Veränderung in der Leipziger Vereinslandschaft. Der SV Azubi – einziger Fußballverein ohne Verbandszugehörigkeit in Leipzig – ist nach dem 31.12.2016 Geschichte. Der Vereinsvorstand kündigte den Pachtvorstand für die Sportstätte Teichstraße. Das Vereinsgelände wird bald neu vergeben werden. Vorausgegangen war ein beispielloses Hin und Her zwischen einem sonderbaren Vereinsvorstand und der Stadtverwaltung.
Am Ende des Jahres wird die Leipziger Sportvereinslandschaft einen bunten Fleck weniger haben. Der SV Azubi Leipzig e.V., gegründet 1991 und Heimat für viele Fußballer, die nicht an einem wie auch immer gearteten Spielbetrieb teilnehmen wollten, wird nicht über dieses Jahr hinaus existieren. Der Vereinsvorstand reichte im Sommer die Kündigung des Pachtvertrags zum 31.12.2016 beim Sport- und Bäderamt ein. Circa 400 Vereinsmitglieder müssen sich dann einen neuen Club suchen.
Der SV Azubi war seit Jahr und Tag kein Mitglied in einem Fußballverband, sondern verstand sich als Ausbildungsverein, der eine Heimat für Spieler ist, die neben der Schule nur noch einmal in der Woche Fußball spielen wollen. Wessen Schuld das Ende des Clubs nun ist, darüber gibt es zwei Versionen. Vereinsseitig wird seit Jahr und Tag der Stadt Leipzig der schwarze Peter, vor allem für den schlechten Zustand des Geländes, zugeschoben. Sie behindere stets die Arbeit des Vereins, würde nichts in das Vereinsgelände investieren, weswegen es auch so katastrophal aussieht. In diesem Jahr erklärte der Vorstand seinen Mitgliedern zudem, dass die Stadt bisher kein Geld zur Unterhaltung der Sportstätte überwiesen habe. Die Kündigung des Pachtvertrags erscheint wie der logische Schritt in diesem Streit.
Die Stadt Leipzig in Persona Kerstin Kirmes, Leiterin des Sport- und Bäderamts und auch Mitglieder des Sportausschusses des Stadtrats berichten dagegen etwas ganz anderes über die Zusammenarbeit mit dem Verein.
„Die Stadt Leipzig hat für die Beteiligung an der Pflege und Unterhaltung aller über 100 Pachtsportstätten jährlich insgesamt 1.717.300,00 € zur Verfügung. Dem SV Azubi würden, zweckgebunden und auf privatrechtlicher Vertragsbasis für die Pflege und Unterhaltung der kommunalen Sportanlage Teichstraße, für das Jahr 2016 nach dem alle Pächter gleichbehandelnden Berechnungsmodell 14.268,91 € zur Verfügung stehen, aufgeteilt in halbjährliche Raten“, so Kirmes auf Anfrage von L-IZ.de. Problem: Der Vorstand des SV Azubi konnte die zweckmäßige Verwendung der Gelder aus den Vorjahren nicht nachweisen. „Anhand des im Vergleich zu anderen kommunalen Pachtsportstätten sehr schlechten Zustandes der Sportstätte war diese Leistungserbringung auch augenscheinlich nicht erkennbar. Wegen des fehlenden Nachweises der privatrechtlich vereinbarten Leistungen durch den Verein zum Erhalt einer städtischen Kostenbeteiligung wurden für das erste Halbjahr 2016 noch keine Gelder an den Verein ausgezahlt.“
Außerdem sperrte das Bauordnungsamt Ende 2015 die Sporthalle aufgrund des schlechten baulichen Zustands für die Ausübung jeglicher Ballsportarten. Das war der Anstoß zum letzten Streit zwischen Verein und Stadt, denn der Vereinsvorstand, dem seit Gründung zumindestens immer ein Mitglied der dreiköpfigen Familie Pustkowski angehört, sah sich in die Enge gedrängt und verfasste einen offenen Brief an alle Stadtratsfraktionen mit der Bitte um Hilfe. „Für diese Halle gibt es seit Bestehen des Vereins keine städtische Förderung. Seit Übergabe der Halle ist der Stadt Leipzig die Notwendigkeit einer Komplettsanierung bekannt“, heißt es in dem Schreiben, in dem auch auf einen Stadtratsbeschluss Ende der 90er Jahre verwiesen wird, wonach die Halle komplett sanieren werden sollte. Laut Kerstin Kirmes existiert ein solcher Stadtratsbeschluss nicht.
Weiterhin heißt es, der Verein hätte mit einer Schlichtsanierung der Halle begonnen. Doch tatsächlich betrieb der Club Flickschusterei, führte mal Malerarbeiten in der Halle durch oder ließ notdürftig die Toilette reparieren. Echte Investitionen fanden nicht statt, die Duschen sind modrig, die Heizung funktionierte noch nie, die Fenster sind undicht, die Fensterbretter dreckig, das Parkett zerschlissen. Den Vorstand trieb die Angst, die Stadt könne den Club „enteignen“, wenn er die Halle selbstständig komplett saniere.
Der Sportausschuss des Stadtrats hat sich in diesem Jahr bereits dreimal mit der Causa SV Azubi befasst. Laut Ausschussvorsitzendem Christopher Zenker (SPD) hat das Sportamt versucht, bei der erneuten Nutzbarmachung der Halle zu helfen. In einer Sitzung am 12. April 2016 hat das Sportamt dem Sportausschuss zugesichert, dass es „mit dem Verein Kontakt aufnimmt und den Verein bei der Behebung der Mängel unterstützen wird, damit die Halle wieder nutzbar wird. Voraussetzung ist jedoch, dass der Verein, wie alle anderen Vereine, einen Antrag auf investive Sportförderung stellt. Im konkreten Fall wäre die Anschaffung von Unternetzen notwendig gewesen, damit die Halle wieder bespielbar ist.“
Anschließend habe man vom Verein allerdings nichts mehr gehört, der Vorstand kommunizierte wiederum seinen Mitgliedern, die Stadt hätte nicht reagiert. Wie schnell eine Sportanlage auch in der Teichstraße auf Vordermann gebracht werden kann, konnte der Club schon beim unmittelbaren Nachbarn, Leipzig-Süd Grün-Weiß e.V., sehen. Der Kegelclub bezog 2010 die verfallene Kegelbahn auf dem Vereinsgelände des SV Azubi und erhielt dank beantragter städtischer Förderung binnen weniger Jahre eine einwandfreie Sportanlage. Warum der Club auch laut Auskunft des Stadtsportbunds nie einen Förderantrag gestellt hat, ist unklar. 14 Mal war der Verein seit 2004 Thema im Sportausschuss. So oft wie kein anderer Sportverein der Stadt.
Karsten Albrecht, Stadtrat der CDU für den Wahlkreis, hat den schriftlichen Hilferuf des Clubs für seine Fraktion entgegengenommen und an den Sportausschuss weitergeleitet. Er fasst das Verhalten des Vereins wie folgt zusammen. „Die Leitung des SV Azubi e.V. ist in unserer Wahrnehmung nicht als sehr gesprächsbereit und konstruktiv aufgefallen. Über die Jahre ist die Zusammenarbeit mit den Institutionen, vor allem dem Sport- und Bäderamt leider nicht gewachsen.“ Außerdem weiß Albrecht, dass die Anlage in den letzten Jahren nur noch teilweise ausgenutzt wurde, „da viele Nutzer durch die spezielle Vereinskultur die Nutzung anderer Plätze bevorzugt hat. Beeindruckt hat uns immer die Arbeit mit den kleinen Fußballern, die nicht ausschließlich leistungsorientiert geprägt ist.“ Albrecht führte nicht näher aus, wie diese spezielle Vereinskultur aussieht.
Nach L-IZ.de-Informationen war auch der Vorstand gegenüber Mitgliedern wenig kooperativ, verlangte stets die Abrechnung des halbjährlichen oder gar jährlichen Beitrags in bar. Überweisungen kommen nicht in Frage, der Vereinsvorsitzende Norman Pustkowski ist zugleich sportlicher und technischer Leiter.
Kurzum: Beschwerden über den einen beim anderen sind nicht möglich. Die Vereinsstruktur ist letztlich ein Ein-Mann-System, worunter die Vereinskultur zusehends litt. Eine öffentliche Vereinsdarstellung im Internet war trotz mehrmaliger Initiativen vereinzelter Mitglieder nicht erwünscht, Kontakt zum Verein ist zudem seit Jahren nur über die Handynummer des Vorsitzenden/sportlichen und technischen Leiters, postalisch oder zur wöchentlichen Bürozeit möglich. Gegenüber der Öffentlichkeit schottet sich der Verein weitestgehend ab, auch gegenüber der Presse. Zu den monatlich oder vierteljährlich angesetzten Arbeitseinsätzen kamen selten mehr als 15 Vereinsmitglieder. Wer im Jahr keine bestimmte Zahl an Arbeitsstunden leistete, musste draufzahlen. Weil die Übungsleiter aufgrund der fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten davonliefen und sich neue nicht für den SV Azubi begeistern ließen, musste Pustkowski seit drei Jahren bis auf wenige Ausnahmen alle Trainingseinheiten der laut Verein 200 Jugendlichen und Kindern selbst halten.
Bleiben vier Fragen: Wohin sind die Gelder gekommen, die die Stadt dem Verein für 2015 in ähnlicher Höhe wie für das laufende Jahr, also 14.268,91 €, zur Pflege und Unterhaltung der Anlage überwiesen hat? Die Stadt prüft zumindest Handlungsmöglichkeiten, falls die Nachweise auch weiterhin ausbleiben, um den Verein in die Pflicht zu nehmen.
Was wird aus den 400 Vereinsmitgliedern? Christopher Zenker bittet darum, dass sich die Mitglieder beim Stadtsportbund oder Sportamt melden, „damit zumindest versucht werden kann, eine Lösung für die Betroffenen zu finden.“
Wird es jemals wieder einen Verein mit einem vergleichbaren Konzept geben? Eins ist klar: Die Idee, Jugendliche und Kinder ohne die Zwänge des ständigen Wettbewerbs auszubilden und zu entwickeln und im Jahr nur eine handvoll Wettkämpfe zu bestreiten, gibt es in Leipzig kein zweites Mal. Dass sie erfolgreich ist, zeigen die konstanten Mitgliederzahlen des Clubs trotz der „speziellen Vereinskultur“.
Und: Wer wird neuer Pächter der Sportstätte nach 2016? Laut Kerstin Kirmes wird das Sportgelände neu ausgeschrieben. „Grundlage für den Zuschlag werden das jeweilige Entwicklungskonzept sowie der Grad der Leistungsfähigkeit der Bewerbervereine sein.“ Schon vor zehn Jahren drängte Roter Stern Leipzig mit Macht auf das Gelände, ist mittlerweile mit einem Großteil der Teams bei Turbine Leipzig untergekommen. Eine Bewerbung des Clubs um das in Connewitz direkt an der B2 gelegene Vereinsgelände ist nach L-IZ.de-Informationen schon erfolgt. Andere potenzielle Bewerber wie der FC United hätten schon verzichtet. Eine Warteliste von Vereinen gibt es laut Sportamt jedenfalls nicht.
In eigener Sache – Eine L-IZ.de für alle: Wir suchen „Freikäufer“
Keine Kommentare bisher