Am 10. Mai wird man in Leutzsch einer Zeit gedenken, in der die Fußballwelt noch in Ordnung war, die Chemie stimmte und sich niemand hätte träumen lassen, dass man einmal in den Niederungen der fußballerischen Unterklassigkeit dümpeln würde. Des ungeachtet feiert der Leutzscher Fußball demnächst sein 50. Meisterschaftsjubiläum.
Mit einem großen Fest nach dem Bezirksliga-Spitzenspiel Chemie Leipzig gegen Delitzsch soll im Alfred-Kunze-Sportpark an den legendären Triumph des “Restes von Leipzig” über die DDR-Sportpolitik erinnert werden. Eine Steilvorlage zum Erinnern, auch an solche Ereignisse, an die man sich als eingefleischter Chemiker vielleicht nicht so gerne erinnert, wird jetzt mit einer erweiterten Neuauflage des Buches “Leutzscher Legende” des Leipziger Autoren Jens Fuge geliefert. Es ist, so meint der Autor, selbst “Chemiker”, etwas wehmütig: “…auch eine Chronik des Untergangs, so bitter das manchem Fan aufstoßen mag.”
Anlässlich des Vereinsjubiläums hielt es Fuge für angebracht, das Vereinsbuch, um 19 Kapitel erweitert, neu aufzulegen. Darin beschreibt er akribisch und mit großer Kenntnis interner Vereinsabläufe den schmerzhaft aufreibenden und dennoch offenbar unaufhaltsamen Weg in die sportliche Bedeutungslosigkeit. So werden in dem Werk Kapitel für Kapitel die nicht nur für Außenstehende schier unbegreiflichen Ereignisse geschildert, die am Ende in der Auflösung des einst so erfolgreichen und stolzen Vereins führten. “Starker Tobak,” weiß auch Autor Jens Fuge: “Wenn man bedenkt, dass der FC Sachsen noch vor wenigen Jahren als Hauptmieter im damaligen Zentralstadion zugange war und zum Einweihungsspiel gegen Dortmunds Amateure 29.000 Zuschauer in die Arena strömten, ist das schon bedenklich.”
Fans seien dennoch getröstet, beschäftigt sich das Buch doch auch mit den Zeiten, die man gemeinhin die “guten alten” nennt. Getreu seiner Chronistenpflicht taucht der Autor bis in die Anfänge der Leutzscher Legende ab. Das geht zurück bis 1899, als sich die “Lindenauer Raben” zu einem ersten Vorgängerverein names “Britannia 1899” zusammenschlossen. Von da an nimmt uns der Autor mit auf eine lange Reise durch die wechselvolle Vereinsgeschichte, die auch immer wieder ein wenig die Geschichte Leipzigs widerspiegelt. So wie der erstmalige Einstieg in die Professionalität mit Hilfe eines Sponsoren. Namentlich der Automatenfabrik Schwarz. Möge also niemand heutzutage über Red Bull herziehen. Denn Kraft der Wassersuppe der Automatenfabrik wurde die “TuRa”, so der damalige Name des Vereins, zusammengestellt. Und damit ein schlagkräftiges Team.
Wie sich die Bilder gleichen: Von Stund an verfolgten tausende Besucher die Spiele des Vereins, der dem damals schon als Platzhirsch geltenden VfB (bekanntermaßen erster Deutscher Fußballmeister) mehr und mehr den Rang streitig zu machen versuchte. Nach dem II. Weltkrieg mauserte sich der Verein immer mehr zu einem der stärksten Clubs der Ostzone und die “goldenen Zeiten” wurden schließlich 1951 mit dem Gewinn der Meisterschaft eingeläutet. Doch ach, wie leicht zerbrechen Glück und Glas. Allerdings waren damals nicht unfähige, eitle und machtgeile Funktionäre Schuld an der Misere sondern schlicht und einfach, wie so oft auch heute, die Politik. Mit der Folge, dass der Verein im Zuge einer sogenannten Umstrukturierung in zwei aufgespalten wurde.
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Nachdem diese Fehlentscheidung neun Jahre später revidiert wurde folgte 1964 eine zweite Hochzeit des Vereins, die allerdings wieder, man ahnt es schon, durch politische Entschlüsse ihr Ende fand. Bis 1989 dümpelte man so zwischen Baum und Borke der Oberliga hin und her. Und dann folgte die bekannte Geschichte von Fehlentscheidungen, Arroganz, Dilettantismus, eine endlose Reihe von ebenso prominenten wie teuren und gleichermaßen schnell wieder geschassten Trainern, das “Zum-Fenster-Rausschmeißen” von Geldern bis an die Schmerzgrenze und auch sonst so manche Kapriolen, die für graue Haare so mancher Vereinsfans und außenstehender Beobachter sorgten.
All das und noch viel mehr, also natürlich auch die glorreichen Zeiten, beschreibt Fuge in einer Chronik, die mit Fug(e) und Recht als Leutzscher Standardwerk zu bezeichnen ist. Dazu ist der Band reich bebildert und somit ein historisches Schmankerl nicht nur für Fans sondern auch für alle, die Interesse an einem gleichermaßen lebendigen wie lebhaften Teil Leipziger (Fußball)-Geschichte haben. Selbst ein Chemiker mit Haut und Haar, trauert auch der Autor den guten alten Zeiten durchaus nach, verbindet damit allerdings auch einen Funken Hoffnung: “Chemie ist, was man daraus macht.”
Ein Spruch, mit dem viele Jüngere aufgewachsen sind. Die Hoffnung ist grün, und grün-weiß sind die Farben von Chemie. Das wiederum ein Spruch, mit dem viele Ältere etwas anzufangen wissen. Vielleicht wird es Wirklichkeit, dass sich die Trotzigen, die Starken, die Unbeugsamen wieder durchsetzen, dass sie unbeirrt ihren Weg gehen, allen Anfeindungen und Schwierigkeiten zum Trotz. Und vielleicht wird sie die Geschichte wieder adeln, wenn über sie geschrieben wird, dass sie es waren, die den Geist von Chemie wach gehalten haben. Wie sagte unser großer Alfred Kunze? “Einmal grün-weiß, immer grün-weiß”. Dem ist nichts hinzuzufügen.”
Das Buch ist ausschließlich unter www.backroad-diaries.de erhältlich.
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