Sarah Köhler arbeitet seit mehreren Jahren für das Leipziger Fanprojekt der Firma Outlaw. Sie besucht unter anderem die Heim- und Auswärtsspiele des 1. FC Lok Leipzig und kennt sich in der Fanszene aus wie kaum jemand anderes. Im Interview mit der L-IZ erklärt sie ihre Sicht der Dinge auf Bischofswerda, was Vereine gegen Randalieren tun können und wieso die deutsche Justiz zurzeit nicht wirklich hilfreich ist.
Wie bewerten Sie die Ereignisse von Bischofswerda mit zwei Wochen Abstand?
Etwas zu bewerten hat ja immer subjektiven Charakter. So bitte ich meine Antwort auch zu verstehen. Das Spiel war bis dato das in der Saison wichtigste. Es ging um den Einzug ins Landespokalfinale und je nach Gegner im Finale und der Platzierung des Teams aus der 3. Liga am Ende der Saison, kann das Halbfinale bereits das Ticket in den DFB-Pokal sein. Verständlich ist, dass in so einer Situation die Emotionen hochkochen, alle sehr aufgeregt sind und Spannung in der Luft liegt. Was dann jedoch passierte, vor allem auch die Aggressivität im Block, der Fans untereinander, das war sehr deutlich drüber und ziemlich schlimm. Es war kein schöner Tag.
Wie sehen Sie die Arbeit der Polizei in Bischofswerda und die äußeren Umstände?
Die äußeren Umstände waren für das Spiel definitiv mindestens suboptimal. Mit Kabelbindern befestigte Bauzäune und die Einlasssituation mit dem Weg über die schmale Brücke – ich kann mir nicht vorstellen, dass die Institutionen in Leipzig einer Spieldurchführung unter diesen Umständen zugestimmt hätten.
Was die Polizei angeht muss man ja genau die Umstände und damit die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten betrachten. In den Block konnte die Polizei nicht gehen, das hätte die Situation sofort eskaliert. Somit blieb im Grunde nur die Option des Sicherns des Zaunes. Kritisch ist natürlich immer der starke Einsatz von Pfefferspray zu betrachten. Was man natürlich demgegenüber nicht versteht ist, wie manche Leute nicht nur einmal, sondern zwei-, dreimal an den Zaun rennen und sich ihre Dosis abholen. Lag wahrscheinlich auch mit am Alkohol, denn der Konsum war an dem Tag sehr hoch.
Welches Klientel war nach Ihren Beobachtungen vor Ort?
Zunächst mal waren das natürlich die normalen Lok-Fans, die, die zu jedem Spiel fahren, die Fanclubs, die Allesfahrer und die aktive Fanszene. Dazu kamen auch viele normale Fans, die man nicht so oft sieht und die oft zu Spielen kommen, wenn es um etwas geht. Dann waren dort eine Menge Leute der „sportlichen Fraktion“ und viele „Alte“.
Welche Handlungsmöglichkeiten hat das Fanprojekt im Fan-Milieu eines Vereins und konkret, wenn es sich schon um straffällig gewordene Jugendliche oder junge Erwachsene handelt?
Mal ganz pädagogisch gesprochen arbeitet das Fanprojekt im Rahmen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention. Es geht also um die Identifizierung von Bedingungen, die Gewalt/ Anlässe für Straftaten fördern und die Verhinderung bzw. Änderung dieser. Dazu gehört zum Beispiel, an den Sicherheitsberatungen teilzunehmen, die Örtlichkeiten zu kennen und auf Faktoren aufmerksam zu machen, die konflikthafte Situationen begünstigen können.
Sekundär geht es um „gefährdete Personen“, mit ihnen zu arbeiten, mit den Fangruppen zu arbeiten. Dazu gehört, Situationen im Nachgang zu reflektieren, darüber nachzudenken, was man hätte anders machen können, welche Faktoren die Situation begünstigt haben, was gut lief und was schlecht. Auch geht es darum, die umgebenden Faktoren ebenso zu reflektieren, sprich, auch mit der Polizei, dem Verein, dem Ordnungsdienst etc. die Situationen auszuwerten und zu besprechen.
Wenn Jugendliche oder junge Erwachsene bereits straffällig geworden sind, kann das Fanprojekt zunächst über Rechte und Pflichten des Betroffenen aufklären, erklären wie Ermittlungs- und Strafverfahren laufen und was auf den Betroffenen zukommt. In Einzelarbeit kann mit dem Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen zum Beispiel geschaut werden, ob und wenn ja welche Probleme im Leben des Betroffenen vorliegen, welche Änderungspotenziale es gibt, wo Unterstützung benötigt wird.
Es geht auch darum, wenn der Betroffene es wünscht, zu Terminen zu begleiten, zur Jugendgerichtshilfe, auch vor Gericht, um denjenigen nicht allein zu lassen, die Hand zu reichen, auch und gerade wenn schwierige Situationen zu meistern sind. Diese Arbeit hat natürlich Grenzen, die darf man auch nicht aus dem Auge verlieren. Es gibt einfach Menschen, die erreicht man nicht. Die sind mit den zur Verfügung stehenden pädagogischen Mitteln der Arbeit, der Information, Begleitung, Vermittlung und Unterstützung nicht erreichbar, wollen dieses vielleicht auch gar nicht.
Es ist natürlich die Bereitschaft des Jugendlichen oder jungen Erwachsenen nötig, sich darauf einzulassen. Die Vorstellung „ich frage das Fanprojekt und das macht das dann schon für mich“ ist natürlich nicht zutreffend. Und es gibt auch Leute, denen ist das alles egal.
Was treibt diese Leute an?
Oft kommt sicherlich vieles situativ zusammen, was ich vorangegangen bereits beschrieben habe. Dazu kommt häufig der Faktor Gruppendynamik. Manch einer lässt vielleicht seinen derzeitigen Frust raus, andere wollen Grenzen testen, ein Kennzeichen der Jugend. Wieder andere suchen Action und „dass was passiert“. Manch einem ist alles egal, manche haben einfach Bock auf Krawall.
Lok Leipzig distanziert sich immer wieder von diesen Personen. In der öffentlichen Wahrnehmung und auch in der Berichterstattung sind es aber stets „Fans des 1. FC Lok“. Ist das sinnvoll? Kann man hier überhaupt von Fans sprechen?
Man kann sich als Verein natürlich distanzieren. Von den Taten, von den Dingen, die passiert sind. Man kann sich schwerlich von den Personen distanzieren und diesen das Fan-Sein absprechen, denn der Verein vergibt ja kein Label „Fan“, das wieder entzogen werden kann. Ob man sich als Fan begreift oder nicht, bestimmt die Person selbst und es liegt außerhalb des Einflussbereichs des Vereins. Daher ist das am Ende immer Wortklauberei und etwas, das die Öffentlichkeit vielleicht hören will, aber im Grunde nichts von Bedeutung.
Wie sieht eine Lösung dieses Problems aus – für die Situation rund um ein Fußballspiel und gesellschaftlich?
Es ist verständlich, dass alle eine Lösung wollen. Doch die Lösung gibt es natürlich nicht, sonst hätte man sie längst gefunden. Es ist immer ein Prozess, der immer wieder auch Rückschläge beinhalten wird. Wenn man sich die Heimspiele im Bruno-Plache-Stadion anschaut zum Beispiel, da gibt es seit Jahren keine gravierenden Vorfälle mehr, und seit einiger Zeit können auch alle sogenannten Risikospiele dort ausgetragen werden. Ich denke jeder weiß noch, dass das vor nicht allzu langer Zeit undenkbar war und immer ins Zentralstadion gewechselt werden musste.
Auf diese Idee würde heute gar keiner mehr kommen, weil ein ernsthafter Prozess gestartet wurde, der Vertrauensvorschüsse von allen Seiten beinhaltete und der gut verlaufen ist. Da haben Verein und Fans viel getan und auch Einschränkungen, zum Beispiel die Sperrung des Sektors 1 auf der Gegengerade bei Spielen mit vielen Gästefans, hingenommen, um immer „zu Hause“ spielen zu können. Solche Prozesse, die stetige Kommunikation in alle Richtungen, nach innen und nach außen, ist im Grunde das Einzige, was man machen kann.
Zur Frage der gesellschaftlichen Lösung möchte ich mir nicht anmaßen, das Patentrezept zu haben, da das eine noch viel komplexere Frage ist. Was mir grundsätzlich Sorge macht ist die zunehmende Verrohung, das Wegbrechen von Solidarität untereinander und das kälter werdende gesellschaftliche Klima. Auch, dass Vielfalt nicht als Gewinn und Chance begriffen, sondern als Bedrohung empfunden wird, finde ich persönlich bedenklich und sehr schade.
Ist eine schnellere Verurteilung ein Teil der Lösung?
Wenn man sich mal vor Augen führt, dass es insbesondere im Jugendstrafrecht darum gehen sollte, nicht nur mit Strafen, sondern insbesondere mit erzieherischen Mitteln auf den Jugendlichen oder sogar jungen Erwachsenen (bei Anwendung Jugendstrafrecht bei Heranwachsenden von 18-21 Jahren) einzuwirken, dann ist ein schnelles Verfahren ein Muss. Erzieherische Mittel können keine Wirkung entfalten, wenn zwischen Tat und Ahndung teilweise mehrere Jahre liegen und sich der Betroffene längst in anderen Lebensumständen befindet.
An dieser Stelle muss kritisiert werden, dass die Ermittlungsbehörden viel zu lange brauchen, um Verfahren abzuschließen. Ende März konnte man in der Presse erst wieder lesen, dass in Sachsen bei Polizei und Staatsanwaltschaften zehntausende Vorgänge nicht abgeschlossen waren! Von daher wird der Ruf nach Urteilen in angemessener Zeit, sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen, unter den derzeitigen personellen Ausstattungen der Institutionen ungehört verhallen.
Wie sehen Sie die Handlungsmöglichkeiten der betroffenen Vereine?
Zusätzlich zu den bereits oben genannten Aspekten ist eine verlässliche und kontinuierliche Fanarbeit der Vereine sehr wichtig. Auch der Verein sollte in seine Fanstrukturen so konstante Beziehungen aufbauen, dass eine Krise nicht gleich den Abbruch jeglicher Kommunikation bedeutet. Gerade in Konfliktsituationen ist Dialog unerlässlich, und da darf es in Gesprächen ruhig auch mal krachen und man darf sich streiten, natürlich ohne den gegenseitigen Respekt vermissen zu lassen.
Alle Seiten müssen es aushalten lernen, dass es unterschiedliche Haltungen gibt, dass Meinungen differieren und dass es manchmal auch ein langer Weg ist, bis Dinge anfangen, sich zu verändern. Beide Seiten müssen es zudem ernst meinen. Dialog nur um des Dialogs Willen wird am Ende eher Teil des Problems sein denn der Lösung.
Zusätzlich können Vereine nur Haus- und je nach Zuständigkeit gegebenenfalls Stadionverbote aussprechen. Aber auch die sind nicht das Allheilmittel, und es sollte mit Augenmaß geschaut werden, wem man die Hand auch ein zweites Mal reicht, um ein Abrutschen zu verhindern.
Bei Lok Leipzig scheint sich die Entwicklung in den letzten Jahren etwas zu verbessern, es gibt allerdings, wenn etwas passiert, gleich maximale Ausschläge nach oben. Wie erklärt sich so etwas?
Das ist eine gute Frage, die ich leider auch nicht beantworten kann.
Anmerkung: Das Interview wurde bereits am 13. April geführt.
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