Es ist wohl nicht leicht, nachdem es mal wieder beim 1. FC Lok Probleme in einem Regionalliga-Spiel, diesmal beim SV Babelsberger 03, gegeben hat, sich mit der Sichtweise der normalen Fans dieses Klubs zu befassen. Es geht mal wieder um die Frage, was Politik im Stadion zu suchen hat und wie sich die Vereinsführung zu diesem Thema verhält und dagegen tun kann und will. In diesem Fall zwei Vereinsführungen, denn der Verlauf am 3. August im Karl-Liebknecht-Stadion bietet nach wie vor mehr Diskussionsbedarf, als die berechtigte Aufforderung, dass Nazis im Stadion nichts verloren haben.

Heute, mehr als zwei Tage nach Abpfiff des Spiels, hat sich bisher nur die Vereinsführung des SV Babelsberg 03 aktiv zu den Vorfällen geäußert. Beim 1. FC Lok scheint man sich auf L-IZ-Nachfrage etwas mehr Zeit zu nehmen, um die Geschehnisse zu analysieren und erste Maßnahmen zu beschließen. Wohl auch, um nicht eine weitere unausgewogene Erklärung ohne wirkliche Veränderungsankündigungen wie die des SV Babelsberg unters Volks zu bringen. Die Presse interessiert schon seit Tagen mehr als das Ergebnis die Frage, wer bei den Auseinandersetzungen begonnen und wer da wann was gerufen und geworfen hat. Doch offensichtlich haben sich hier beide Seiten nicht mit Ruhm bekleckert.

Schon die ersten Zeilen der Babelsberger Erklärung zeigen eine reichlich unausgewogene Sicht des Präsidiums. Während das Verhalten einer Gruppe von “rechts-nationalistischen Fans” von LOK Leipzig “in keiner Weise toleriert” und “von den Vereinsgremien aufs Schärfste verurteilt” wird, werden “die Würfe von Gegenständen aus dem eigenen Babelsberger Fanblock” nicht “für gut geheißen.” Schon in dieser Abstufung wohnt leider bei aller berechtigten Ablehnung des Verhaltens einiger Lok-Mitreisender die Verharmlosung des Verhaltens auf der eigenen Seite.

Für alle, die während der Spielunterbrechung in Richtung der Fanblöcke schauten, war ersichtlich, dass auch aus dem Babelsberger Block mehr flog als nur die vom Nulldrei-Präsidium beschriebenen “ausschließlich mit Wasser gefüllten Luftballons”. Flaschen, so sah es von Weitem aus, flogen hin und her. Auf Lok-Seite gab es mindestens zwei Verletzte, bei denen sich die Verantwortlichen von Babelsberg bislang in keiner Weise entschuldigten. Von Verletzten auf Babelsberger Seite hingegen spricht der Verein selbst nicht, gibt jedoch mittlerweile zu, die Lage wohl unterschätzt zu haben. Mit einem Opfer dieser Fehleinschätzung konnte die L-IZ unterdessen sprechen.

Ute S. (Name durch Redaktion geändert) ist schon seit 20 Jahren Fan des 1. FC Lok. Auswärts hat sie aber erst das dritte Mal ihren Verein begleitet. Zum ersten Mal zu einem brisanten Spiel. In Babelsberg stand sie auf den obersten Stufen hinter dem Tor vor dem Gästeblock und wähnte sich in ausreichender Distanz zu den Chaoten in beiden Blöcken. Trotzdem landeten Wurfgeschosse auch bei ihr. “Zumindest einige Luftballons, von denen immer die Rede ist, waren mit Urin gefüllt. Ein Freund von mir hat einen abbekommen. Aber es kamen ja auch Ketchup-, Senf- und Apfelschorleflaschen, Steine und auch Karabiner geflogen.” Von einem wird die 38-Jährige kurz vor der Spielunterbrechung am Kopf getroffen. “Ich hatte gerade meinen Becher abgestellt und nahm den Kopf nach oben, als ich den Karabiner direkt an die Stirn bekam”, berichtet sie. Kurz vorher konnte sie noch sehen, wie im Babelsberger Fanblock in Bäckerkisten Wurfgeschosse angeschleppt worden waren. “Wie die das Zeug ins Stadion bekommen haben, ist mir ein Rätsel.”

Wer kann da eigentlich noch zustimmen, wenn das Babelsberger Präsidium schreibt: “Klar muss aber auch sein, dass das beschriebene Verhalten eines Teils der Gästeanhänger nicht mit dem Verhalten der Babelsberger Fans gleichgesetzt werden darf. Aktion und Reaktion muss hier in den richtigen Kontext gesetzt werden.” Dabei ist dieses Verhalten auf keiner Seite als Reaktion zu erklären und lässt sich somit auch nicht mit Aktionen der Gegenseite entschuldigen. Immerhin stand zwischen beiden Blöcken eine Bande, in der sich der SV Babelsberg zu Respekt und Toleranz bekennt. Nach den Vorfällen am Samstag und der präsidialen Erklärung offenbar eher ein Lippenbekenntnis ohne praktische Umsetzung.

Während sich die Fans des SV Babelsberg 03 also im Wissen über ihren scheinbar gerechten Kampf um die politische Hoheit in ihrem Stadion eher zurücklehnen zu können glauben, wird bei Lok der bereits eingeschlagene Weg der Erneuerung des eigenen Klubs immer lauter eingemahnt. Erste Vereinsmitglieder kündigen in diesen Tagen ihren Weggang von Lok an, da sie nicht mehr an eine klare Lösung bezüglich des erneut an den Auseinandersetzungen beteiligten Fanclubs “Scenario Lok” glauben. Wie auf Fotos zu erkennen ist, tummelten sich im Lok-Gästebereich tatsächlich auch nachweislich Fans aus dem braunen Leipziger Umfeld.

Die, die ihren Verein nicht im Stich lassen wollen, sind bereit, dem Spuk ein Ende zu machen und fordern einen Einschnitt seitens des Präsidiums. Wie seltsam jedoch das Aufeinandertreffen der beiden Fanlager manchem normalen Fußballfan vorgekommen sein mag, zeigen Hinweise, dass sich einige Fans im Angesicht der Babelsberger Provokationen und Generalisierungen sowie des Platzsturmversuches schwer allein gelassen gefühlt hatten. Und im Vorgehen der eigenen extremen Fans fast schon eine Art Schutz gesehen haben wollen.

Das als Sicherheitsspiel eingestufte Auftaktmatch in Babelsberg glänzte entgegen der Aussagen der Einsatzleitung der Polizei durch die Abwesenheit von Beamten in den Zonen, wo es eskalierte. Von 300 eingesetzten Polizeikräften aus ganz Brandenburg weiß die “Potsdamer Neueste Nachrichten” (PNN). In diversen Netzvideos sind in der entscheidenden Phase vielleicht 15 Einsatzbeamte zu sehen, die zwischen den beiden Fanblocks auftauchen, der Rest muss wohl um das Stadion herum gestanden haben. Und dies, nachdem die ersten Auseinandersetzungen vor Anpfiff gänzlich ohne den Eingriff der Beamten auskommen mussten. Auch die Ordnungskräfte schienen da ihre Hauptaufgabe im Zaunstehen zu sehen.

Außerdem scheint auch beim Einlass einiges schief gelaufen zu sein, sind doch auf im Netz kursierenden Fotos auch Personen mit bundesweitem Stadionverbot zu erkennen, die offenbar ungehindert im Fanblock der Lokomotive stehen durften. Ute S. berichtet, dass sie und eine ganze Reihe weiterer Fans nicht mal kontrolliert wurden. Das sei bei Heimspielen anders: “Bei Lok muss man selbst die Zigarettenschachtel öffnen.” Von Verfehlungen beim Sicherheitsdienst während dieses deklarierten Risikospiels schreibt das Babelsberger Präsidium ebenso nichts. In offensichtlicher Verkennung, dass ein Heimverein für die Sicherheit aller Menschen im Stadion Verantwortung trägt.

Hinzu kommt, dass es schwer zu sein scheint, in der Potsdamer Presse die gefärbte Brille abzulegen und im Fazit der Ausschreitungen auch die Rolle der einheimischen Fans zu beleuchten. Da man von den internen Debatten beim 1. FC Lok nichts weiß oder wissen will, scheint es legitim, in einem Beitrag über die Randale einiger Fans aus beiden Lagern die Fans des Babelsberger SV durch Nichterwähnung in der Opferrolle zu sehen. Das Schema scheint luftdicht zu sitzen – Leipziger Fans sind Nazis und die Babelsberger Fans sind mutige Kämpfer gegen rechts. Wann hier welche Gewaltausübung tolerierbar sein soll, ist schon als Fragestellung lächerlich.

Denn ob es dabei legitim ist, den gegnerischen Gäste-Fanblock selbst mit Wurfgeschossen zu attackieren und sich an einer Art “Platzsturm” zu beteiligen, nachdem man gemeinsam die Stimmung systematisch aufgeheizt hatte, wird so nicht hinterfragt. Und hilft den nach wie vor bei Lok vorhandenen gewaltbereiten Fans in der Argumentation. Das mediale Schwarz-Weiß-Bild muss offenbar reichen, den Rest ermittelt nun die Polizei. Ob neben den Ermittlungen wegen des Tragens verfassungsfeindlicher Symbole und der Beteiligung an den Auseinandersetzungen auch gegen die Werfer von offenbar mit Urin und mindestens in einem Fall mit Metallgegenständen gefüllten Luftballons vorgegangen wird, steht noch aus. Wenn dies nicht erfolgt, könnte sich ein neues, offenbar akzeptiertes Mittel der nonverbalen Auseinandersetzungen im Babelsberger Stadion entwickeln.

Denn was besonders auffällt, sind die eher empörten Abwehrreaktionen normaler Lok-Fans kurz vor dem Platzbegängnis einiger im Lok-Fanblock, wenn sie sich kollektiv ins braune Lager gerückt sehen. Ebenso, dass es langsam auch den normalen Familienvätern reicht im Angesicht der nicht enden wollenden Attacken aus dem Babelsberger Fanblock heraus. Die Gewaltakte von Teilen der Fangruppierungen jedenfalls wurden von Seiten der Polizei und der Sicherheitskräfte am Spielfeldrand zu lange einfach toleriert. Da helfen auch keine Ermahnungen über den Stadionsprecher mehr.Dennoch liegt es nun wohl bei den Lokfans und der Vereinsführung selbst, dies alles zu ändern.

Eine Entschuldigung für Sprüche wie “Arbeit macht frei – Babelsberg 03”, den ebenso alten wie gänzlich hirnbefreiten Schlachtruf “Wir sind Lokisten, Mörder und Faschisten” und einer besungenen U-Bahn nach Auschwitz, die Anwesende vor dem Anpfiff und teils während des Spiels gehört haben wollen, gibt es keine Erklärungen und ebenso keine Entschuldigungen. Nur noch bei einem umfassenden vereinseigenen Stadionverbot und dem – sofern nicht längst geschehen – Entzug der Vereinsmitgliedschaft für die Täter, wird der Verein aus Probstheida überleben können. Dazu muss die Vereinsführung Lokomotives wohl noch stärker als bisher alle Fans stützen, die sich gegen das Verhalten dieser Personen wehren oder es zumindest wollen. Spätestens ab jetzt wohl auch unter fester Kooperation mit Polizei und Staatsanwaltschaft. Und den jeweiligen Heimmannschaften bei Auswärtsspielen – sofern diese überhaupt ein Interesse an nachhaltiger Arbeit zeigen.

In Leipzig hingegen stellt sich auch die Umgebung für Lok noch nicht wirklich optimal dar. Dass die Vertreter der kommunal beauftragten “Outlaw” gGmbH mit dem Job der Fanbetreuung noch sichtbar überfordert scheinen, sollte wohl ebenso auf die Tagesordnung, wie das hörbare Schweigen aus dem Dezernat III mit dem Sportbürgermeister Heiko Rosenthal an der Spitze. Während Lok mit finanziellen Schwierigkeiten ebenso kämpft wie mit so manchem Fan, der mit seiner Gewalt die Bemühungen des gesamten Vereins konterkariert und gleichzeitig im grün-weißen Leutzsch ein Stadionbetreiber die kleinsten Themen nicht mehr gewuppt bekommt, scheint es bequemer, sich in einer Saisoneröffnungs-Sonderausgabe der LVZ als scheinbarer RB Leipzig-Fan zu outen. Macht ja auch mehr Spaß, als sich um die Leipziger Traditionsclubs zu kümmern und die Probleme der Vereine auch als Arbeitsbereich städtischer Sport-, wenn nicht sogar Sozialpolitik zu begreifen.

In Babelsberg hingegen sollte man wohl mal über ein neues Sicherheitskonzept im heimischen Stadion, das duldende Verhalten der Vereinsführung bei Übergriffen aus dem eigenen Block und die Hinterfragung der Babelsberger Ultras sprechen. Die Gewaltbereitschaft ist hier offenbar ebenso ausgeprägt wie bei einigen Noch-Lokisten. Das scheint nach Stimmen im Ultra-Forum der Babelsberger längst die eigenen normalen Fans anzuöden. Denn mit Fußball hatte das Spiel vom 3. August 2013 hüben wie drüben durch einige Extremisten gewollt vorangetrieben nicht mehr viel zu tun.

Erklärung des SV Babelsberg 03
Die Polizeiinspektion Potsdam führte anlässlich des Fußballspieles der Regionalliga Nordost, das am Samstagnachmittag im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion zwischen dem SV Babelsberg 03 und dem 1. FC Lokomotive Leipzig ausgetragen wurde, einen Polizeieinsatz durch.

Schwerpunkte des Einsatzes waren die Gewährleistung einer friedlichen An- und Abreise beider Fangruppierungen sowie die Verhinderung von Straftaten.

Während der Anreise von Fangruppierungen aus Richtung Leipzig kam es zu einer Sachbeschädigung in einem Zug. Diesbezüglich erfolgten Identitätsfeststellungen durch Einsatzkräfte der Bundespolizei. Dies führte zur sofortigen Solidarisierung der zum Teil stark alkoholisierten Fans mit den Tatverdächtigen. Hierbei kam es teilweise zu lautstarkem und auch aggressivem verbalen Verhalten gegenüber den Einsatzkräften. Durch die Polizei erfolgte weiterhin die Fanbegleitung vom S-Bahnhof Babelsberg bis zum Stadion. Im weiteren Verlauf des durch die Polizei begleiteten Marsches der Fans in Richtung Stadion kam es zu einer Sachbeschädigung und dem Zünden von Pyrotechnik.

An einer Vorkontrollstelle gelang es ca. 50 Leipziger Fans, diese zu durchbrechen und einigen von ihnen im weiteren Verlauf, auch unkontrolliert ins Stadion zu gelangen. Einsatzkräfte und Ordner des Veranstalters brachten die Lage im Kassenbereich unter Kontrolle. Dabei kam es auch zum Einsatz von Reizstoffsprühgeräten und Schlagstöcken.

Anhänger des SV Babelsberg führten im Vorfeld des Spiels einen Fanmarsch durch. Dieser verlief ohne Störungen. Noch vor Beginn des Spieles wurde durch Fans aus beiden Lagern vereinzelt versucht, die Fantrenngitter zu überwinden, was ihnen teilweise auch gelang.

Weitere Aktionen konnten durch Polizeikräfte unterbunden werden. Aus den Fanblöcken heraus kam es zu gegenseitigen verbalen Provokationen. Da aus einem Fanblock heraus rechtsgerichtete Parolen skandiert wurden, wurden Ermittlungsverfahren zum Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen eingeleitet.

In der zweiten Halbzeit wurden im Babelsberger Fanblock sogenannte Wasserbomben hergestellt und in Richtung Gästefanblock geworfen. Daraufhin überstiegen einzelne Leipziger Fans die Trennung zum Spielfeld und gelangten auf dieses. Gleiches geschah auch im Bereich des Babelsberger Blockes.

Durch den Einsatz von Ordnern und Polizei wurde die Lage bereinigt und weiteres Übersteigen verhindert. Zwei Personen wurden in Gewahrsam genommen.

Auf Grund der Geschehnisse wurde der Spielverlauf in der zweiten Halbzeit für ca. acht Minuten unterbrochen. Weitere Polizeikräfte wurden ins Stadion verlegt. Zu weiteren Eskalationen kam es nicht.

Nach dem Spiel war ein zügiger Abstrom der Heim- und Gästefans zu verzeichnen. Kräfte der Bereitschaftspolizei begleiteten die mit der Bahn angereisten Gästefans bis zum Hauptbahnhof. In der Nähe des S-Bahnhofes Babelsberg versuchten Babelsberger Fans, die Abreise von Lok-Fans zu stören. Es kam zu vereinzelten Steinwürfen. Dadurch wurde aber niemand verletzt und es entstand kein Sachschaden.

Während des Einsatzes zum Fußballspiel wurde ein Beamter der Bundespolizei leicht verletzt. Der Beamte blieb weiterhin dienstfähig. Insgesamt wurden sechs Strafanzeigen hauptsächlich wegen Sachbeschädigungen und wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen aufgenommen. 15 Platzverweise wurden ausgesprochen und zwei Personen in Gewahrsam genommen.

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