Der Angriff auf eine Leutzscher Fankneipe sorgt weiter für Wirbel. Die Chemie-Verantwortlichen möchten sich gerne distanzieren. Aber wovon? Liest man die Polizei-Meldung vom Sonntag, könnte man glauben, in Leutzsch habe ein Bürgerkrieg getobt. 150 Randalierer sollen in der "Abseitsfalle" gewütet haben. Angeblich ging Mobilar zu Bruch. Eine Nachrichtenagentur verbreitet die Schreckensmeldung wie ein Lauffeuer.
Augenzeugen haben den Vorfall anders wahrgenommen. So sollen sich in der Kneipe bekannte rechtsradikale Fans der SG Leipzig Leutzsch aufgehalten haben, um gezielt zu provozieren. Die Chemie-Fans, die sich nur 300 Meter entfernt zu einem Protestzug gegen Stadionverbote trafen, verstehen sich als antirassistisch. Als die Fans in einer Straßenbahn die “Abseitsfalle” erreichten, soll sich Thomas G. ans Fenster gestellt haben. Der Neonazi enstammt dem Thüringer Heimatschutz – der Struktur, aus der Ende der 90er-Jahre das Zwickauer Terrortrio hervorging. Für einige Chemiker zu viel des Guten. Sie stoppten die Bahn, stiegen allesamt aus, einige suchten Handgreiflichkeiten. Die Gaststätte betraten sie dabei nicht.
Dies bestätigt auf Nachfrage sogar die Polizei. “Die 150 Personen drängten aus der Straßenbahn und begaben sich zielgerichtet und aggressiv auf die Kneipe zu”, berichtet Pressesprecherin Anke Fittkau. “Dabei vermummten sie sich teilweise, um vermutlich einer späteren Identifizierung zu entgehen. Das Lokal wurde jedoch nicht betreten.” Die Zahl der Randalierer hat sich binnen zwei Tagen übrigens mehr als halbiert. “Aus einer Gruppierung von 150 Personen heraus agierten 70 Personen direkt im Schutze dieser Personenmenge”, so Fittkau. Widersprüchlich die Aussagen zum Agieren der Beamten. Zwar seien zum Zeitpunkt des Angriffs Ordnungshüter vor Ort gewesen. Die griffen allerdings nicht ein. Offenbar zum Eigenschutz. Fittkau: “Aufgrund der Menge mussten zunächst Polizeibeamte nachgezogen werden.”
Am Sonntag klang dies in der Presse-Meldung noch ganz anders: “Wenige Minuten, nachdem diese Information (Anm.: der Angriff) bei der Polizei bekannt wurde, trafen die Beamten ein und verhinderten weitere Konfrontationen.” Die Mitteilung ist nach wie vor auf der Homepage der Polizeidirektion abrufbar.
Wollte die Polizei leichtfertig das Bild gewalttätiger Fußballfans reproduzieren, um repressive Maßnahmen gegen Freunde des runden Leders zu legitimieren? Falls ja, schien diese Strategie aufzugehen. Im Zuge der andauernden Debatte über ein vermeintliches Gewaltproblem in deutschen Stadien haben zahlreiche Medien die Polizeiangaben ungeprüft übernommen. In einer bekannten Boulevard-Zeitung war gar von einer “Massenschlägerei” die Rede. Hinzu kommt: Die BSG Chemie hatte sich in der Vorsaison mehrmals öffentlich über den schikanösen Umgang der Polizei mit den eigenen Fans beklagt.
Bereits nach dem Stadtteilderby im November 2011 provozierten SG-Fans aus der “Abseitsfalle” heraus. Polizisten mussten eingreifen. Hätte die Attacke durch verstärkte Polizeipräsenz verhindert werden können? Fittkau am Dienstag: “Zur polizeilichen Taktik, Ausrichtung und Informationsstand gibt es keine Auskunft.”
“Obwohl die BSG Chemie Leipzig klar gegen Rechtsradikalismus und Rassismus eintritt, sieht sie Gewalt nicht als geeignetes Mittel zur Bekämpfung von gesellschaftlichen Missständen an”, teilte der Verein am Dienstagabend mit. “Die Einsatztaktik der Polizei wirft Fragen auf. Es ist bekannt, welche Klientel sich mitunter in der besagten Gaststätte aufhält. Um das Fußballspiel hinreichend abzusichern, war eine sehr hohe Anzahl von Beamten und Fahrzeugen im Einsatz. Hätte eines dieser Fahrzeuge zum Zeitpunkt, als die Chemie-Fans die Gaststätte passierten, den Ort abgesichert, wäre das Aufeinandertreffen beider Lager mit Sicherheit vermeidbar gewesen.”
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