Am Freitag spielte Roter Stern Leipzig gegen sich selbst. In einem Testkick trat die zweite Mannschaft des Kiezclubs am späten Nachmittag gegen das dritte Herren-Team an. Das Ergebnis spielte ausnahmsweise keine Rolle. Die Augen der gut 50 Zuschauer richteten sich heute ganz auf den Schiedsrichter. Der Türke Halil Dinçdag wird in seiner Heimat aufgrund seiner Sexualität politisch diskriminiert.
Lizenz, Arbeitsplatz, Heimat. In der Türkei hat Halil Ibrahim Dinçdag, Jahrgang 1976, so ziemlich alles verloren, was ein Leben lebenswert macht. Der Fall machte Anfang 2009 international Schlagzeilen. Der frühere Zweitliga-Referee, eine lokale Berühmtheit aus Trabzon, darf in der Türkei keine Spiele mehr leiten, weil er aufgrund seiner Sexualität vom Militärdienst ausgemustert wurde. Die Statuten des türkischen Fußballverbands verlangen allerdings, dass Unparteiische keine körperliche Behinderung haben dürfen und ab einem bestimmten Alter beim Militär gedient haben.
Diese Statuten wurden Dinçdag, der wegen “psychosexueller Störungen” bei der Armee abgewiesen wurde, zum Verhängnis. Sein Antrag auf die Wiederzulassung als Schiedsrichter wurde direkt der Presse zugespielt.
Die Titelstories der türkischen Zeitungen berichteten in den folgenden Tagen über einen homosexuellen Schiedsrichter, später auch mit Erwähnung seines Namens. Halil Dinçdag hielt seine Homosexualität bis dahin in der Öffentlichkeit geheim, sah sich jedoch aufgrund der Gerüchte genötigt, dazu im türkischen Fernsehen Stellung zu beziehen.
Halil Dinçdag lebte bis zu dem öffentlichen Bekanntwerden seiner Homosexualität in Trabzon am Schwarzen Meer und moderierte lokale Radio- und Fernsehprogramme. Er musste nach Istanbul umziehen, wo die Anonymität der Großstadt ihm etwas Schutz bot, aber auch in tiefe Depressionen warf. Bis heute ist er arbeitslos und wird aufgrund seiner allseits bekannten Homosexualität auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert.
Jetzt ist Dinçdag für eine Woche in Berlin und Leipzig. Die Vereine Tennis Borussia Berlin und Roter Stern Leipzig sowie der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg haben den Referee nach Deutschland eingeladen. Auf dem Programm stehen neben zwei Freundschaftsspielen, die Dinçdag pfeift, Informationsveranstaltungen zur Situation von Homosexuellen in der Türkei. Auf dem Rasen fühlt sich der Gast, der zum ersten Mal Deutschland besucht, auf Anhieb pudelwohl. “Das ist ein gutes Gefühl”, freut sich der Referee über die Ansetzung.
Gerne würde er auch in seinem Heimatland wieder auf dem Platz stehen. Die Hoffnung stirbt im Fußball immer zuletzt. “Ich glaube schon”, antwortet der geschasste Schiedsrichter selbstbewusst auf die Frage, ob er es für möglich halte, in der Türkei jemals wieder Fußballspiele zu leiten. Und ergänzt: “Wenn wir das nicht schaffen, gibt mein Fall in der Zukunft wenigstens Hoffnung für andere Fußballer.”
Am Samstag, den 12. April 2014 ist Halil Dinçdag ab 21 Uhr im Fischladen (Wolfgang-Heinze-Straße 22) zu Gast.
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