"Scenario Lok" hat sich zu dem Maßnahmenkatalog geäußert, den Vorstand und Aufsichtsrat des 1. FC Lokomotive als Konsequenz aus dem Feuer am Rande des Freundschaftsspiels gegen den Halleschen FC beschlossen haben. Die Fangruppierung empfindet die Sanktionen als "völlig überzogen". Und betrachtet sich mittlerweile als unverzichtbar für die Jugendarbeit der "Loksche".
Es passierte in der zweiten Halbzeit: Unbekannte entzündeten auf dem Dammsitz vor der Holztribüne Bengalos. Die Hitze entfachte eine Blockfahne aus Papier. Das Spiel musste unterbrochen werden. Die Vereinsgremien nahmen den Vorfall zum Anlass, um Sanktionen auszusprechen. Unter anderem sollen die Ultras wieder in die Fankurve hinter dem Tor umziehen. Sie dürfen die Ballsporthalle nicht mehr zum Basteln von Choreografien nutzen und keine eigenen Fan-Devotionalien auf dem Clubgelände verkaufen. Außerdem untersagten die Verantwortlichen allen Fans das Aufhängen von Zaunfahnen an Tribüne und Dammsitz. Nicht, um die Fankultur zu behindern, sondern zum Schutz der hölzernen Tribüne des Bruno-Plache-Stadions.
Dass sich die Maßnahmen vorrangig gegen die Gruppe “Scenario Lok” richten, dürfte mittlerweile allen Fans aufgefallen sein. Gestern nahmen die Mitglieder dieser Gruppierung ausführlich in einer Webcommunity Stellung. “Scenario” lehnt die Sanktionen ab, sie seien “vollkommen übertrieben”. Zwar akzeptiere die Gruppe eine kritische Haltung zum Thema Pyrotechnik. Den Schwarzen Peter für das Feuer schieben sie allerdings den “Verantwortlichen” in die Schuhe: “Die Choreo hätte auch genauso gut durch eine Zigarette in Brand geraten können. Hier wurden auch von offizieller Seite Fehler gemacht, aus denen wir als Verein gemeinsam lernen müssen.”
Schon hier könnte man die Frage stellen, inwieweit “Scenario” den “Verein” repräsentiert. Die Gruppe verweigert sich dem Umzug hinter’s Tor. Begründung: “Da wir uns selber nicht als Ultras sehen, sind wir gespannt, wer sich dann bald in der Kurve einfindet.” Dies ist insofern bemerkenswert, als dass diese Aussage aufgrund des militant-agressiven Habitus der Gruppe nur den Schluss zulässt, dass sich ihre Mitglieder als Hooligans begreifen.
Diese beanspruchen für sich, Jugendarbeit zu machen. Freimütig räumen die Verfasser der Stellungnahme ein, mit dem Angebot ihres Fanstands junge Supporter anzusprechen. Ihre Logik: “Kein Fanstand, keine Einnahmen für uns, keine Choreografien, wesentlich weniger junge Lokfans, keine Generation ‘morgen’ für Lok.” Eine Einschätzung, die von einem enormen Selbstbewusstsein zeugt.
Doch neben “Scenario” existiert mit “Gauner Lok” eine weitere Ultra-Gruppe. Sie könnte als eine Auffangstruktur gelten für diejenigen aktiven Unterstützer des Vereins, die über einen “Scenario”-Abschied nicht traurig wären. Beim Lokalrivalen RB Leipzig werden die großen Choreografien maßgeblich von bürgerlichen Fanclubs auf die Beine gestellt, denen Gewaltphantasien ein Gräuel sind.
Eine plausible Antwort auf die Frage, warum “Scenario” für die Blau-Gelben unverzichtbar sei, liefert die Gruppierung nicht wirklich. Vielmehr gehen ihre Mitglieder soweit zu verkünden, sie würden die übrigen Testspiele boykottieren, und sich einen Boykott der Pflichtspiele vorbehalten. Weite Teile der Lok-Szene wären ihnen dafür vermutlich eher dankbar. Dem Image, und damit der wirtschaftlichen Konsolidierung der “Loksche” könnte diese Entscheidung eher zuträglich sein.
Denn “Scenario” wird im aktuellen Verfassungsschutzbericht erwähnt. Umso überraschender, dass die Lok-Fans plötzlich einen schweren Hang zur Weltoffenheit verkünden. “Scenario” argumentiert, dass kein Mitglied mehr in rechten Kreisen aktiv sei. Außerdem besitze ein Mitglied einen ausländischen Pass. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtsradikaler Ideologie fand allerdings bisher ebenso wenig statt wie Gespräche mit Aussteigerprogrammen, Anti-Rechts-Initativen oder Medienvertretern, in denen Insiderwissen offenbart wurde. Dass ein Mitglied eine fremde Nationalität inne hat, taugt bestenfalls als Alibi-Argument. Schließlich sind braune Kameraden heutzutage längst in ganz Europa miteinander vernetzt.
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Dass die “Scenario”-Anhänger politische Inhalte im direkten Stadionumfeld nicht offen artikulieren, ist Teil einer bekannten Strategie von NPD und anderen rechten Gruppen, die die Eroberung des vorpolitischen Raumes zum Ziel hat. Nebenbei schuf sich “Scenario” schon vor gut zwei Jahren im Stadion einen Freiraum, in dem für Andersdenkende kein Platz ist. Im Jahr 2011 verdrängte “Scenario” die Ultra-Gruppe “Blue Side” gewaltsam aus Kurve und Fanszene.
Dazu passt, dass die Gruppe das von der Outlaw GmbH im Auftrag der Stadt Leipzig betriebene Fanprojekt nicht nutzt, weil dessen Ausrichtung angeblich “links” sei. Dazu passt ebenso, dass mit Freefighter Benjamin B. eine Führungspersönlichkeit der Gruppe im März gemeinsam mit dem Schildauer Neonazi Thomas P. im Leipziger Umland einen Kampfsport-Abend organisiert hatte. Das Landesamt für Verfassungsschutz attestierte der Veranstaltung Bezüge zum Rechtsextremismus. Dass das Event von vielen jungen Lok-Fans besucht wurde, beweist leider, dass die Rechnung der sogenannten “Vorfeldarbeit” derzeit aufgeht.
Lok-Präsident Heiko Spauke signalisierte der Gruppe am Donnerstag, der Vorstand beabsichtige, auf ein Gesprächsangebot von “Scenario” einzugehen. Angesichts des Gewaltpotenzials der Gruppe keine ganz verkehrte Entscheidung. Viele Zugeständnisse kann “Scenario” nach diesem Statement jedoch nicht mehr erwarten.
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