LeserclubDer 1. FC Lokomotive Leipzig ist der Fußballverein in der Messestadt, der die meisten Problemfans in seinen Reihen beherbergt. Dies geht aus Zahlen des sächsischen Innenministeriums hervor, die L-IZ.de vorliegen. Im sachsenweiten Vergleich geht demnach aus Sicht der Behörden nur von Anhängern der SG Dynamo Dresden ein höheres Sicherheitsrisiko aus. Fraglich jedoch bleibt, wie die Zahl von 300 Lok-Hooligans bei der Legida-Demonstration am 12. Januar entstand.
Die Bewertung der Fanlager erfolgt in Sachsen jedes Jahr zu Saisonbeginn durch die für den jeweiligen Club zuständige Polizeidienststelle. Die Leipziger Polizei beziffert das Problemfanpotenzial der “Loksche” auf Nachfrage der L-IZ.de auf 210 bis 260 Personen. Unter diesen sollen sich 60 Fans befinden, die die Ordnungshüter als “gewaltsuchend”, gemeinhin als „Kategorie C“-Fans bekannt, einschätzen. Inwieweit sich diese Einschätzung mit der von Innenminister Markus Ulbig auf eine Nachfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) vom 10. Februar 2015 exakt deckt, ist derzeit schwer zu sagen.
Vom amtierenden Innenminister hieß es, am 12. Januar 2015 seien 300 „zu Gewalt entschlossene bzw. gewalttätige Personen aus dem Umfeld des Vereins 1. FC Lokomotive“ bei der Demonstration von Legida aufgetaucht. Gefragt war hier ebenfalls nach gewaltsuchenden und gewaltbereiten Fans auf der Demonstration des islamfeindlichen Bündnisses. Eine Antwort, die manchen Fan in Probstheida erboste, da man sich bei den Zahlen sogenannter „Hooligans“ mittlerweile weit weniger stark vertreten sieht, als die Einschätzung im Innenministerium lautet.
Unglaubwürdig jedenfalls ist sie angesichts der neuen Angaben durchaus. So müssten, bei Richtigkeit der Abschätzungen der Polizei, alle gewaltbereiten Lok-Fans an diesem Tag anwesend gewesen sein und noch ein paar Freunde mit vors Zentralstadion gebracht haben. Da ist es wohl logischer anzunehmen, dass man im Innenministerium der Einfachheit halber alle gesichteten „sportiven“ Teilnehmer am 12. Januar in eine Tüte gestopft hat und das Lok-Emblem draufpappte.
Eine naheliegende Erklärung für die durchaus hohe Schätzung von 300 Personen aus dem Lok-Umfeld könnten weitere gewaltbereite Fans anderer Vereine gewesen sein – nahezu keiner trug am 12. Januar nach L-IZ-Beobachtungen seine Clubzugehörigkeit explizit zur Schau. Inwieweit sich Fans des Halleschen FC an Legida-Veranstaltungen beteiligen ist noch unklar. Doch im Ultrabereich pflegt man eine lange Freundschaft mit Lok. Und auch bei RB tut sich allmählich etwas im Bereich gewaltbereite Fans.
So oder so – offenbar bleibt es nach den Jahren, als noch bis zu 70 Mitglieder der vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppierung „Scenario Lok“ eine festgefügte, rechtsradikale Menge bildeten, derzeit schwierig zu sagen, wie viel Aggressionspotential sich im „Umfeld“ von Lok genau finden lässt. Und inwieweit der Verein die Anhänger wirklich noch in seinem Stadion beherbergt.
Die Sorgenkinder der anderen Vereine in Sachsen im Überblick
Übertroffen werden die Leipziger in den polizeilichen Einschätzungen landesweit allerdings nur von den Anhängern des Drittligisten Dynamo Dresden. Hier geht die Polizei von 635 gewaltbereiten Fans aus. Von diesen seien 135 “gewaltsuchend”. Auf Platz drei der Behördenliste rangiert Zweitligist Erzgebirge Aue mit 210 Problemfans, darunter 30 Hooligans.
“Hierbei handelt es sich um eine ungefähre Bewertung des im Umfeld des Vereins vorhandenen Gewaltpotentials. Dabei werden Erkenntnisse aus der Vorsaison berücksichtigt, Daraus können jedoch keine Rückschlüsse auf die jeweilige Mobilisierung dieser Szene gezogen werden”, erklärt Pressesprecherin Pia Leson gegenüber L-IZ.de.
In der Fanszene der BSG Chemie verortet die Leipziger Polizei 70 bis 100 gewaltbereite Supporter, wovon 10 bis 20 als “gewaltsuchend” eingestuft seien. Allerdings sind diese Angaben mit besonderer Vorsicht zu genießen. “Für die Landesliga findet kein durchgängiger Informationsaustausch Sporteinsätze statt. Daher liegen für die BSG Chemie Leipzig keine saisonbezogenen Angaben vor”, so Leson.
In der Fanszene von Zweitligist RB Leipzig sollen sich bereits 40 gewaltbereite Anhänger tummeln. Dies sind in der Summe weniger als beim Chemnitzer FC (100 – 110), dem FSV Zwickau (100) und beim VFC Plauen (55). Nach den Angaben des Innenministeriums ist keiner dieser Fans “gewaltsuchend”. In der Tat machten RB-Fans bisher nicht durch Hooligan-Aktivitäten von sich Reden.
Die Schlussplätze des Rankings belegen die überschaubaren Fanlager der Regionalligisten Budissa Bautzen (20) und VfB Auerbach (2 – 5).
Anteil der Rechtsradikalen unter den gewaltbereiten Fans bei 20 Prozent
In einer weiteren Anfrage ans Innenministerium versuchte Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Die Linke) herauszubekommen, wo sich nun die Schnittmengen zwischen den gewaltbereiten und den rechtsradikalen Gruppierungen in Sachsen finden. In seiner Antwort vom 29. Januar findet Innenminister Markus Ulbig (CDU) in Leipzig wenig Neues. Oder besser Altbekanntes, was irgendwie doch noch erwähnenswert ist, da es wohl so recht keiner glauben mag.
Auf die Frage, wo sich rechtsextreme Strukturen im Umfeld von sächsischen Fußballclubs finden, tauchen auf einmal die Auflösung von „Scenario Lok“ im Oktober 2014 und die bereits bekannten 70 Mitglieder wieder auf. Ein wenig scheint es, als ob man im Innenministerium mit der Schließung der Odermannstraße 8 und der öffentlich verkündeten Auflösung der Gruppe den Draht verloren hätte. Neuere Informationen scheinen nicht vorzuliegen, ganz so, als ob sich die 70 Mitglieder in Luft aufgelöst hätten.
Aktive bekannte Strukturen seien hingegen die „Faust des Ostens“ – „eine rechtsextremistische Gruppierung, die dem Fanumfeld der SG Dynamo Dresden zugerechnet wird. Ihr werden derzeit 40 Personen zugerechnet.“. Weitere rechtsextremistische Gruppen seien die „New Society“ (NS-Boys) und die „Kaotic Chemnitz“-Gruppe, welche beide mit einer Gesamtzahl von zirka 50 Personen dem Fanumfeld des Chemnitzer FC zugerechnet werden.
Insgesamt schätzt man derzeit den Anteil der Rechtsextremisten unter den gewaltbereiten Fans in Sachsens Fußballvereinen bei 20 Prozent. Mit einer offenbar unscharfen Sicht auf die Gruppierung, welche nach Einschätzung aller Behörden und Szenekennern bislang den festesten Draht zu NPD und Jungen Nationaldemokraten unterhielt. Die “verschwundenen Scenarios” von Lok.
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