Seit Feitag, dem 12. Juli, bewegte das Schicksal von Robert Aziroviฤ‡ viele Sachsen. Seit 30 Jahren lebt er in Sachsen, war niemals in Serbien. Hat hier eine Ausbildung gemacht, aber keine Arbeitsgenehmigung bekommen. Und nun zeigte die Auslรคnderbehรถrde in Chemnitz, wie eine gnadenlose Abschiebepraxis funktioniert: Er wurde verhaftet und in die Abschiebehaftanstalt in Dresden gebraucht, um in ein Land abgeschoben zu werden, in dem er niemals war. Am frรผhen Montagmorgen zog jetzt Landesinnenminister Armin Schuster die ReiรŸleine.

Hรถchst alarmiert meldete sich am Freitag Gjulner Sejdi, Vorsitzender von Romano Sumnal, dem Verband der Roma und Sinti Sachsen, zu Wort: โ€žWir sind entsetzt โ€“ Robert Aziroviฤ‡ unser engagiertes Mitglied wurde heute in Abschiebehaft genommen. Robert sollte eigentlich schon seit Mai bei uns im Projekt โ€šRoma in Sachsenโ€˜ arbeiten. Leider hat ihm die Auslรคnderbehรถrde Chemnitz die Beschรคftigungserlaubnis verwehrt.
Der Umgang mit Robert ist ein Zeichen fรผr strukturellen Antiziganismus, wie ihn unsere Menschen immer wieder erfahren.

Robert Aziroviฤ‡ hatte nie eine Chance. Er wurde von allen Seiten ausgegrenzt. In den Niederlanden geboren, kam er mit acht Monaten nach Chemnitz, wo er die Schule absolvierte, einen Beruf lernte, aber nie arbeiten durfte. Auch verlassen durfte er Chemnitz in den 30 Jahren nicht. Er hatte nie die Mรถglichkeit, sein Leben selbst zu finanzieren oder sich รผberhaupt eines aufzubauen. All das wurde durch die Behรถrden verhindert โ€“ keine Geburtsurkunde, keine Staatsangehรถrigkeit, kein Aufenthalt, keine Beschรคftigungserlaubnis.

Nun hat die zentrale Auslรคnderbehรถrde das Hamsterrad durchbrochen und schiebt einen Chemnitzer Jungen ab in ein Land, dass ihm vรถllig fremd ist, wo er nie war und wo er starker Diskriminierung ausgesetzt sein wird.
Deutschland hat unseren Menschen in der Vergangenheit soviel Leid zugefรผgt und noch heute sind wir nicht sicher hier โ€“ die Geschichte von Robert Aziroviฤ‡ ist ein weiteres Zeichen dafรผr.

Robert wurde heute bei einem regulรคren Termin in der Auslรคnderbehรถrde Chemnitz festgenommen, er hatte nach 30 Jahren endlich eine Geburtsurkunde und eine Identitรคt bekommen und wollte diese Daten auch bei der Behรถrde eintragen, sein Vertrauen wurde schamlos ausgenutzt. Wir fordern die sofortige Freilassung von Robert und endlich eine Perspektive durch eine Beschรคftigungserlaubnis und einen geregelten Aufenthalt.โ€œ

Noch am Freitag startete der Romano Sumnal e.V. eine Petition, um die Abschiebung von Robert Aziroviฤ‡ zu verhindern.

Deutliche Kritik aus der Politik

Auch aus der Politik gab es umgehend Unterstรผtzung. Denn es ist ja nicht der erste Fall, in dem die Chemnitzer Auslรคnderbehรถrde vรถllig unberechtigt eine Abschiebung anordnet. Oder โ€“ wie in diesem Fall โ€“ den 31-jรคhrigen beim Besuch der Chemnitzer Auslรคnderbehรถrde in Gewahrsam nehmen und ins Abschiebegefรคngnis nach Dresden lรคsst.

Dabei war Roberts Familie Anfang der 1990er Jahre vor den Jugoslawienkriegen geflohen.

โ€žGerade Kinder von Menschen, die vor den Wirren der Jugoslawienkriege geflohen sind, sowie Roma sind hรคufig von Staatenlosigkeit betroffen: Ihnen wurden und werden keine Geburtsurkunde und Aufenthaltsdokumente ausgestelltโ€œ, benannte die asylpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Sรคchsischen Landtag, Juliane Nagel, am Freitag das Grundproblem.

โ€žRobert A. stand kurz vor der Klรคrung seiner Identitรคt. Dies wurde durch die Festnahme vereitelt. Seine Abschiebung, die heute erfolgen soll, muss gestoppt werden! Ich fordere Innenminister Armin Schuster zum Eingreifen auf. Es kann nicht sein, dass ein Mensch, der fast sein ganzes Leben in Deutschland verbracht hat, hier eine Ausbildung absolviert hat und arbeiten will, rausgeschmissen wird. Die Behรถrden mรผssen ihm Zeit geben, den letzten Schritt zur Klรคrung seiner Herkunft zu machen, und ihn dabei unterstรผtzen. Es ist ein Affront, dass sie ihn stattdessen wรคhrend eines regulรคren Behรถrdentermins verhaften lieรŸen.โ€œ

Und dazu kommt, so Juliane Nagel: โ€žGerade Angehรถrige der Roma-Minderheit werden in faktisch allen Westbalkanstaaten stark diskriminiert. Warum es Robert A. drei Jahrzehnte lang nicht mรถglich war, einen regulรคren Aufenthalt in Deutschland zu erlangen, muss geklรคrt werden. In Serbien war er jedenfalls noch nie, die Landessprache spricht er nicht.

Wir fordern eine Lรถsung fรผr ihn und รคhnlich gelagerte Fรคlle: Die Auslรคnderbehรถrden mรผssen flexible Einzelfall-Lรถsungen suchen und befรถrdern. Das Innenministerium muss damit aufhรถren, Menschen rauszuwerfen, die Teil dieser Gesellschaft sind!โ€œ

Wem nรผtzt das?

Am Samstag, dem 13. Juli, gab es auch deutliche Wortmeldungen aus der SPD-Fraktion im Sรคchsischen Landtag. Die nur zu berechtigte Frage: โ€žWem nรผtzt das? Einzig und allein der Abschiebe-Statistik des Innenministers!โ€œ

โ€žEinerseits: nach formal-juristischen Kriterien scheint alles rechtens zu sein. Robert Azirovic war ausreisepflichtig. Er hatte sich im Zusammenhang eines Drogendelikts strafbar gemacht. Andererseits: Robert Azirovic hat zuvor 27 Jahre straffrei in Deutschland gelebt. Er hatte sich intensiv um Arbeit bemรผht und zahlreiche Arbeitsangebote bekommenโ€œ, kommentierte der Landtagsabgeordnete der SPD, Frank Richter, den Vorgang.

โ€žEine Arbeitserlaubnis allerdings wurde ihm durch die Chemnitzer Auslรคnderbehรถrde stets verweigert. Auch in seinen Bemรผhungen, sich einen Pass zu verschaffen, lieรŸ Robert Azirovic nichts unversucht. Sein Geburtsort ist Hertogenbosch in den Niederlanden. Es ist ihm trotz vieler Versuche nicht gelungen, einen serbischen Pass zu erhalten. Nun โ€“ da das Gericht eine serbische Staatsangehรถrigkeit schlicht konstatiert โ€“ soll der DreiรŸigjรคhrige in ein Land abgeschoben werden, in dem er noch niemals war. Das ist unertrรคglich und kaum zu glauben. Wem nรผtzt das? Einzig und allein der Abschiebe-Statistik des Innenministers! Ich bitte die Hรคrtefall-Kommission, sich mรถglichst schnell des Schicksals von Robert Azirovic anzunehmen.โ€œ

Und auch Petra Cagalj Sejdi, migrationspolitische Sprecherin von Bรผndnis 90/Die Grรผnen, fand deutliche Worte: โ€žRobert lebt sein ganzes Leben in Chemnitz, er hat hier seine Familie, seine Freunde und sein Lebensumfeld. Deutsch ist seine Hauptsprache. Er ist hier zur Schule gegangen, hat einen Beruf gelernt, nur arbeiten durfte er nie. Es ist fรผr mich vรถllig unverstรคndlich, dass Robert in ein Land abgeschoben wird, in dem er nie war und zu dem er keinen Bezug hat. Stattdessen hรคtte man ihm nach 30 Jahren endlich eine Beschรคftigungserlaubnis geben mรผssen, damit er endlich arbeiten und seinen Lebensunterhalt selbst verdienen kann, so wie alle anderen Menschen auch.โ€œ

Besuch im Abschiebegefรคngnis

Am Montagmittag sollte Robert A. nun nach Serbien abgeschoben werden.

โ€žEr fรคllt in ein Nichts. Anders gesagt: Die sรคchsische Abschiebepraxis stรถรŸt ihn in ein Nichtsโ€œ, fasste Frank Richter das Unbegreifliche de Vorgangs fรผr sich zusammen. โ€žAls Angehรถriger des Volkes der Roma dรผrfte ihm in Serbien auรŸerdem sehr viel Ablehnung und Diskriminierung drohen, zumal er kein Serbisch spricht. Diese Abschiebung ist ein erneuter Tiefpunkt einer inhumanen Praxis, die letztlich der sรคchsische Innenminister zu verantworten hat.โ€œ

Gemeinsam mit dem Bruder von Robert, einem Klinikseelsorger und dem Generalvikar des Bistums Dresden-MeiรŸen hat Richter noch am Sonntagnachmittag Robert A. im Abschiebegefรคngnis besucht.

โ€žWir haben fast drei Stunden mit ihm sprechen kรถnnen. Robert spricht flieรŸend Deutsch. Er hat alles Erdenkliche โ€“ und noch mehr, als ich mir hรคtte ausdenken kรถnnen โ€“ getan, um sich in Deutschland zu integrieren. Ein falscher Namenseintrag durch die niederlรคndischen Behรถrden verfolgte ihn sein ganzes, nunmehr dreiรŸigjรคhriges Lebenโ€œ, benennt er eine weitere Tรผcke der unerbittlichen Bรผrokratie.

โ€žEr selber hat alles versucht, um diesen Fehler korrigieren zu lassen, u.a. durch einen DNA-Test. Genau zum Zeitpunkt, an dem ihm dies gelungen war, โ€šschnappt die Falleโ€˜ zu und er wird in der Auslรคnderbehรถrde Chemnitz verhaftet. Ich kann diese Praxis nicht akzeptieren. Sie ist nicht gerecht. Sie ist unmenschlich. Sie vergiftet unser gesellschaftliches Zusammenleben. Ich ermutige alle, dagegen zu protestieren. Robert ist ein Chemnitzer. Er gehรถrt zu uns.โ€œ

Der Innenminister reagiert

Am Montagmorgen reagierte nun auch Sachsens Innenminister Armin Schuster und stoppte die Abschiebung erst einmal. Sein Ministerium teilte mit: โ€žStaatsminister des Innern Armin Schuster hat entschieden, die Rรผckfรผhrung des Robert A. nach Serbien zu unterbrechen.โ€œ

โ€žIch habe angeordnet, den Fall durch die Landesdirektion zu รผberprรผfenโ€œ, so Armin Schuster.

Der Sachverhalt werde jetzt in Abstimmung mit der Auslรคnderbehรถrde der Stadt Chemnitz รผberprรผft.

Am heutigen Montag, dem 15. Juli, findet trotzdem eine Kundgebung dafรผr statt, Robert A. ein Bleiberecht zu gewรคhren. Sie ist fรผr 17 Uhr vor dem Innenministerium in Dresden angekรผndigt.

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Es gibt 7 Kommentare

@Andre Das mit den Drogen ist natรผrlich รผbel, andererseits geraten gerade Menschen ohne Arbeitserlaubnis sehr leicht in die Fรคnge solcher Hรคndler, da sie keine legale Chance haben, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Natรผrlich ist man auch dann nicht gezwungen Drogen zu verkaufen, aber ich kann mich auch schlecht in jemanden hineinversetzen, der 30 Jahre, also sein ganzes Leben lang, nie arbeiten durfte, nie freie Entscheidungen treffen durfte und immer wie ein unmรผndiger Mensch behandelt wurde. Das bricht Menschen manchmal.

@Michael Freitag:
โ€œzรถge die Frage nach sich, zu elchem Land Sie keinen Bezug haben (sicherlich viele Lรคnder)โ€
Ich versuche auch nicht von diesen Lรคndern einen Pass zu bekommen. Ich wiederum hรคtte es verstanden, wenn er sich um einen niederlรคndischen Pass bemรผht hรคtte, da er dort geboren ist.
Warum also ein Pass eines Landes von Jugoslawien was nicht Mitglied der EU ist.
โ€œwenn die beiden Brรผder auch staatenlos sindโ€
Ist das eine Vermutung oder gibt es dafรผr Nachweise.

Mir stellt sich jedoch eine ganz praktische Frage. Wie soll er denn nach Serbien abgeschoben werden, wenn er keine Papiere aus dem Land hat? Die werden ja auch niemanden einfach ins Land lassen, der sich nicht ausweisen kann, selbst wenn Sachsen/Deutschland Bitte bitte sagt.

@fra: wenn die beiden Brรผder auch staatenlos sind, ergibt alles wieder einen Sinn. Auch das Bemรผhen um einen serbischen Pass. Dass er โ€œkeinen Bezugโ€ zu diesem oder anderen Lรคndern hat, zรถge die Frage nach sich, zu elchem Land Sie keinen Bezug haben (sicherlich viele Lรคnder), weil sie ebenfalls seit 30 Jahren oder mehr hier leben โ€ฆ

PS.: Kommentare kann man hier nicht รคndern, da dies ein heilloses Chaos auslรถsen kรถnnte.

Natรผrlich muss es keinen lauten.
Wie kann man hier Kommentare bearbeiten?

โ€œEs ist fรผr mich vรถllig unverstรคndlich, dass Robert in ein Land abgeschoben wird, in dem er nie war und zu dem er keinen Bezug hat.โ€
Nach Informationen anderer Medien hat er es doch, da seine beiden รคlteren Brรผder dort leben und sollte wirklich einen Bezug dahin haben, dann mach der Satz รผberhaupt keinen Sinn:
โ€œEs ist ihm trotz vieler Versuche nicht gelungen, einen serbischen Pass zu erhalten. โ€œ

Kein leicht zu entscheidender Fall.
Einerseits natรผrlich unsรคglich, dass jemand einfach so staatenlos sein kann und auch in 30 Jahren keine Lรถsung dafรผr gefunden wurde.
Aber andererseits hat ihn ja niemand gezwungen Drogen zu verkaufen und laut LVZ soll er ja aktuell auch Verdรคchtiger eines Diebstahls sein.

Ich denke, wenn er die Straftat nicht begangen hรคtte, wรคre er zumindest unter dem Radar der Behรถrden geblieben was die Abschiebung angeht.

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