Schinkengriller beim TSV Havelse, Dennis Bergkamps Cousin in Emmen und Robben in Wilhelmshaven: Fußball kann so schön sein, auch außerhalb von Leipzig. Man muss sich nur auf den Weg machen...
“Wollt ihr zum Spiel?”. Der Mann in der grauen Jacke und mit weinroter Mütze lief schon eine ganze Weile neben uns her. Kurz vor dem Stadion dann sein Vorstoß. “Ähm. Ja.”, antworteten wir verduzt. Was sonst sollten wir hier bei Temperaturen um die 2 Grad Celsius, Freitagabend 19 Uhr, am Jade-Stadion in Wilhelmshaven suchen? Pilze? “Hier habt ihr zwei Karten.” Weg war er. 12 Euro das Stück. Allerdings Sitzplätze und wir waren zu viert. Also noch zwei Karten nachgekauft und dann doch entschieden, die überdachten Stehplätze im Stadion zu nutzen. Hier, wo der Mann hinter dem Bierzapfhahn noch auf die Theke steigt wenn Wilhelmshaven das Tor trifft.
Dass die Hausherren Tore machen, ist selten geworden, wie wir in Vorbereitung auf unsere dreitägige Fußballreise durch Norddeutschland erfahren müssen. Der Club steckt im Abstiegskampf der Regionalliga Nord und diesen Kampf wird er wohl, obwohl aussichtsreicher Tabellen-Sechzehnter, gar nicht gewinnen können. Denn auf Druck der FIFA soll/muss er zwangsabsteigen. Spätfolgen einer sieben Jahre alten Auseinandersetzung über Ausbildungsentschädigungen für zwei Südamerikaner. Und so ist das heutige Spiel gegen das einstige Symbol der Niederungen der 2. Bundesliga eigentlich sportlich wertlos. Eigentlich, denn Wilhelmshaven will kämpfen. Wie einst Robin Hood und Don Quijote und das A-Team noch dazu.
Und deswegen schmerzt die zeitige Meppener Führung umso mehr. Jubel im mit 150 Zuschauern besetzten Stehgästeblock (nicht überdacht). Tiraden und Tristesse im Heimbereich. Einzig die gutgelaunten Jugendlichen hinterm Tor ziehen ihr Ding durch und lassen sich auch vom schwach geschossenen Elfmeter des Heimteams nicht schrecken. Spieler kennt man hier kaum. Einzig der eben parierende Benjamin Gommert mag einzelnen Kennern als Torhüter des FSV Zwickau einstmals begegnet sein.
Als dann doch der Ausgleich fällt, tanzt auch der Wirt in diesem ulkigen Stadion mit seinen überdachten Stehplätzen und der kleinen, komplett verglasten VIP-Tribüne. Nur 537 Zuschauer wollen hier allerdings den Kick 16. gegen 6. sehen, der ein fatales Ende für den SVW nimmt: Knockout in der Schlussminute durch Robben. Jens Robben. Und da ist sie wieder die Tristesse, die man übrigens auch in der Stadt zu sehen bekommt.
Uns vier Mitgliedern der Reisegruppe war auf unserer Promenade durch die Wilhelmshavener Innenstadt unwohl. Architektonisch durchmischt, selten mit dem neuesten Anstrich und die üblichen Laden-Ketten. “Die Jugendlichen verlassen Wilhelmshaven. Hier ist doch nichts los”, erklärt uns nach dem Spiel der einzige Gast im Banter Eck. Auf dem Rückweg in unser Viermannzimmer der Güteklasse CVJM dürstete der Hälfte der Reisegruppe. Kurz vor dem Ziel kehren wir in dieses ominöse Banter-Eck ein. Zu zwei Dritteln heruntergelassene Jalousien vor den lange nicht geputzten Fenstern, schummriges Licht, Spielautomaten, gedrechselte Holzstühle. Hier mussten wir rein und erschrecken damit den einzigen Gast und die Wirtin.
Beide drehen sich verdutzt zur Tür als wir zu viert einreiten, hatten wahrscheinlich nicht mehr mit einer Störung ihres Fernsehabends gerechnet. Der Mann, um die 30, und Rosi, wie die Wirtin hieß, schauten gerade Gottschalks Klassentreffen. Beam-Cola für ihn, nichts für sie, die sich immer wieder an die Theke lehnt. Der Abend war nicht mehr taufrisch, aber das war nicht Rosis Problem. Sie hat den Rollator hinter der Theke stehen. Fünf Minuten gegenseitiges Belauern, Smalltalk der übelsten Sorte und dann die entscheidende Frage: “Was macht man eigentlich am Freitagabend in Wilhelmshaven?” Mit Rosi zusammensitzen und “Gottschalks Klassentreffen” mit Til Schweiger und Kai Pflaume wird doch nicht die Königslösung sein.
“Die jungen Leute fahren nach Hamburg oder Bremen. Hier ist fast gar nichts los”, erklärt uns Rosis einziger Gast. Das war uns auch schon aufgefallen. Das war früher natürlich anders. Da gab es auch Basketball, Eishockey und eine gute Fußballtruppe. “Was haben wir da im Stadion gefeiert”, entfährt es unserem neuen Gesprächspartner wehmütig. Und erst die Jobsituation. “Mit dem Hafen, das wird einfach nichts. Der Typ von Nordfrost ist der einzige, der was am Hafen macht. Aber der macht auch den SVW kaputt, der steht in der Kabine und bestimmt die Aufstellung.” Wir lauschen gebannt und Rosi bringt zur Feier des Tages sogar noch einen Knabber-Mix aus den sakralen Hinterzimmern ihres Ecks. Ob der noch gut ist, frage ich mich. Verwerfe die Gedanken aber schnell, um auch was abzubekommen.
Die Stadion-Bratwurst war gut, die Stadion-Currywurst kalt. Wir sind noch im Wachstum und greifen zu. Hinter uns haben ein paar Stühle neben den immer wieder enervierenden Spielautomaten mit Sicherheit Spinnweben angesetzt. “Ich hab jetzt die Karten bestellt”, strahlt unser neuer Freund Rosi plötzlich an. “Für wat denn?”, fragt sie, die wohl eher aus der Berliner Ecke kommt. “Helene Fischer in Bremen” und dann stolz zu uns: “229 Euro, ersten Reihe. Ich muss diese Frau sehen.” Ich hätte uns nach dem Satz auch gern gesehen und zwar von vorne. Danach ist die gemeinsame Gesprächsbasis kaum noch gegeben, wir brechen auf.
Nach Südafrika. So heißt unser Zimmer im CVJM-Heim. 20 Quadratmeter, ein Schrank, ein Tisch, zwei Stühle, zwei Doppelstockbetten. Bettwäsche ausleihen, mitbringen oder eigenen Schlafsack nehmen. Nebenan in Mocambique wohnen auch noch zwei, die die Türen schmeißen und fluchen nachdem wir uns auf dem Gang zur Katzenwäsche zu laut über Rosi und ihren Gast austauschen, der Rosi beim Abschied sagte, dass er mal schauen wolle, was “Renate so macht.” Danach war er von dannen gestiegen und ließ Rosi einsam zurück. Am nächsten Morgen winken wir noch einmal dem Banter Eck zu. Und fragen uns schon wieder: Helene Fischer? Erste Reihe? 229 Euro?
Fortsetzung folgt…
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