Wer sich bereits vor dem Brand auf dem Gelände des FC Inter Leipzig und danach vor Ort umschaute, konnte nicht nur einen neuen Sozialcontainer vor dem Brand sehen. Auf dem Containerbau und an den Banden der Sponsoren rings ums Spielfeld fanden sich Graffiti, welche auf einen weiteren Sportverein in Leipzig hinweisen. Dies zeigen Bilder, die der L-IZ seit Samstag vorliegen. Bereits zu Ostern, also etwa eine Woche vor dem Brandanschlag vom 21. April 2017 gegen 2:45 Uhr, hatten sich Unbekannte offenbar längere Zeit auf dem Gelände zu schaffen gemacht. Und Schriftzüge hinterlassen, die durchgängig auf die BSG Chemie verweisen sollen.
Ob die seitens FC Inter bis heute still geduldete Sprayaktion und der eine Woche später stattgefundene Brandanschlag zusammenhängen, ist noch vollkommen unklar. Derzeit hat die Polizei bei ihren Brandermittlungen nach L-IZ–Informationen jedoch am Freitag mittels Spürhunden die Kappen der Spraydosen gefunden und hofft auf Fingerabdrücke auf diesen. Zudem liegt die Vermutung beim näheren Betrachten der Brandschäden nahe, dass die Täter den Brand von innen legten.
So wurden offensichtlich Bretter am Container beseitigt, um mindestens ein Stück weit ins Innere des Containers einzudringen – auch die fehlenden Brandspuren an den beiden Eckseiten sowie der vollständig verbrannte Innenbereich verstärken diesen Eindruck.
Ein Eigenverschulden durch Fahrlässigkeit oder eine Eigenentzündung des Containers hatte die Polizei gegenüber L-IZ.de bereits am Freitag ausgeschlossen, womit es sich mindestens um eine vorsätzliche Tat handelt. Und der Brandverlauf ist laut Polizei nicht durch eine elektrische Störung oder ähnlichem zu erklären. Den einzigen Blitz in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, zumindest dem Namen nach, gab es zudem beim „Kugelblitzdonnerstag“ ab 23:00 Uhr bei der sogenannten Party in der Distillery.
Offen ist, ob es sich bei den Sprayereien auch um eine sogenannte „false flag“-Aktion noch vor dem Brand handeln könnte, also das bewusste Verweisen auf einen anderen Täterkreis als den eigenen, eventuell rechtsradikalen Täterkreis des oder der handelnden Täter. Einiges spricht auch dafür. Oder es ist ein zufälliges Aufeinandertreffen. Die dichte Abfolge der beiden Ereignisse jedoch dagegen.
So könnte es sein, dass das öffentliche Stillhalten von FC Inter, also das Verschweigen der Sprayaktionen auf dem Gelände, zu einer weiteren Eskalation bei den Tätern führte. Dass es gezielt gegen den FC Inter Leipzig ging, ist in jedem Fall unstrittig. So weisen die umliegenden Gebäude auf dem Intergelände im Mariannenpark keinerlei Beschädigungen auf und blieben auch von den Graffitis verschont. Sie gehören allesamt der Stadt Leipzig, sind also kein Eigentum von Inter, wie der abgebrannte Container. Dieser befand sich zum Zeitpunkt des Brandes noch in der (nachträglichen) Genehmigungsprüfung durch die Stadt Leipzig.
Da diese noch nicht abschließend erteilt ist, könnte zudem der Versicherungsschutz für das Häuschen nicht greifen.
Hintergrund
Bereits vor dem Brandanschlag gingen bei einigen Kommentatoren im Netz die Emotionen ziemlich hoch. Klar ist dabei, dass es viele gibt, die in Leipzig etwas gegen den FC Inter Leipzig haben. Einige Gründe liegen in der noch jungen Historie des Vereins, welcher sich 2013 gründete. Er war von Beginn an heimatlos, hatte keine Spielstätte und wird seither gern als Eindringling gesehen, welcher mit viel Geld und rüden Methoden andere verdrängen möchte. Zwar zuletzt besonders von rechtsradikaler Seite, denn es spielen nahezu ausnahmslos Fußballer aus anderen Ländern in der Herrenmannschaft.
Aber auch an anderen Stellen gab es schon mehrfach Probleme.
Der erste Versuch Inters, anfangs in der näheren Umgebung der BSG Chemie, hier bei der TuS Leutzsch, zu siedeln schlug fehl. Böses Blut inklusive, Inter Leipzig soll einst mit großen Versprechen gelockt und so den Einstieg in den Spielbetrieb über TuS Leutzsch und die Übernahme von Nachwuchsspielern versucht haben. Der Versuch misslang. Auch den späteren Einstieg in die Startlizenz des SV See 90 in die Sachsenliga hinein nahm man hier und da übel – FC Inter stieg so fast nach RB-Vorbild in eine höhere Liga ein, ohne sich hochspielen zu müssen.
Am Ende des ersten Siedlungsversuches von Inter stand eine neue Kooperation zwischen der BSG Chemie mit dem anderen Leutzscher Club, der FC Inter musste weichen und zog um in den Mariannenpark. Die BSG versicherte anschließend, sich aus dem Konflikt bei TuS Leutzsch herausgehalten zu haben. Doch das Bild des reichen und aggressiven Angreifers FC Inter war geboren.
Im Mariannenpark wollte Inter ab da gemeinsam mit dem SV Wacker das Gelände wieder besser in Schuss bringen – der Versuch zeigte schon 2014 erste Risse und endete spätestens 2016 mit auf beiden Seiten hörbarer Enttäuschung, juristischen Auseinandersetzungen und Streit (LEIPZIGER ZEITUNG & L-IZ.de berichteten, siehe Links am Schluss). Holger Drendel vom SV Wacker wirft bis heute Wolfgang Tiefensee und der CG Gruppe namentlich vor, sich nicht an Vereinbarungen gehalten zu haben – der FC Inter berichtet, alle Verpflichtungen erfüllt zu haben.
Letzter Höhepunkt der alten Geschichte aus Leutzsch hingegen war das Oberliga-Spiel von Inter gegen die BSG Chemie im Alfred-Kunze-Sportpark am 11.03.2017. Bei der anschließenden Pressekonferenz fragte sich Heiner Backhaus und die anwesenden Journalisten auf Pressenachfrage, ob es noch normal sei, wie sich einige Chemie-Fans während des Spiels in Schmähgesängen gegen ihn und den FC Inter geäußert hatten und verwies auf die gemeinsame Integrations-Aufgabe aller Leipziger Sportvereine.
Aufgrund der Vorwürfe, welche größtenteils auf das Thema Geld, die Sponsoren und Backhaus selbst anspielten, teilte er noch mit, er selbst habe einst ein halbes Jahr kostenlos beim damals insolventen FC Sachsen in Leutzsch gespielt.
Heiner Backhaus „emotional“ spricht Klartext nach dem Spiel gegen Chemie Leipzig am 11.03.2017. Quelle Youtube
Schon seit der Gründung des Vereins stehen also in der Leipziger Sport- und Teilen der Politik-Szenerie mehrere Vorwürfe im Raum, welche zusammengefasst lauten: Inter habe mit der CG Gruppe einen deutschlandweit agierenden Immobilieninvestor im Rücken, verfüge durch Wolfgang Tiefensee (SPD) über ein weitreichendes Kontaktnetz und versuche angeblich mit Hilfe der Stadt Leipzig, andere Clubs zu verdrängen, um ein eigenes Stadion errichten zu können. Diesen Stadionbau hat der Verein laut Planungen aus dem Jahr 2016 auch vor – allerdings nicht im Mariannenpark, sondern quasi schräg gegenüber vom Sportplatz im Mariannenpark am bis heute ungenutzten Postbahnhof.
Ein Gelände, welches die CG Gruppe gekauft und erst für Flüchtlingsunterbringungen und anschließend zum Stadionbau vorgesehen hat. Noch fehlt bis heute hier laut Vereinsauskunft die Baugenehmigung der Stadt. Kostenpunkt für den Neubau etwa 3 Millionen Euro.
Auch das Engagement für junge Flüchtlinge sei nur vorgespielt, hörte man hier und da, was Backhaus in der genannten Pressekonferenz zum Hinweis an Chemie brachte, der Leutzscher Club wolle doch die Jungs von der Eisenbahnstraße (die beim FC Inter sind) auch nicht haben. Ein emotionaler Vorwurf, der bei einigen im Umfeld von Chemie hängengeblieben sein könnte – schließlich hat man selbst ein preisgekröntes Integrationsprojekt für Flüchtlinge im Verein.
Ursächlich stammt der Vorwurf des nur vorgegaukelten Integrations-Engagements jedoch aus der Zeit, als klar wurde, dass der FC Inter Leipzig rasch eine ziemlich ambitionierte Herrenmannschaft aus ausländischen Ligen zusammenstellte, um derzeit bereits in der Oberliga mithalten zu können. Der Club wurde dadurch vom „Integrationsprojekt“ rasch für viele Anhänger anderer Clubs zum unerwünschten Konkurrenten, das Integrationsbemühen hingegen infrage gestellt. Ein Teil der Frustration, welche lange Jahre beim Namen RB Leipzig in Verbindung mit Geld immer wieder Thema war, hatte hier ein zweites, wenn auch weit kleineres Ziel gefunden.
RB Leipzig hat sich in andere Sphären verabschiedet, ist sozusagen außer Reichweite und wird innerhalb Leipzigs nicht mehr so stark wie in den Anfangsjahren beäugt. Gegen den FC Inter Leipzig tritt man jedoch bis heute auf dem Platz an.
Wie weiter?
Klar ist, dass es bei allen Debatten der letzten Wochen und vor allem dem Brandanschlag im Kern nicht wirklich um eine Baugenehmigung für einen 16 mal 9 Meter großen und 5 Meter hohen Wohncontainer ging. Selbst nach dem Brandanschlag auf den Bau sehen viele keinen Grund, den FC Inter Leipzig in Schutz zu nehmen oder sich zumindest gegen die Gewalt und den Anschlag auszusprechen. Es herrscht schlicht Schweigen, bis auf ein paar halblaute Verurteilungen der Tat und wohlmeinende Hinweise, die Täter müssten rasch gefasst werden.
So äußerte sich bislang nur FDP-Stadtrat René Hobusch in einer offiziellen Pressemitteilung mit dem dezidierten Hinweis, der Anschlag sei ein Ergebnis der Scharfmacherei im Vorfeld und rief zur Mäßigung beim verbalen Umgang mit dem FC Inter auf.
Denn obwohl auch das seitens des Sportamtes eingeleitete Ende des Pachtvertrages vom SV Wacker Leipzig am 28. April 2017 nicht zu einem „Rauswurf“ der zusammen 250 Sportler der SG PKM Anlagenbau Leipzig, der BC Eintracht, der FFC Wacker und der Leipziger Scorpions führen wird, wird genau dies immer wieder behauptet. Und der FC Inter möglichst immer dabei erwähnt.
Das Bild von der Verdrängungsabsicht durch den FC Inter Leipzig wurde und wird so immer weiter befeuert. Auch, obwohl derzeit eher eine Übernahme der Pacht durch die SG PKM Anlagenbau Leipzig (einem der jetzigen Mieter), welche bereits Interesse gegenüber der Stadt bekundet hat, angedacht scheint. Ausgang offen.
Aufgrund des Ziels jedoch, ein Stadion am alten Postbahnhof zu bauen, heißt es aus FC Interkreisen, reiche der eine Platz wie bislang auf dem Sportgelände aus. Selbst wenn man vermutet, Inter selbst versuche das gesamte Gelände als Pächter bei der Stadt zu beantragen, dürfte den Verantwortlichen des Clubs klar sein, was ein Rauswurf anderer Sportler für die eigene Zukunft in Leipzig bedeuten würde.
Interessant jedoch bei allen Netz-Spekulationen und Wortmeldungen vonseiten der CDU Leipzig, der rechtsradikalen Facebookseite „Wir für Leipzig“ und einer neu gegründeten „Allianz für den Mariannenpark“ (ohne Angaben der Urheber der Seite bei Facebook), dass bislang trotz der Graffitis vor Ort der Name BSG Chemie seit Ostern 2017 noch von keiner Seite gefallen ist. Stattdessen gab es bei der “Allianz” zum Brand den Kommentar der Seitenbetreiber: “Meine Urgroßmutter sagte immer: Unrecht Gut gedeihet nicht …”
Dass eine Pachtfrage und ein Container längst eine politischen Debatte geworden sind, zeigte sich am gestrigen Samstag. Da fanden sich ganz viele CDU-Mitglieder, unter anderem Bundestagsdirektkandidat Jens Lehmann, Landtagsmitglied Holger Gasse und Stadtrat Ansbert Maciejewski demonstrativ als neue Rugby-Fans der „Scorpions“ im Mariannenpark ein und statteten dem ersten internationalen Nachwuchs-Turnier einen fotografisch eng begleiteten und rasch auf Facebook verbreiteten Besuch ab.
Zum Besichtigungstermin am 6. April 2017 beim FC Inter war Maciejewski hingegen nicht erschienen und stellte sich in einem Statement demonstrativ auf die Seite des SV Wacker, nachdem Siegfried Schlegel zur Klärung wegen der Containerfrage auf den Bauausschuss als geeignete Stelle der Klärung verwiesen hatte.
Es ist Wahlkampf, sicher. Was einen Kommentator beim Netzwerk zur Feststellung brachte, so viel CDU-Prominenz auf einmal auf dem Gelände zu sehen – also ein seltener Anblick. Inter Leipzig gewann sein Heimspiel praktisch gleichzeitig gegen den SSV Markranstädt mit 3:0 – im Ausweichspielort Sportpark Tresenwald Machern.
Auch dies letztlich nur ein Beispiel mehr, warum sich der Stadtrat Leipzigs wohl mal ganz grundsätzlich mit dem finanziellen Zustand vieler Sportvereine in der Messestadt befassen sollte. Denn ein gerüttelt Maß bei diesen Auseinandersetzungen rührt auch aus der dauerproblematischen Lage im Leipziger Breitensport her.
Nachtrag 24. April 2017: Die vollständige Pressekonferenz nach dem Spiel BSG Chemie / Inter Leipzig (Youtube)
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https://www.l-iz.de/bildung/medien/2017/04/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
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