Für FreikäuferLZ/Ausgabe 47Wie viele Bälle der Fußballer Camillo Ugi in seiner aktiven Zeit genau in den Winkel knallte, ist nicht überliefert. Fakt ist hingegen, dass man in seiner Geburtsstadt Leipzig inzwischen in einem Winkel, der seinen Namen trägt, wunderbar wohnen kann. Unweit des Bruno-Plache-Stadions in Probstheida ist auf einer alten Gewerbefläche eine schicke Eigenheimsiedlung entstanden. Sie trägt nun den Namen eines großen Leipziger Sportlers, der beinahe in Vergessenheit geriet.
Bereits Anfang 2016 griff die Stadt Leipzig den Vorschlag des Sportmuseums auf, diesen Komplex mit dem Straßennamen „Ugiwinkel“ zu versehen und beantragte eine entsprechende Benennung. Mit Erfolg. Seit dem Frühjahr dieses Jahres gibt es endlich auch die passenden Straßenschilder. Doch damit nicht genug. Im Rahmen einer Feierstunde wurde am 11. Oktober eine Erläuterungstafel enthüllt, die – unter dem Straßenschild „Ugiwinkel“ angebracht – fortan zu den für Leipzig bedeutendsten Fakten dieses Mannes aufklärt.
Weiß auf blau ist da zu lesen: „Camillo Ugi: 1884-1970, Fußballspieler, deutscher Meister mit dem VfB Leipzig 1906, 15-facher deutscher Nationalspieler“. Das liest sich zunächst eher nüchtern. Wie viel Herzblut und bürgerschaftliches Engagement jedoch hinter diesem kleinen Schild und der Tatsache steckt, dass es überhaupt produziert wurde, erfährt jeder, der den Leipziger Fußballhistoriker André Göhre auf den Namen Camillo Ugi anspricht.
Denn Göhre war es, der die Idee und den brennenden Wunsch hatte, einen der wohl bedeutendsten Fußballer Leipzigs mit dieser zusätzlichen Ergänzungstafel besonders zu würdigen. Der 50-Jährige entwarf den Text, machte die Firma ausfindig, die genau diese Schilder produziert – und wäre sogar bereit gewesen, die Herstellungskosten von 108 Euro aus eigener Tasche zu bezahlen. Das war letztlich nicht nötig, da die Firma Reinbau als Bauträger des Ugiwinkels die Kosten selbst übernahm. Unterstützt durch Dr. Gerlinde Rohr – Leiterin des Leipziger Sportmuseums – und Jens Vöckler von der Stadtverwaltung, wurde der Traum vom Ugi-Schild wahr.
Fast schon folgerichtig, dass es ebenfalls André Göhre war, der die feierliche Einweihung organisierte und schließlich vor fast 50 interessierten Anwohnern und Fußballfreunden auch moderierte. „Ich habe seit Jahren zum Leben Camillo Ugis geforscht, und es war mir ein Bedürfnis, diese Veranstaltung zu organisieren. Dieser Mensch hat es einfach verdient, doch leider kennt ihn kaum jemand. Selbst die Anwohner hier wussten mit dem Namen nichts anzufangen. Ich habe das organisiert, damit jeder erfährt, wer Camillo Ugi war“, erklärt er im Gespräch mit der LEIPZIGER ZEITUNG.
Doch was fasziniert Göhre, der zudem das Netzwerk blau-gelb betreibt, Stadionführungen beim 1. FC Lok sowie fußballhistorische Stadtrundfahrten anbietet, an der Vita Ugis so sehr? „Sein ganzes Leben! Er hat in rund 20 Jahren 15 Vereine gehabt, war schon früher ein Fußballwanderer. Er war der erste Profi, der im Ausland mit Fußballspielen Geld verdient hat“. Ugi kickte seinerzeit beispielsweise in Brasilien (1905) und Frankreich (1911).
Auch nach seiner aktiven Fußballerzeit setzte er nennenswerte Akzente: „Er war Miterfinder der eisernen Lunge, hat ursprünglich den Fosbury-Flop (Hochsprung-Technik/d. Red.) erfunden und hat in den 1920er Jahren schon an einer Dreier- bzw. Vierer-Kette gearbeitet, als man im Fußball noch das 2-3-5-System spielte. Er war seiner Zeit weit voraus und hat damals schon an Sachen gearbeitet, die erst viel später – manche erst nach seinem Tod – bekannt und im Sport eingeführt wurden“.
Mit dem Etappenziel der feierlichen Einweihung der Ugi-Erläuterungstafel ist diese historische Persönlichkeit für Göhre allerdings längst nicht abgehakt. „Ich werde weiter recherchieren, weil man erst jetzt Dinge über ihn herausfindet, die vorher nicht bekannt waren. Die nächste Idee ist, hier vielleicht einen kleinen Gedenkstein aufzustellen. Das ist auch schon in Arbeit“. Beim Zusammensetzen des Lebenspuzzles von Camillo Ugi war und ist André Göhre dessen jüngste Tochter Heidi Lehnert eine wertvolle Unterstützung.
Immer wieder gern lauscht der Fußballenthusiast den Geschichten, die die inzwischen 78-Jährige über ihren berühmten Vater zu erzählen weiß. Klar, dass die rüstige Dame es sich nicht nehmen ließ, persönlich zur Festivität am Ugiwinkel zu erscheinen.
Für Göhre, der alleinerziehender Vater einer Tochter ist und seine Brötchen hauptberuflich in Vollzeit als Teamleiter bei einem Automobilzulieferer verdient, bietet die Leipziger Fußballhistorie allerdings schier endlose Betätigungsfelder. „Ich forsche unter anderem zu Dr. Ernst Raydt, Theodor Schöffler, Erich Chemnitz oder Bruno Wöllner, der 1936 Torwart der Tschammerpokalsieger-Mannschaft des VfB Leipzig war. Meine Arbeit kennt keine Grenzen, und ich habe immer wieder neue Ideen. Ich stecke jede freie Minute in diese Forschung, die nahezu endlos ist, denn es gibt in Leipzig noch so viel zu entdecken und auszuarbeiten. In Zeiten des modernen Fußballs wird das gern übersehen, doch dafür bin ich da, dass so etwas nicht vergessen wird“.
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