Am 1. September 2024 wählt Sachsen einen neuen Landtag für die kommenden fünf Jahre. Gerade das Themenfeld Extremismus, Kriminalität und Sicherheit dürfte vielen Menschen unter den Nägeln brennen – und entsprechend groß ist der Druck auf die Politik, Lösungen herbeizuführen. Was sagen die Parteien zur Ausstattung und Befugnis von Sicherheitsbehörden und Justiz in Sachsen? Und wie halten sie es mit dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV)? Wir haben mal genauer hingeschaut.
CDU: Sicherheitspolitik und starke Behörden als Markenkern
Für die Konservativen zählt Sicherheitspolitik zum Markenkern, der Kurs ist klar: „Wir setzen auf
einen starken Rechtsstaat, der seine Bürgerinnen und Bürger wirksam vor Kriminellen,
Terroristen und Extremisten schützt“, so das CDU-Wahlprogramm. Die Flächenpräsenz der Polizei sei auszubauen und die Zahl der Bürgerpolizisten zu verdoppeln. Eine „Investitionsoffensive“ müsse gute Bedingungen schon in der Ausbildung sicherstellen, der Personalbedarf der Polizei sei laufend zu analysieren und abzuschätzen.
Die CDU positioniert sich bejahend beim Ausbau von Befugnissen der Behörden zur Früherkennung von Risiken und der Gefahrenabwehr, auch im digitalen Bereich. Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchungen sollten gesetzlich verankert werden. LfV und Landespolizei müssten stärker kooperieren. Konkret einsetzen wolle man sich zugunsten eines „Cyber-Resilienz-Zentrums“ für Sachsen, dazu wird die Gründung eines „Instituts für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Resilienz“ angekündigt.
Weitere Schwerpunkte bilden die Stärkung der Polizei im grenznahen Raum, gezieltes Vorgehen gegen Extremismus, der Schutz von Amts- und Mandatsträgern sowie die Unterstützung der Kommunen.
Bei der Justiz setzt die CDU auf Anreize für den juristischen Staatsdienst auch im ländlichen Raum, das Höchstalter zur Richter-Einstellung soll von 42 auf 45 Jahre steigen. Zudem soll das Prinzip beschleunigter Strafverfahren gestärkt sowie KI und moderne Technik in der Justiz eingesetzt werden, etwa in Form intelligenter Kamerasysteme. Für Gerichtstermine und Anhörungen käme auch ein vermehrter Einsatz von Videoübertragung in Betracht.
AfD spricht von politischer Motivation und will Verfassungsschutz neu aufstellen
Zur Stärkung der Polizei bekennt sich auch die vom LfV als erwiesen rechtsextreme Bestrebung eingestufte AfD Sachsen in ihrem Programm. Sie will die Personaldecke auf mindestens 15.000 Stellen erhöhen und einen Polizeibeauftragten beim Sächsischen Landtag etablieren.
Verbesserungsbedarf sieht die AfD bei der Erreichbarkeit des Notrufs, auch wird der Erhalt polizeilicher Ausbildungsstandorte angemahnt. Ein „maßvoller“ Einsatz von Videoüberwachung „im Interesse des unbescholtenen Bürgers“ sei richtig, ebenso Digitalisierung und verbesserte Behörden-Kooperation.
Bei der Besetzung von Richterämtern sowie Beförderungen sollten Ausschüsse entscheiden, nicht das „politisch besetzte“ Justizministerium. Die AfD befürwortet beschleunigte Strafverfahren speziell bei Jugendlichen und Heranwachsenden, eine Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre und generell das härtere Erwachsenenstrafrecht ab 18. Polizeistellen, Gerichte und Staatsanwaltschaften müssten ortsnah gut erreichbar und adäquat ausgerüstet sein.
Ein AfD-Fokus ist die Bekämpfung von Organisierter- und Bandenkriminalität. Eine erleichterte Ausweisung ausländischer Täter auch bei Zugehörigkeit zur Organisierten Kriminalität sei vorzunehmen. Gefordert wird zudem eine „Gemeinsame Einsatzgruppe Grenze“ mit der Bundespolizei, um etwa Schleusungen und Drogenschmuggel im Grenzraum Sachsens entgegenzutreten.
Den Verfassungsschutz in jetziger Form will die AfD abschaffen, um ihn samt novelliertem Verfassungsschutzgesetz neu aufzustellen: Man lehne seinen „Missbrauch zur Bekämpfung der Opposition“ ab.
BSW: Newcomer wirbt mit Abwägung und Vernunft
Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) wirbt bei der Sicherheitspolitik mit der Ausbalancierung von Sicherheit und Freiheit um die Wählergunst. Staatliches Agieren müsse dem Schutz von Menschen- und Bürgerrechten dienen. Auf der Straße und in „Problemvierteln“ sei mehr Polizei besser als mehr Videoüberwachung.
Auch weiterhin müsse eine Fachkommission den polizeilichen Personalbedarf abschätzen. Zu berücksichtigen sei dazu ein proportionaler Aufwuchs an Kräften vor allem im IT-Bereich. Gerade im Streifen- und Ermittlungsdienst sei die Personalausstattung essenziell.
Psychologische Kenntnisse und Deeskalationsstrategien müssen mehr in der Polizeiausbildung zum Tragen kommen, so das BSW. Die Attraktivität des Polizeiberufs könne durch Zulagen, Beurteilungspraxis, Gesundheitsprävention und verbesserte Aufstiegsmöglichkeiten gesteigert werden.
Für die Justiz will das BSW Beratungs- und Prozesskostenhilfe auch für Menschen mit kleinem Geldbeutel aufstocken sowie bereits Schüler intensiver über das Thema Recht aufklären. Mehr Ausbildungs- und Studienangebote sowie Werbung in Schulen und Unis sollen die Pensionierungswelle bei Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten, Justizangestellten und Notaren in ihrer Konsequenz abmildern.
Bei der Digitalisierung der Justiz zeigt sich das BSW aufgeschlossen. Der Wandel müsse aber durch IT-Personal und Fortbildungen flankiert werden, um aus dem Trend einen Vorteil zu ziehen. Gerichtsprozesse und Termine mit Antragstellern könnten bei entsprechender Ausrüstung auch per Video erfolgen. Für das Strafrecht brauche es mehr und schnellere Vollstreckungen. Die Kompetenz des Normenkontrollrats, der Kosten und Auswirkungen von Gesetzen abschätzt, sei zu erweitern.
Die Befugnisse des Verfassungsschutzes müssten dagegen begrenzt werden, deren Ausbau „auf nichtkonforme Meinungen, um Druck zu erzeugen“, wird abgelehnt. Beobachtung und Bekämpfung von religiösem und politischem Extremismus seien aber notwendig. Das BSW spricht sich für den Ausbau der parlamentarischen Kontrolle des Landesverfassungsschutzes aus.
FDP: Plädoyer für Digitalisierung und effektiveren Verfassungsschutz
Respekt vor der Polizei und Aufstiegschancen für junge Beamte sind Kernanliegen der Liberalen. Sie wollen die polizeiliche Ausbildung verbessern, indem Anwärtern mehr Expertise zu Radikalisierung, Rassismus, Extremismus und Diskriminierung vermittelt wird. Die interne Beschwerdestelle bei der Polizei sei richtig und müsse durch den Posten eines Polizeibeauftragten beim Landtag ergänzt werden.
Konkrete Kritik der FDP bezieht sich auf den Sanierungsstau bei Polizeieinrichtungen, auch müsse der Vollzugsdienst in den Gemeinden gut ausgestattet sein, aber nicht mit Schusswaffen. Die Abwälzung polizeilicher Aufgaben auf Kommunen sei falsch. Besonders der länderübergreifende Austausch zur Bekämpfung Organisierter Kriminalität ist für die FDP ein effektives Instrument.
Die FDP steht der Digitalisierung der Justiz offen gegenüber: Gerade für Prozessverfügungen und Protokollerstellung sei der KI-Einsatz ein sinnvolles Anwendungsfeld. Verhandlungen bei Zivil-, Verwaltungs-, Arbeits-, Finanz- und Sozialgerichten sollten auch online möglich werden. Zudem werde man sich im Bundesrat für die digitale Aufzeichnung von Hauptverhandlungen in Strafsachen starkmachen.
Wie auch die Linken übt die FDP Kritik an der eingestellten Juristenausbildung der TU Dresden, die wieder aufzunehmen sei. Auf dem Land sollen Anreize die Besetzung juristischer Stellen sichern. Bei der Strafverfolgung speziell von sexualisierter Gewalt müsse nachgesteuert und verbessert werden. Darüber hinaus wollen die Liberalen öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeiten zusammenführen und Prozessordnungen vereinheitlichen.
Ähnlich beim Verfassungsschutz: Bundesweit operierendem Extremismus sei mit dem Flickenteppich der Behördenstruktur aus einem Bundesamt und 16 Landesämtern kaum beizukommen. Daher will die FDP eine Stärkung des Bundesamts für Verfassungsschutz prüfen, während die Landesämter als eng angebundene Außenstellen fungieren.
Behördenintern müsse zudem der wissenschaftlich fundierte Unterbau zu Extremismusformen verbessert werden. Die Stärkung parlamentarischer Kontrollen wird begrüßt. Mehr Vorratsdatenspeicherung und die Einführung einer Kennzeichenerfassung dagegen lehnt die FDP in ihrem Wahlprogramm ab.
SPD will mehr Bürgerpolizei und keine erweiterten Befugnisse für Verfassungsschutz
Ein Abbau polizeilicher Stellen dürfe sich nie wiederholen, mahnt die SPD. Ständige Aufgabenanalysen sollen dies vermeiden und auch die Stellenzahl abschätzen. Aus Sicht der Sozialdemokraten ist die Zahl an Bürgerpolizisten zu erhöhen, hinzu kommen eine modernisierte Aus- und Weiterbildung von Polizeikräften, die Erweiterung von Ausbildungsstandorten und die hohe Lehrqualität. Letztere sei wissenschaftlich besser zu fundieren.
Für die Justiz will die SPD mehr Möglichkeiten schaffen, Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit abzugelten, was auch den Strafvollzug entlaste. Zudem bedürfe es gesetzlicher Regelungen zur Digitalisierung von Massenverfahren, bei denen Klagen mit vielen Betroffenen einfacher eingereicht werden können. Eine Besonderheit ist die Forderung im SPD-Wahlprogramm, alle rund 300 sächsischen Gerichtssäle für Videoverhandlungen auszurüsten und dafür technisches Personal bereitzustellen.
Das Programm bekennt sich zum zum LfV. Aber dessen Modernisierung sei im Sinne der wehrhaften Demokratie geboten und die Analysefähigkeit der Behörde zu steigern. Ein Ausbau ihrer Befugnisse wird abgelehnt. Vielmehr sei ein engerer Austausch mit Polizei und Waffenbehörden der richtige Weg.
Eine einzurichtende Fachstelle für die Parlamentarische Kontrollkommission werde den Landtag in seiner Funktion als Kontrollinstanz gegenüber dem Verfassungsschutz stärken, der angehalten sei, die Achtung von Menschenwürde und Grundrechten genauso zu gewichten wie den Schutz staatlicher Institutionen. Was es brauche, seien „aussagekräftige dynamische Lagebilder für die Öffentlichkeit und die Kommunen.“ Auch im Staatsdienst müsse mehr für die Demokratie eingetreten werden, „Verfassungsfeinde“ seien konsequent zu entlassen.
Grüne: Polizei maßvoll ausstatten, Verfassungsschutz perspektivisch ersetzen
Sachsens Grüne setzen auf Kriminalitätsprävention und Kontrolle polizeilicher Arbeit. Die Polizei brauche eine „angemessene Personalstärke,“ übermäßige Einschränkungen der Freiheit seien zu vermeiden. Die Präsenz von Bürgerpolizisten soll verstärkt und das Personal der Polizei speziell beim Straßenverkehr und der Internetkriminalität erhöht werden. Abgelehnt werden dagegen erweiterte Eingriffsbefugnisse.
Zudem setzen sich die Grünen für eine optimierte Aus- und Fortbildung der Beamten ein, dafür könne auch mehr externes Lehrpersonal herangezogen und etwa mit staatlichen Hochschulen kooperiert werden. Ein unabhängiger Polizeibeauftragter beim Landtag soll sich sowohl um Belange von Beamtinnen und Beamten kümmern als auch mutmaßliche Straftaten in den Reihen Polizeibediensteter. Angehörige von Strafverfolgungsbehörden sollten im Umgang mit Opfergruppen gezielter geschult werden.
Das Polizeigesetz Sachsens gehört laut Grünen angepasst, einen Ausbau anlassloser Videoüberwachung weist das Wahlprogramm ebenso zurück wie eine Bewaffnung der Polizei mit Handgranaten und Maschinengewehren. Auch sogenannte Taser sind abseits von Spezialeinheiten nicht vorgesehen. Bodycams dagegen könnten sinnvoll zur Dokumentation polizeilichen Vorgehens sein.
Der Generationswechsel bei der sächsischen Justiz bis 2030 soll durch gute Ausstattung, einen zweiten Ausbildungsstandort für Juristen und mehr Digitalisierung schon bei der Ausbildung gestaltet werden. Angepasste Unterhaltsbeihilfen, familiengerechte Arbeitsmodelle, Besoldung und Karrierechancen seien Stellschrauben, um die Attraktivität der Justiz als Arbeitgeber zu sichern.
Außerdem setzen auch Sachsens Grüne auf Technik: Bis 1. Januar 2026 sollen Gerichte und Staatsanwaltschaften mit Digitalakte arbeiten. Ein „KI-Kompetenzzentrum Justiz“ soll Arbeitsprozesse optimieren, Gerichte sollen flächendeckend mit WLAN und Videotechnik gerüstet sein.
Klar sprechen sich die Grünen gegen Ersatzfreiheitsstrafen und für den Schutz von Opfern von Hasskriminalität sowie sexualisierter Gewalt aus. Die Partei will den Ansatz der „Restorative Justice“ forcieren, bei der statt „Vergeltung“ im Fall von Straftaten Opfer- und Täterseite zu einer Art Wiedergutmachung zusammenkommen. Zudem soll Sachsens Justiz einen Kinderschutzbeauftragten erhalten, um mit Strafverfahren konfrontierte Kinder zu schützen. Eine Kommune könne Modellregion werden, um die kontrollierte Abgabe von Cannabis zu erproben.
Das LfV soll perspektivisch aufgelöst werden, eine „hochfunktionale und gut kontrollierte Behörde“ an dessen Stelle treten. Der Einsatz von V-Leuten müsse klar geregelt sein, Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung wollen die Grünen nicht. Der Kampf gegen Rechtsextremismus sei vor allem auf den Ebenen von Forschung und Zivilgesellschaft zu steigern. Ein Oberlandesanwalt nach dem Vorbild Bayerns könne Disziplinarverfahren gegen Beamte bündeln.
Linke: Kontrolle der Polizei, Kennzeichnungspflicht und Auflösung des Verfassungsschutzes
Aufrüstung von Polizei und Geheimdiensten führt laut Linken zu keinem Sicherheitsgewinn und ist daher falsch. Neben der Konzentration auf soziale Ursachen von Kriminalität und Gewalt und besseren Lebensbedingungen für alle müsse ein überarbeitetes Polizeigesetz her. Dieses solle Unschuldsvermutung und Grundrechte wieder nach vorn stellen.
Dem Landtag soll eine unabhängige Beschwerde- und Ombudsstelle der Polizei zugeordnet werden, eine ausgelagerte Ermittlungsinstanz wie in Dänemark müsse Vorwürfen etwa unrechtmäßiger Polizeigewalt nachgehen. Generell müsse die Polizei bürgernah und gut erreichbar sein. Technischen Hilfsmitteln wie Videoüberwachung, Tracking-Software und „Super Recognizern“ steht Die Linke in ihrem Programm ablehnend bis kritisch gegenüber. Ähnliches gilt für Kontrollen sowie die Schleierfahndung im östlichen Grenzraum Sachsens.
Für die polizeiliche Ausbildung sei künftig mehr auf Sensibilität gegen Diskriminierung und Rassismus zu achten, die interkulturelle Kompetenz des Personals müsse gestärkt und eine Kennzeichnungspflicht eingeführt werden. „Racial Profiling“ sei zu verbieten, ebenso gehörten das Konzept „gefährlicher Orte“ beseitigt und anlasslose Personenkontrollen abgeschafft. Betroffene von Kontrollen hätten Anspruch auf eine Bescheinigung.
Eine schnelle Ahndung von Straftaten wird im Wahlprogramm der Linken begrüßt, weswegen der Pool an Richterinnen und Richtern und sonstigem Justizpersonal zu erhöhen sei. Ersatzfreiheitsstrafen lehnt die Linke weitgehend ab, generell will sie eine Haft nur als „Ultima Ratio“ verhängt sehen.
Modellen von Täter-Opfer-Ausgleich („Restorative Justice“) und Haftvermeidung sei der Vorzug einzuräumen. Die Wiederaufnahme der Juristenausbildung an der TU Dresden wird ausdrücklich gefordert, außerdem soll ein Wahlausschuss über die Einstellung von Richterinnen und Richtern bestimmen. Explizit als Ziele genannt werden die Herabstufung des Fahrens ohne Fahrschein zu einer Ordnungswidrigkeit und die Entkriminalisierung des „Containerns.“
Sachsens LfV will die Linke auflösen und übergangsweise einer scharfen Parlamentskontrolle unterordnen: Die Behörde sei beim Schutz der Demokratie nicht wirksam, sondern hinderlich und habe unrechtmäßig eine Definitionsgewalt über „extremistische“ Einstellungen. Die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten sei keine Verschlusssache, die man Ämtern und Behörden mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit überlassen dürfe.
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