Während des Stadtderbys zwischen der BSG Chemie Leipzig und dem 1. FC Lok Leipzig ist es zu keinen Zwischenfällen gekommen. Sowohl im Stadion als auch bei der An- und Abreise der Fangruppen benahmen sich die 4.999 Zuschauer, darunter 750 Lokfans, im und um den Alfred-Kunze-Sportpark. Auch wenn dieses Derby nicht als das stimmungsvollste in die Geschichte eingehen dürfte, war es immerhin das friedlichste Aufeinandertreffen beider Rivalen seit der Wende. Eine kleine Reportage hinter den Kulissen des 99. Leipziger Derbys.
Derbys in Leutzsch bedeuteten seit jeher: Spannung, Spiel und gute Atmosphäre. Spannung hatte das 99. Stadtderby reichlich zu bieten. Watahikis Tor in der 117. Minute und Alexander Burys Pfostenschuss nach 95 Minuten agierten als wunderbare Pulstreiber auf beiden Seiten. Ein Spiel kam vor allem durch den Kampf beider Teams zustande, aber die Stimmung war im Vergleich zu den bisherigen Duellen seit der Wendezeit absolut ausbaufähig.
Auf der einen Seite ein vergleichsweise kleines Häufchen von 750 Lok-Fans, die sich mühten, ihre Mannschaft zu unterstützen, aber selten echtes Derbyfeuer verbreiteten. Auf der anderen Seite die Chemie-Fans, die sich komplett auf den Ultra-Gesang der Diablos verließen. Vorbei scheinen die Zeiten, in denen ein ganzer Alfred-Kunze-Sportpark das langgezogene „Chääääämie“ auf den Rasen brüllt. Früher sang das ganze Stadion, wenn Chemie gut spielte, beim Derby war es zu weiten Teilen nur der Unterrang auf dem Norddamm.
Auch die Spruchbänder auf beiden Seiten waren schon mal kreativer. Während die einen sich vor allem auf die Gruppierung “Fanszene Lokomotive Leipzig” eingeschossen hatten, provozierten die anderen mit dem Spruchband „Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher!“. Der Schlachtruf war früher fester Bestandteil des Leutzscher Stimmungsgutes und wurde noch lange als „systemkritisches Überbleibsel aus der SED-Zeit“ von den Grün-Weißen verteidigt. Heute ist der Spruch im AKS unerwünscht und man scheint in Leutzsch auch nicht mehr die Farben seines Teams zu tragen.
Denn obwohl die Grün-Weißen in ihren traditionellen und durchaus sehenswerten Trikots aufliefen, war der Leutzscher Norddamm in dunkles Schwarz gehüllt. Die Lok-Fans waren zumindest etwas bunter, auch wenn blau und gelb ebenfalls keine Dominanz ausstrahlten. Die letzten beiden Derbys in Leutzsch mussten auch wegen Pyrotechnik aus dem Lok-Block lange unterbrochen werden. Diesmal war im Stadion nicht ein einziger Böller zu hören, von der Gefahr einer Spielunterbrechung ganz zu schweigen, obwohl es auf dem Feld gerade nach Foulspielen gut in die Nachbesprechung ging.
Da ist es schon kurios, dass ausgerechnet im Presseraum der BSG offenbar die größte Eskalationsgefahr bestand. Der Wirt verbat sich in seiner Gaststube jegliche zweifelnde Worte am Schiedsrichter und an den Chemie-Spielern, die sich nach der roten Karte für Steffen Fritzsch nach 60 Minuten durchaus ergaben und verwies mit dem Argument: „Ihr seid Clubschweine, und ihr seid hier nur geduldet“ nicht nur ehrenamtliche Pressemitarbeiter des 1. FC Lok, sondern auch einen Journalisten der BILD Leipzig darauf, wie groß der Wirt hier Gastfreundschaft und sportliche Fairness schrieb.
„Und jetzt dreh’ dich weg und schau aufs Spielfeld. Wenn du Emotionen willst, musst du in den Gästeblock gehen“, pöbelte er noch Richtung der Lokhelfer, während andere Anwesende ihn versuchten zu beruhigen. Ein Journalist, der im Auftrag von „Die Zeit“ in Leutzsch war, nahm den Gastgeber letztlich zu einem klärenden Gespräch zur Seite.
Den Vertretern des 1. FC Lok war in der Situation klar geworden, dass die Unterweisung des Pressebeauftragen der BSG Chemie, Jörg Augsburg, offenbar kein Spaß war. Augsburg hatte die Pressebändchen nur unter der Auflage verteilt, dass auf keine Provokationen seitens der Chemiker eingegangen wird, niemand der Fotografen einen Chemiefan im Block fotografiert und auch keine Zaunsfahne aus dem Innenraum stiehlt. „Sonst kommt hier keiner lebend wieder raus“, gab er den ehrenamtlichen Mitarbeitern des 1. FC Lok mit auf dem Weg.
Immerhin: Kurze Zeit waren sämtliche Journalisten gut geschützt, denn Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz schaute höchstselbst im Presseraum auf eine Bockwurst vorbei. Der 60-Jährige hätte nach dem Spiel die betriebliche Vollversammlung aller Polizisten in Leipzig abhalten können. Die Quote zwischen Fans und Polizisten stimmte. Alleine die sieben LVB-Busse, mit denen die Lok-Fans vom Plache-Stadion über die Chemnitzer Straße, Leinestraße, B2, Marschnerstraße und Hans-Driesch-Straße anreisten, wurden von über 30 Polizeiwagen begleitet.
An der „Endhaltestelle“ Leutzscher Bahnhof warteten dann zwei Hundertschaften, um die Busse in Empfang zu nehmen. Noch in Probstheida hatte die Polizei per Mikrofon-Durchsage in den Bussen darauf hingewiesen, dass Fans, die ein Aufenthaltsverbot für Leutzsch haben, ganz sicher in Gewahrsam genommen würden.
Unterm Strich war im Vorfeld des Derbys durch die unschönen Aktionen aus dem Lok-Lager mehr Unruhe verbreitet worden, als während des Spiels. Pyrotechnik zündete man bei den blau-gelben nur bei der Rückkehr der Mannschaft ins Bruno-Plache-Stadion. „Ich bin absolut zufrieden mit dem Verhalten unserer Fans. Alle wussten, dass viel auf dem Spiel stand. Es war eine tolle Atmosphäre, wir können zufrieden“, zeigte sich Jens Kesseler erleichtert.
Der Lok-Präsident stand zusammen mit anderen Präsidiumsmitgliedern im Fanblock und nahm auch ein kleines Andenken mit nach Hause: Im Block der Lok-Fans waren die Zäune und Wellenbrecher vor dem Spiel mit grünem Schmierfett verunreinigt worden. Die Feuerwehr musste kurzfristig noch mal feucht durchwischen.
Dass es ansonsten ruhig blieb, lag sicher auch an der Polizeitaktik, die ausgeklügelt war. Bei dem Aufwand, der dahinter steckte, stellt sich allerdings doch die Frage, ob ein Wiedersehen in der Liga, was bei derzeit nur einer Liga Unterschied möglich scheint, nicht doch an einem leichter abzusichernden Ort stattfinden sollte.
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