KommentarTradition gegen Kommerz, ehrlich gegen gekauft, Heimatliebe gegen Söldnertum, Fankultur gegen Brausekundschaft, oder ganz einfach: gut gegen böse. Nein, es ist wirklich nicht mehr zum Aushalten. Das Drumherum um das Pokalspiel zwischen Dynamo Dresden und RB Leipzig sowie das Verhalten von Spielern und Fans während der Partie haben wieder einmal gezeigt: Die Abneigung gegen den Leipziger Emporkömmling ist geprägt von gefährlicher Heuchelei.
Fußball-Deutschland darf aufatmen: Dynamo Dresden hat RB Leipzig aus dem Pokal geworfen. Alle Freunde der verkürzten – man könnte auch sagen: rechten – Kapitalismuskritik wurden Samstag Zeuge davon, wie ein heldenhafter Underdog das von ausländischem Kapital hochgezüchtete Kunstprodukt in die Knie zwang. Womit wir schon beim ersten Problem wären.
Kaum jemanden scheint es heute noch zu interessieren, unter welchen Bedingungen all die angeblich so traditionsreichen Ostclubs einstmals entstanden sind. Mit „Volkssport“ und „Basisdemokratie“ hatte das wenig zu tun. Die wichtigen Entscheidungen über Gründungen, Auflösungen, Zusammenschlüsse sowie Spieler- und Ligendelegationen fielen in der Führungsetage der DDR. Bei Dynamo Dresden war das zu Beginn nicht anders. Fairerweise sollte man also auch RB Leipzig ein halbes Jahrhundert Zeit geben und erst dann darüber urteilen, ob es sich um einen respektablen Traditionsclub oder weiterhin lediglich um das Marketingwerkzeug einer Firma handelt. Entscheidend dabei wird wohl die wirkliche Öffnung RB Leipzigs als Verein für Mitglieder sein.
Wirft man einen Blick auf die weiteren Verdrängungsprozesse innerhalb der heutigen Dynamo-Führung, wird man auch in der jüngeren Vergangenheit fündig. Noch vor drei Jahren bewarben die Gelb-Schwarzen auf ihrer Homepage mehrmals die Nachwuchsduelle zwischen Dresden und Leipzig als „Sachsenderby“. Heute will das Wort „Derby“ plötzlich niemand mehr in den Mund nehmen – womöglich auch deshalb, weil andere Vereine dies in jüngerer Zeit ebenfalls unterlassen haben. Dies erinnert ein wenig an den Auswärtsboykott der Fans aus Heidenheim. Waren sie beim Aufeinandertreffen in der 3. Liga noch nach Leipzig gereist, blieben sie ein Jahr später in der 2. Bundesliga daheim – weil dies nun die meisten anderen Fanszenen so handhabten.
Auch die Entscheidung, auf der Homepage das Vereinslogo von RB Leipzig nicht zu zeigen, lässt tief blicken. Denn eine Erklärung dafür hat Präsident Andreas Ritter nicht. Im Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung antwortete er auf die Frage, wieso man das Logo nicht zeige, lediglich: „Das macht ja nicht nur Dynamo Dresden, sondern das haben in der jüngeren Vergangenheit eine ganze Reihe anderer Vereine auch nicht getan.“ Er wollte sagen: Wir haben keine Ahnung, wir machen einfach mit.
Nun freuen sich alle – in und außerhalb Dresdens – darüber, dass die wahre Tradition über den Kommerz gesiegt hat. Dass die Dynamo-Spieler nach dem erfolgreichen Elfmeterschießen auf T-Shirts den Slogan „Feldi statt Brause“ zum Vorschein brachten und damit ihren eigenen Trikotsponsor feierten, ist an Bigotterie kaum noch zu überbieten. Und die Fans? Die forderten auf Bannern, „Rübe ab dem Bullenpack“ und „Dosenstecherei jetzt!“, amüsierten sich über den vor Jahren verprügelten RBL-Trommler, griffen zu antisemitisch vergifteten „Ratten“-Vergleichen.
Und warfen einen abgetrennten Bullen-Kopf in den Innenraum des Stadions. Medien wie Süddeutsche und Mitteldeutsche Zeitung bezeichneten das allgemeine Fanverhalten anschließend als „ironisch“ und stellten fest, dass niemandem die Abneigung „entglitten“ sei. Na dann ist ja alles bestens. Der DFB hingegen dürfte mal wieder Fragen bezüglich der Sicherheitsvorkehrungen bei den Dresdnern haben. Einen Kuhkopf an den Sicherheitsschleusen zu übersehen, lässt Schlimmes für die anstehende Saison ahnen. Und es schließt an die Arbeit der Presseverantwortlichen Dynamo Dresdens nahtlos an.
Und dann wäre da noch Stefan Kutschke. Drei Jahre lang spielte der hochgewachsene Stürmer für Rasenballsport Leipzig, war maßgeblich am Aufstieg in die 3. Liga beteiligt und entwickelte sich mit seiner emotionalen und kämpferischen Art rasch zum unumstrittenen Fan-Liebling, welcher er auch nach seinem Abschied noch blieb. Bis Samstag.
Denn da schoss Kutschke zwei Tore, lief anschließend beide Male zielgerichtet in die RBL-Kurve und deutete mit dem Finger auf das Vereinswappen von Dynamo Dresden. Normalerweise machen Spieler so etwas selten und auch dann nur, wenn sie von den gegnerischen Fans zuvor provoziert oder beleidigt worden sind. Davon kann hier keine Rede sein: Es gibt vermutlich keinen Spieler, den die Fans von RB Leipzig mehr mochten als Kutschke. Entsprechend frustriert reagierten sie, riefen „Kutschke, du Arschloch“ und warfen laut „Rotebrauseblogger“ auch Gegenstände. Das eine ist mehr, das andere weniger verständlich.
Anbiederei bei der Presse
Die Boulevardzeitung Mopo konstruierte daraus eine ganz eigene Geschichte: „Als die RB-Fans Kutschke beleidigten, drehte der Dynamo-Star auf“, titelte die Online-Ausgabe am Sonntagvormittag. Kutschke selbst sagte zu den Rufen: „Damals haben beide Seiten von der Zusammenarbeit profitiert, da gehört sich sowas nicht. Ex-Spieler, die in einem gewissen Maße etwas geleistet haben, sollte man schon mit Respekt behandeln.“ Das ist schon ein dreistes Stück. Sowohl Mopo als auch Kutschke lassen den Ausgangspunkt der wütenden Rufe einfach mal weg. Zumindest die Mopo fügte Kutschkes verhöhnenden Torjubel noch im Text ein.
Bei den Dynamo-Anhängern dürfte sich der Stürmer damit jede Menge Respekt verschafft haben. In Leipzig hingegen degradierte er sich mit einer einzigen Geste vom Fan-Liebling zum meistgehassten Ex-Spieler. Vielleicht noch vor seinen beiden Toren war das die bemerkenswerteste Leistung dieser Pokalbegegnung im DDV-Stadion. Namensgeber hier die Sächsische Zeitung und die Mopo, welche der DDV-Zeitungsgruppe angehören.
Bei der Sächsischen Zeitung kann man in der Onlineausgabe von allen Abläufen nur Jubelarien lesen – eine Auseinandersetzung mit dem Kopf eines Tierkadavers und Kutschkes Abschied von seinen ehemaligen Fans fehlt zumindest in den öffentlich lesbaren Artikeln. Als „Exklusiv“ und durch eine Paywall geschützt ist hingegen der Spielbericht selbst. Ob eben dieses Vorgehen auch eine Rolle für die kuriose Akkreditierungspolitik in Dresden eine Rolle spielte, ist mindestens denkbar. Das Spiel wurde nur auf Sky übertragen und die örtliche Tageszeitung versucht möglichst „exklusiv“ mitzuverdienen: Kommerz ist böse. Wenn er bei anderen auftritt.
Nun darf man gespannt auf die Bundesliga-Premiere am kommenden Sonntag in Hoffenheim blicken. Eigentlich sollte man meinen, dass sich die Fans der TSG etwas zurückhalten werden – aufgrund der eigenen Erfahrungen als Hassobjekt. Doch einige Vorkommnisse im Zusammenhang mit Duellen der Nachwuchsmannschaften – Stichwort: Boykottaufruf – zeigten bereits: Auch Hoffenheimer Fans reiten voll mit auf der Anti-RB-Welle. Eines dürfte dennoch sicher sein: Die selbsterklärte Elite Fußball-Deutschlands wird sie auch weiterhin nicht mögen. Es kann halt nicht jeder Verein so traditionsreich, lebendig und antikapitalistisch wie Dynamo Dresden sein.
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Es gibt 2 Kommentare
… und ergänzen sollte man zu der vielgerühmten Tradition von Dynamo Dresden: Die Dynamo-Klubs (BFC und DD) waren Klubs der Staatsicherheit der DDR und unterstanden der unmittelbaren Steuerung der Stasi-Generäle. Von Spielerlenkung (“Delegierung” genannt), sogar bis hin zur (natürlich für sie positiven) Ergebnismanipulation der DDR-Fußballoberliga!
Fazit: Auf was man so alles stolz sein kann …
Fussballfanatiker. Ist wie bei Besorgtbürgern, Fakten stören da nur. Die werden zur Not einfach weggeprügelt. Da machste nix.