Der Andrang an den Vorverkaufskassen ist groß. Bereits 32.000 Karten wurden für das Zweitligaspiel zwischen RasenBallsport und den Kickern vom Millerntor verkauft, die 40.000 ist in Sichtweite. Ein Spitzenspiel ist diese Begegnung allerdings mitnichten. In Zahlen: der derzeit etwas formschwache Tabellensiebte spielt gegen den Vorletzten der Liga. Neun Gegentreffer auf Seiten der zuhause noch ungeschlagenen Leipziger verweisen auf die neben Tabellenführer Ingolstadt stärkste Defensive der zweiten Liga.
25 Gegentreffer haben die Paulianer bereits auf dem Konto. Kein Torwart der doch recht homogene Liga musste öfter hinter sich greifen. Was die Treffer angeht, trennen RB und St. Pauli allerdings nur drei Tore. Das spricht derzeit sicherlich nicht für RB, deren Offensivabteilung sich in dieser Spielzeit des Öfteren nicht konsequent genug für die über weite Strecken guten Leistungen belohnt. Spiele wie in Nürnberg, gegen Düsseldorf oder gegen Heidenheim hätten mehr als nur zwei Punkte einfahren müssen. Die Leistung, welche die Fußballer von Trainer Zorniger zuletzt gegen Darmstadt zeigten, war der vorläufige fußballerische Tiefpunkt einer Entwicklung, der man seitens der Vereinsführung sicherlich nicht allzu lange zuschauen wird.
Ob oder wer im Winter als Neuzugang verpflichtet wird, bleibt abzuwarten. Man merkt, in Leipzig sind die Ansprüche hoch, der Druck enorm. Denn wenn RB strauchelt, freut das den Teil der Weltmeisterrepublik, die in dem Verein den Inbegriff des für sie bedrohlichen modernen Fußballs sehen wollen. So kam es schon häufig dazu, dass die Gästekurve im Zentralstadion leer blieb. Bei Gegenbesuchen der Rasenballer sind die Gästekurven hingegen immer gut gefüllt.
Diesmal ist der Gästeblock für das Spiel am Sonntag (Anpfiff 13:30 Uhr) schon lange ausverkauft. Rund 6.000 Unterstützer der Kiezhelden kommen von der Elbe an die Elster. St. Pauli zieht das Publikum in großer Zahl auch nach Leipzig – oder eben gerade dort hin. Da, wie schon angemerkt, fußballerisch vermutlich nicht viel erwartet werden kann, bleibt die Frage, woher der Ansturm kommt. Wird hier wieder der Endkampf zwischen Gut und Böse proklamiert? Wohl kaum.
Einem Aufruf der Gruppe Ultrá Stankt Pauli zufolge wollen die Gästefans mit ihrer Vergangenheit ein buntes Gegengewicht zum vermeintlichen Einheitsbrei der Brausedosen bieten. Dort nennt man es eine Mottofahrt. Man könnte auch Mottenfahrt dazu sagen. Alle Fans sollen sich mit einem Trikot oder Fanartikel bekleiden, mit dem sie eine wichtigen Moment als St. Pauli-Fan verbinden. “Lasst uns allen zeigen, was wir schon erlebt haben und wie viele Erlebnisse uns mit unserem Verein verbinden. Wir müssen dazu nicht mit dem Wort Tradition um uns schmeißen, ein Blick in den Kleiderschrank genügt, um zu erfahren, was wir mit diesem Verein schon alles durchlebt haben”, heißt es auf der Internetseite der Ultragruppe.
Was daran besonders sein soll, wissen wohl nur die InitiatorInnen selbst. Auf der einen Seite die Tradition nicht um sich schmeißen wollend, kommt sie hintenherum wieder aufs Tapet. Vielleicht auch, weil es eben der einzig wirklich fassbare Unterschied zwischen den Proficlubs heutiger Tage ist: Das Gründungsdatum. Es scheint für gewisse Fans des FC St. Pauli vielleicht undenkbar, aber auch die Unterstützer des von ihnen in infantiler Manier titulierten “Kackvereins” teilen längst Momente mit ihrem Verein, welche die ersten nachhaltigen Eindrücke hinterlassen haben. Man denke da nur an das unsägliche 2:2 gegen die zweite Mannschaft des VfL Wolfsburg in der Regionalligasaison 2010/2011, welches das Ende der damaligen Aufstiegshoffungen bedeutetet. Oder man erinnert sich an das Relegationsrückspiel gegen die Sportfreunde Lotte, das erst in der Verlängerung entschieden werden konnte und den Aufstieg in die dritte Liga brachte.
Ja, Geschichte ist keine Konstante, derer sich die sicher sein dürfen, die früher geboren wurden. Als der Kiezklub 1977 erstmals in die erste Bundesliga aufstieg, war der heutige Trainer Thomas Meggle gerade mal zwei Jahre alt. Wer hier mitdenken mag …
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Doch entscheidender ist wohl, dass am Sonntag eine Marke gegen einen andere spielt. Warum RB eine ist, braucht sicherlich nicht mehr erklärt werden. Man wehrt sich auch seitens des Vereins nicht gegen das Bild des durchprofessionalisierten Ansatzes, einer gewissen Kälte im Business und klaren strategischen Zielen. Hier werden Vermarktungsinteressen ausdrücklich benannt und der Deckmantel des “sauberen” Sports allein für die Fans war von Beginn an nicht vorhanden.
Warum St. Pauli nun eine Marke ist, muss vermutlich auch der eigenen Anhängerschar dargestellt werden. Da ist zuerst mal der schon erwähnte hohe Zustrom an Zuschauern, der auch in Leipzig zu beobachten sein wird. Zu solchen Anlässen kommen viele ins Stadion, die ansonsten nicht viel mit Fußball zu schaffen haben, die aber gern den Totenkopf auf der Brust tragen. St. Pauli ist Lifestyle und wird als solcher vermarktet. Täte man das nicht, wäre man in noch tieferen Gefilden des deutschen Fußballs und könnte gegen FC Hintertautschel an der Braake spielen.
Der Totenkopf ist eine etablierte Markte, ein Brand oder Label, unter dem sich eine Gruppe von Individuen subsumieren lässt, die dieser Marke dienen. Diese Marke hat einen großen Markt, deren Käufer sie dort konsumieren können. Dieser Markt speist sich aus der subkulturell mainstream-linken Szene, für die das Trinken der völlig unkommerziell vertrieben Marke Astra und das Schwenken von Fahnen mit dem Konterfei eines Revolutionärs zum Fußball dazugehört. Ob das in letzter Konsequenz als politischer Akt angesehen werden darf, ist zweifelhaft. Doch die Mechanismen sind im hohen Norden die Selben, wie rings ums Zentralstadion Leipzig.
Nebenbei kommen Schlagworte wie Vermarktungsrichtlinien oder Wirtschaftlichkeit auch im Vokabular des Stadtteilvereins vor. Und sie müssen es sogar. Wenn im Aufruf der Ultragruppe vom Abgrund des Fußballgeschäfts die Rede ist, wird auch dort wieder vergessen, dass St. Pauli selbst Teil dieses Geschäftes ist. Der Teil, welcher unter der bunten Vielfalt der Anhängerschaft ihr ewig gleiches Werk verrichtet. Die Kritik, die in diesem Sinne keine ist, führt sich selber ad absurdum. Statt zu reflektieren, ist alles Schlechte, das ihr eigenes Schlechtes ist, auf ein Außen projiziert. Und wenn dann auch noch Sky Receiver mit dem bekannten Schädel im Umlauf sind, möchte man nur noch sagen: Willkommen in der schönen Welt des Fußball. Sie dürfen jetzt aufhören zu träumen.
Und ganz nebenbei erfüllt auch das Arschloch im Wandschrank namens RB Leipzig in dieser Markenwelt Fußball seine Aufgabe als Bad Guy der Liga vortrefflich.
Zum Spielbericht vom 23. November 2014 auf L-IZ.de
RB Leipzig vs FC St. Pauli 4:1: Kantersieg gegen harmlose Kiezkicker
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