RB Leipzig steht vor dem Sprung in die 2. Bundesliga. Am Samstag können die Rasenballer mit einem Dreier gegen den 1. FC Saarbrücken die sportliche Qualifikation in Deutschlands zweithöchste Spielklasse eintüten. Sollte die Deutsche Fußball Liga (DFL) den mit Red-Bull-Millionen zu Marketing-Zwecken geschaffenen Verein wie erwartet die Lizenz erteilen, wäre dies eine Zäsur für den Bundesliga-Fußball.
Dass eine Einzelperson einen Fußball-Club besitzt, ist im Ausland – etwa in England oder Italien – längst Realität, den Deutschen aber fremd. Während in manchen englischen Club wie beispielsweise in Portsmouth und sowieso beim FC United of Manchester eine Gegenbewegung eingesetzt hat, die die Clubs wieder in Fanhand bringen will, spielen hierzulande bisher Vereine – im juristischen Sinne also Personenzusammenschlüsse – Meisterschale, DFB-Pokal und Europacup-Startplätze aus.
Nun ist Rasenballsport Leipzig e.V. kein gewöhnlicher Verein. Zugegeben: Dieser Satz ist gewiss jedem Fußballfan in irgendeinem Winkel Fußballdeutschlands schon über die Lippen gegangen, als er Freunden und Bekannten von seiner jeweiligen großen Liebe erzählt hat. RB Leipzig unterscheidet sich aber strukturell von Bayern München, Borussia Dortmund und Co. Zwar ist der Club im Vereinsregister registriert. Die Mitgliederversammlung ist das gestaltende Element. Aber: Nur acht Mitglieder sind stimmberechtigt. Alles treue Gefolgsleute von Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz, dessen Unternehmen den jungen Verein auf die ganz große Fußball-Bühne hieven möchte.
Fans und Leipziger Honoratioren können zwar auf mannigfaltige Weise auf den Club einwirken, sei es durch Mitarbeit in den selbstgebildeten Fangremien, sei es durch Lobbyismus im VIP-Bereich des Zentralstadions, das seit 2010 durch einen Kauf der Namensrechte Red-Bull-Arena genannt werden soll. Aber bislang können eben jene Fans weder verbindliche Beschlüsse erzwingen noch den Vorstand entmachten.
Kritiker des RB-Modells verweisen an dieser Stelle auf die Mitgliederzahlen von Bayern München, Schalke 04, Borussia Dortmund oder dem Hamburger SV. Allerdings lieferten gerade die Norddeutschen in dieser Saison den Beweis, dass eine hohe Mitgliederzahl und die damit verbundene vermeintliche x-tausendfache Kontrolle der Handelnden durch die Vereinsbasis Fehlentwicklungen nicht zwingend stoppen kann. Seit 1987 ist der Bundesliga-Dino titellos. Dieses Jahr droht der Absturz in die Zweitklassigkeit.
Doch ist letztlich nur noch der kommerzielle Erfolg entscheidend? Eine Frage, welche nicht nur, aber vor allem derzeit in Leipzig aufs Neue diskutiert wird.
Die Leipziger Traditionsclubs erlebten nach der Wende ein Auf und Nieder. Es ist wie eine Dauerkränkung der Fußballfans, dass es die traditionelle Fußballhochburg aus eigener Kraft heraus nach 1989 nur von 1991 – 1998 mit einem Club in die erste und zweite Liga schaffte. Damals zwar mit viel finanziellem Aufwand. Setzt man allerdings die Kaderinvestitionen von RB Leipzig und dem VfB ins Verhältnis, so zeigt sich, dass der Traditionsclub einstmals zwar viel Geld ausgegeben und auch verbrannt hat, aber deutlich weniger als RB. Der Unterschied ist nur: Beim Getränkekonzern spielt Geld keine Rolle.
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Das Desinteresse der Kommune und die mal mehr, mal weniger vorhandenen Mittel weiter Teile der ortsansässigen Wirtschaft, prallten ab Ende der Neunziger auf Fehler der Führungsetagen. Binnen 24 Jahren gingen Sachsen Leipzig und VfB Leipzig je zwei Mal insolvent, wurden schließlich liquidiert und mussten in der Kreisklasse neu anfangen. Darüber hinaus war das Zuschauerinteresse nach der Wende im Keller. Das erste Zweitliga-Spiel des VfB im Jahre 1991 gegen CZ Jena wollten nur 4.000 Zuschauer sehen. Vier Jahre nach dem Einzug ins Europapokalfinale gegen Bordeaux vor über 100.000 Zuschauern.
Nur zu sieben Erstliga-Partien kamen über 10.000 Zuschauer. Auch in der 2. Bundesliga kamen nur in zwei Phasen dauerhaft mehr als 10.000 Zuschauer ins Stadion: Kurz vor dem Aufstieg in die höhere Spielklasse und beim Rückzug ins Bruno-Plache-Stadion. Ansonsten verliefen sich in Zentral- und und Bruno-Plache-Stadion selten mehr als die magischen 10.000, eine Zahl, welche neben Merchandising und TV-Geldern schlicht nicht genügt. Danach stieg der Fußball mit den Vorbereitungen auf die WM 2006 auch in Leipzig noch einmal kräftig in der öffentlichen Priorität gestiegen. Von dem Boom profitiert heute RB Leipzig.
Mittlerweile hat die Stadtspitze das Potenzial des weitgehend ohne sie erfolgreichen Fußballs für die eigene Imagepflege erkannt – und rollte Red Bull bei vielen Entscheidungen den Roten Teppich aus, die Marketingprofis warfen das Geld darauf. Beim 1. FC Lokomotive hingegen freut man sich schon darüber, wenn ihnen jemand seitens der Stadt überhaupt zuhört, während die Probstheidaer weiterhin Sport veranstalten. Und sich nahezu frei von Zuschüssen um so manche Angelegenheit kümmern, die eher nach Sozialarbeit riecht. Der Zeitraffer im Zentralstadion hat man auch aus diesen Gründen wenig entgegenzusetzen gehabt. Hier ist alles so rein, der Fanblock hüpft noch artig im abgesprochenen Gleichtakt und singt nur abgesprochene Lieder.
Dabei sind nahezu alle Leipziger Sportstätten – wie sämtliche im Fußball-Breitensport – dringend sanierungsbedürftig. Ein Zustand, den es in der hochmodernen Arena am Elsterflutbecken, die nach dem Zweiten Weltkrieg durch Kriegsheimkehrer aufgeschüttet und Anfang der 2000er für Olympiabewerbung und Fußball-WM mit Steuergeldern fit gemacht wurde, nicht gibt.
RB Leipzig fungiert als Schutzschild für die Kommune, die stolz zeigen kann, dass Leipzig bald Bundesliga-Fußball hat. Dass Kabinen und Duschen der vielen anderen Sportstätten teils noch DDR-Standard haben, die Rasenpflege in den Vereinen mittlerweile zu einem Großteil ehrenamtlich geschieht und grundlegende Investitionen in den Breitensport notwendig sind, ist längst zur Seite geschoben. Wie gut sich dabei das Dezernat von Innen- und Sportbürgermeister und offensichtlichem RB-Fan Heiko Rosenthal (Die Linke) mit der eigentlichen Situation im Leipziger Fußball auskennt, konnte man vor nun fast drei Jahren bei der Neuvergabe des Stadion-Betriebes in Leutzsch an die heutige SG Sachsen Leipzig sehen. Die bereits damals an Fans und Zukunft breiter aufgestellte BSG Chemie ging leer aus – Dauerstreit, die ständige Krisensituation bei den Finanzen und zuletzt der Austausch des gesamten Vorstandes bei der SG Sachsen Leipzig waren nur die offensichtlichsten Folgen kommunaler Kompetenz. Der Alfred-Kunze-Sportpark ist seitdem in immer schlechterem Zustand, da der Pächter kein Konzept hat, die Anlage in Schuss zu bringen und sich der Leutzscher Kiez längst mehrheitlich der BSG Chemie zugewandt hat.
Die Tiefebenen spielen im Angesicht des Aufstieges RB Leipzig jedoch derzeit fast keine Rolle mehr. Der Traum ist ein anderer, die Leipziger Umgebungssituation wird von einer roten Sonne überstrahlt. Profifußball ist in Deutschland ein florierendes Geschäft, nur das steht nun am Horizont. In der Glamourwelt der Bundesligen winken für Spieler, Trainer und Führungskräfte traumhafte Renditen. Die DFL, die die beiden obersten Spielklassen verantwortet, vermeldete im Januar 2014 den neunten Umsatz-Rekord in Folge. Die 36 teilnehmenden Clubs erlösten in der Spielzeit 2012/13 rund 2,17 Milliarden Euro. 39 Prozent flossen in Form von Gehältern und Boni zurück an Spieler und Trainer.
RB Leipzig ist letztlich nur die Spitze der fortschreitenden Ökonomisierung, die mit dem Fußball-Boom Ende der Neunziger begann und Leipzig ein Exempel für die dabei auftretenden Widersprüche. Spielten die Erstligisten damals noch überwiegend in hässlichen Betonschüsseln, heißen die Stadien heute mehrheitlich Arenen, sind nach Sponsoren benannt, komplett überdacht und bieten dem Fußball-Konsumenten ein Rundum-Erlebnis. Das Spiel wird in eine Stadionshow eingebettet, das Vereinsmaskottchen bespaßt vor Anpfiff die ganz jungen Besucher und am Kiosk gibt’s neben Bier und Bratwurst ein reichhaltiges Speise- und Getränkeangebot.
Das Merchandising erstreckt sich längst nicht mehr nur auf Schal und Trikot. So finden Fans von Borussia Dortmund im Stadion-Shop auf zwei Etagen vom Gartenzwerg bis zum Waschbeckenstöpsel alles, was das schwarz-gelbe Herz begehrt. Außerdem bietet das Vereinsmuseum Interessierten einen kleinen Einblick in die Historie der Borussen – vorausgesetzt, sie zahlen sechs Euro Eintritt.
Der Energy-Drink-Riese aus Fuschl am See hat Anfang der 2000er das wirtschaftliche Potenzial des Fußballs für sich entdeckt. Seit dem Mateschitz-Einstieg beim SV Wüstenrot Salzburg 2005 holte der Club unter neuem Namen und Farben fünf Meisterschaften. Was fehlt, ist der große europäische Erfolg. In der Champions League erreichte der Verein kein einziges Mal die Gruppenphase.
Hinzu kommt, dass die österreischiche Bundesliga für Weltstars wie Messi, Neymar, Götze und Bale dermaßen unattraktiv ist, dass sie für kein Geld der Welt in die europäische Fußballprovinz wechseln würden. Anders das deutsche Fußball-Oberhaus. Die Bundesliga ist die drittstärkste Liga Europas, wenn nicht sogar der Welt.
Die großen Titel sollen folglich irgendwann in Leipzig gewonnen werden. Mateschitz’ Investment in der Messestadt ist rein strategischer Natur. RB Leipzig ist nichts anderes als eine groß angelegte Marketing-Aktion. Das vielfach kommunizierte Anliegen, dem lokalen Fußball wieder den Stellenwert zu geben, der diesem gebührt, ist reine Makulatur. Dafür spricht, dass der Verein wie ein abgeschottetes Gebilde agiert. Zum Ärger der DFL, die den Club jetzt im Rahmen der Lizenzierungsverfahrens aufgefordert hat, sich für interessierte Neumitglieder zu öffnen und die hohen Eintrittsbarrieren zu beseitigen. Damit würde sich auch RB Leipzig mit der eigentlichen ökonomischen und sozialen Struktur in der Region befassen müssen – statt lenkbarer Fanclubs an der kurzen Leine, Vereinsmitglieder mit Stimmrecht. Eine Vereinssituation, die auch sicherstellen soll, dass Fußball neben den Einnahmen in Deutschland auch die meist nicht ohne Kosten zu habende soziale Anbindung von Menschen aus der Region berücksichtigt, bis hin zu Diskussionen über Eintrittsgelder und Vereinspolitik
Sollte der Verband auf seinem juristisch angreifbaren Standpunkt beharren können, werden sich die Rasenballer, die bislang nicht der “klassische Mitgliederverein” sein wollen, zähneknirschend nachgeben. Wohl auch, weil sich die Red-Bull-Manager einer breiten Zustimmung der Fans, die in den Verein strömen könnten, gewiss sein können. Wo Erfolg ist, möchten viele schnell dabei sein. Reporter des MDR befragten auf der Auswärtsfahrt nach Rostock vereinzelte Fans zur aktuellen Situation. Tenor: “Wir wollen Fußball sehen, der Rest ist uns egal.” Auch das könnte sich zukünftig ändern, die ersten Stadionverbote gab es nun auch bei RB Leipzig.
Auch das Verhältnis angestammten Clubs in der Messestadt zeichnet sich bis heute durch eine Ambivalenz aus, welche die einstige Hoffnung des abgewählten Lok-Vorstandes Steffen Kubald seltsam klingen lässt. Er glaubte, dass ab einer gewissen Situation RB-Spieler ohne Platz in der Mannschaft als Leihspieler bei Lok die Mannschaft verstärken könnten. Doch wenn RB Leipzig mit den Leipziger Traditionsclubs auf Tuchfühlung geht, dann bislang nur aus rein geschäftlichen Interessen in einer Richtung. Die Bedürfnisse der Fans dieser Clubs sind den Rasenballern herzlich gleichgültig. So drängte der RBL der Lok Leipzig und dem FC Sachsen zweifelhafte Nachwuchsvereinbarungen auf. Die Lok-Fans liefen Sturm, erreichten auf einer Mitgliederversammlung die Aufhebung des Vertrages und brachten über zwei Jahre selbst die versprochenen 10.000 Euro auf um ihren Verein herauszukaufen.
Als die Probstheidaer vor einem Jahr ums wirtschaftliche Überleben kämpften, hatte das Red-Bull-Imperium, das sich Marketing und Imagepflege mittlerweile einen jährlichen Milliardenbetrag kosten lässt, keinen Cent übrig. Dabei hätte der Club lediglich auf die Einnahmen aus dem Stadtderby am 8. Mai verzichten müssen, um den barmherzigen Samariter zu spielen, sein Image nachhaltig zu stärken und letztlich den Feinden des Konstruktes zu zeigen: Wir sind wirklich Leipzig. Offenbar kamen sie nicht einmal auf die Idee – es ist nicht ganz ihre Gedankenwelt.
RB Leipzig wird eines Tages in der Bundesliga mitspielen. Das ist nach menschlichem Ermessen so sicher wie das Amen in der Kirche. Die Gläubigen werden weiterhin zu Zehntausenden ins Zentralstadion pilgern. Als Kenner des Leipziger Fußballs möchte man ihnen während des Fußball-Gottesdienstes zuflüstern, ab und an auch den 1. FC Lok oder die BSG Chemie zu unterstützen. Die Rot-Weißen hätten sicher nichts dagegen. Es sei denn einer der beiden Clubs schafft es, irgendwann einmal nachzuziehen. Das wäre dann jedoch auch der Beweis für eine gewachsene Leipziger Regionalwirtschaft, welche Kraft genug hätte, einen echten Leipziger Kiezclub ins Rennen zu schicken.
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