. Oder das Spiel abgebrochen werden muss, weil die Anhängerschar versucht, durch Betreten der Kampfarena selbst am Geholze und Getrete teilzunehmen oder mittels Fernwaffen auf gegnerische Spieler, Einlaufkinder oder gar den zwar beteiligten, aber bewusst als „unparteiisch“ deklarierten Mann in Schwarz einzuwirken.

Dann verliert man zwar, hat aber mitgekämpft. Und da sind wir tatsächlich unversehens beim Stadt-Derby am 22. November 2017 und zuerst beim Verhalten der Schlachtenbummler neben dem Platz gelandet.

Keine Politik im Stadion!

Gern wird nach den jeweiligen Aufeinandertreffen der altbekannten Namen BSG Chemie Leipzig und dem 1. FC Lokomotive in der „Sportstadt“ mit DFB-Gründungstradition auf die große Rivalität, ja die Feindschaft noch aus DDR-Zeiten verwiesen. Wo sich die wenig respektvoll zusammengestellte „Restetruppe“ 1964 eine Saison lang zum Fußballmeister eines 17 Millionen Arbeiter- und Bauernstaates aufschwingen konnte. Gegen einen damals nur drittplatzierten Rivalen in der eigenen Stadt, der politisch verordnet „Leistungszentrum“ wurde und dennoch gleich zweimal von Alfred Kunzes „Übriggebliebenen“ Chemikern mit 0:3 und 1:2 in Arbeiter- und Bauernmanier vom Platz gefegt.

Weshalb noch heute junge Männer, die 1964 noch nicht einmal der feuchte Traum eines Chemielaboranten gewesen sein dürften, ihr Heimatviertel und die Teile der Stadt Leipzig in einer Art Reviermarkierung mit der Zahl 1964 versehen. Ihrem verfeindeten Lager – im sich bis heute gefühlt höherklassig empfindenden Probstheida – gelten sie zudem wahlweise als Linksextremisten, „Zecken“ oder anderes Getier, welches man nur ungern in der Wohnung hat.

Um dies zu verdeutlichen, greifen wiederum auch Lok-intern eher als sogenannte „Fans“ bezeichnete und eher auf den unteren Stadionrängen anzutreffende Gruppierungen im Vorfeld von Derbys mal zu aufgehängten grünweißen Puppen an Brücken oder wie im Vorfeld des 22.11. zu Motiven von Anne Frank, die sich nun ja schon aufs Derby freue. Womit sie ihrerseits in einer Art Dauer-Tabubruch schon vor der Begegnung mitteilen wollen, dass neben den wechselseitigen Rufen „Chemie-Schweine“ oder „Welche Hure, welcher Bock, schuf den 1. FC Lok“ durchaus noch eine Kategorie antisemitischer Natur existiert, die an abstoßender Geschmacklosigkeit in außerrömischen Gefilden nicht mehr unterbietbar ist.

Er zumindest konnte sich raushalten und musste nicht mitspielen. Foto: Jan Kaefer
Er zumindest konnte sich raushalten und musste nicht mitspielen. Foto: Jan Kaefer

Obwohl sich eben diese Gruppe, derer die Polizei nach LZ-Informationen mittels eigener Videoaufzeichnungen auf der Spur, aber noch immer nicht habhaft ist, fast folgerichtig auch während des Spielverlaufes nicht entblödete, den Antisemitismus erneut herauszugrölen. Und dies im Beisein des stark für die jüdische Gemeinde engagierten Ex-Bundestagsabgeordneten Dr. Thomas Feist (CDU) auf der Lok-Tribüne, während auf der anderen Seite mit Juliane Nagel (Linke) eine Landtagsabgeordnete das Schauspiel verfolgte. (Man vermutet jedoch, ohne vorherige Spielwetten abzuschließen.)

Denn auch im Stadion soll eine kleine, aber stimmgewaltige Gruppe um die Spielminute 29 und später noch einmal zur 55. herum aus dem offensichtlich verschlafenen Geschichtsunterricht nur das Wort „Juden“ und aus der Rivalität mit „den Leutzschern“ das Wort „Chemie“ behalten haben. Zusammen intoniert, klingt es auf den Aufzeichnungen des MDR wie eine erneute antisemitische Schmähung des angefeindeten Gegenübers. Es wäre nach den Vor-Spiel-Anfeindungen im Netz folgerichtig, nur ist all dies schlecht zu verstehen, der MDR-Moderator jedenfalls moderiert fröhlich weiter.

Zum Stand der Ermittlungen teilte Polizeisprecher Uwe Voigt der LZ am 12.12. mit, „dass seitens der Polizeiführung niemand während des Spiels diese Rufe wahrgenommen hat. Allerdings gibt es zur Einschränkung zu sagen, dass wir gegenwärtig immer noch nicht alle Videosequenzen ausgewertet haben, bei dieser Fülle von Material. Sollten bei diesen Aufzeichnungen Rufe in dieser Richtung zu hören sein, werden wir eine Anzeige von Amts wegen erstatten und die Ermittlungen in diese Richtung weiterführen. Bildmaterial von rechtlich-öffentlichen Fernsehsendern zu erhalten, wird nicht immer möglich sein. Wir werden aber den Sender nochmals anfragen.“

Bei der BSG Chemie ist man sich hingegen sicher, vor allem Opfer zu sein, zu den eigenen Taten wie Feuergeschosse im Stadion und einem ramponierten Gästeblock möchte man sich nicht äußern. Antworten weist man derzeit seitens Vereinssprecher und Ex-Kreuzer-Journalist Jörg Augsburg mit dem Vorwand zurück, dass bisherige, tagesaktuelle Wiedergaben des Geschehens deshalb so wenig Rücksicht auf den Leutzscher Verein genommen hätten, weil diese von Lokanhängern in den Reihen der L-IZ.de geschrieben seien. Da alle Artikel dort, wie auch in der LZ im 6-Augen-Prinzip erscheinen, darf der Schreiber dieser Zeilen versichern, kein Fan einer bestimmten Leipziger Mannschaft zu sein und überdies gerade deshalb gern die Texte seiner Kollegen gegenliest.

Wahrer dürfte wohl sein, dass sich natürlich kein Verein angesichts der Anfang 2018 mutmaßlich folgenden Vereinsstrafen seitens des Fußballverbandes für beide Seiten selbst bezichtigen muss. Was erneut zu denen zurückführt, die nun in den vielen Stunden an Video-Aufzeichnungen im Auftrag der Staatsanwaltschaft Leipzig am Suchen sind: „Die massiven Beschädigungen im Gästeblock sind dokumentiert. Auch hier wurde ein Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruchs eingeleitet gegen ‚Unbekannt‘. Diese Beschädigungen wurden auch erst ersichtlich, nachdem die Gästefans den Block verlassen hatten“, so erneut Uwe Voigt für die PD Leipzig.

Blieb am Ende im Status für manche "Fans" ungeklärt. Im Zweifel einfach der Polizeipräsident von Leipzig, Bernd Merbitz. Foto: Jan Kaefer
Blieb am Ende im Status für manche „Fans“ ungeklärt. Im Zweifel einfach der Polizeipräsident von Leipzig, Bernd Merbitz. Foto: Jan Kaefer

Apropos verlassen: Die ebenfalls vorhandenen Randalierer auf Lok-Seite sollen nach Beobachtungen vor Ort ebenso schon weg gewesen sein, als die Polizei nach weit über 90 Minuten „insgesamt 328 Identitätsfeststellungen zu einem Ermittlungsverfahren wegen schweren Landfriedensbruch begangen durch LOK-Anhänger“ durchführte. Aus „polizeitaktischen Gründen“ sei man nicht eher eingeschritten, was letztlich bedeutet: Dann hätten wir das Spektakel abbrechen müssen und alle hätten uns, die Polizei, die gern auch als „drittes Team“ gesehen wird, als den Spielverderber empfunden. Mehr Gewalt hätte es wohl zudem bedeutet.

Zur eher abgeklärten Haltung passt auch, dass der anwesende Polizeipräsident Bernd Merbitz, von blau-gelber Seite als „Chemie-Schwein“ verrufen, geantwortet habe, dann sei es korrekter, ihn „Bullen-Schwein“ zu nennen. Was beinahe zu einem weit größeren Brot- und Spieleareal im einstigen Zentralstadion führen könnte, doch er beließ es beim halblauten Hinweis an die eigene uniformierte Umgebung, was eher auf einen beruflichen Schmähbegriff schließen ließ. Bliebe dennoch festzuhalten, dass all diese noch eine Weile andauernde, polizeiliche Befassung mit den vollbrachten (Straf)taten der aufgeklärten Restgesellschaft, also auch den Vereinsführungen und den weniger gewaltorientierten Fans beider Seiten, wohl noch immer weit preiswerter zu stehen kommt, als wenn die gewaltaffinen Schlachtenbummler jedes Wochenende randalierend durch die Innenstädte zögen.

Aber das wiederum wussten auch schon die alten Römer, als sie die ersten Arenen zur gesteuerten Triebabfuhr errichteten. Heraushaben will man die gewaltbereiten Antisemiten dennoch auf Seiten Loks, wie Vereinspräsident Thomas Löwe nach dem Spiel ohne Echo von Chemieseite (trotz Nachfragen) gegenüber LZ betonte.

Ach so. Die eigentliche Brot-und-Spiele-Veranstaltung endete am 22.11. mit einem sehr leistungsgerechten 0:0, vielen Fouls vor und einer handfesten Rangelei der Gladiatoren nach dem Abpfiff. Ein versuchter Überfall einiger „Lokfans“ auf den Mannschaftsbus der BSG Chemie und eine klar unsportliche Bierdusche eines Lokfans gegen Chemie-Trainer Dietmar Demuth steht ebenfalls zu Buche.

Also wenig, wovon beide Vereine später gern in den offiziellen Chroniken erzählen werden.

Mehr unter https://www.l-iz.de/stadtderby

Fast so etwas wie eine Geburtstagsausgabe – Die neue LZ Nr. 50 ist da

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