Anfang des Jahres musste der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) zwölf Mitarbeitenden in zwei Beratungsprojekten die Stellen kündigen. Der Grund war eine verzögerte Bewilligung von Förderanträgen durch das Land Sachsen. Der Freistaat hatte nach einer Kritik des Sächsischen Rechnungshofs seine Förderrichtlinie überarbeiten müssen. Inhalt der Kritik: Neben einigen Ungereimtheiten in den Akten der Geförderten ging es vor allem darum, dass die Geflüchteten-Projekte ihre „politische Lobbyarbeit“ – die nämlich nicht förderfähig sei – einschränken sollten. Das SPD-geführte Sozialministerium versäumte es, sich schützend vor die Vereine zu stellen.
Protest kam aus dem Netzwerk Tolerantes Sachsen, einer Vereinigung von mehr als 50 zivilgesellschaftlichen Vereinen und Akteuren: „Wir werden uns als Vereine und Initiativen auch weiterhin nicht davon abbringen lassen, Diskriminierungen und Verstöße gegen die Menschenwürde sowie die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte zu kritisieren“, so eine Mitarbeiterin vom Colorido e.V. in einer Mitteilung des Netzwerks. Zahlreiche Vereine in ganz Sachsen, darunter der Help e.V. in Aue, der Colorido e.V. in Plauen, der AK Asyl aus Dresden oder der RAA Hoyerswerda berichteten von einem Einbruch der Unterstützungsstrukturen für Geflüchtete vor Ort.
Mitte März erhielt der SFR schließlich einen Förderbescheid für sein Beratungsprojekt. Mit der Leipziger Zeitung hat Dave Schmidtke vom SFR über die kurzfristigen Probleme, vor denen der Verein trotz allem steht, und auch die langfristigen Perspektiven vor dem Hintergrund der kommenden Kommunal-/EU- und vor allem Landtagswahlen gesprochen.
Euer Beratungsprojekt „Act“ und das Weiterbildungsprojekt „QuBe³“ sind Anfang dieses Jahres nicht gefördert worden. Woran lag das?
Obwohl es eine extrem starke Nachfrage von Vereinen, Geflüchteten und nach der Arbeit von „QuBe³“ gab, wurde die Weiterfinanzierung abgelehnt. Denn die meisten unserer Projekte werden nur ein Jahr finanziert und müssen dann neu beantragt werden. Weil im letzten Jahr die Förderrichtlinie überarbeitet wurde, konnte kein Projekt nach Beendigung weiterlaufen.
Es vergingen Monate bis wir von der Sächsischen Aufbaubank eine Antwort erhielten. So konnten wir beim Nachfolgeprojekt von „Act“ (jetzt „Perspectives“) manche Leute erst im Mai 2024 einstellen – dabei endete das vorherige Projekt im Dezember 2023. Dadurch haben wir Mitarbeitende verloren und Klient*innen konnten fast ein halbes Jahr nicht beraten werden.
Der Fördertopf „Integrative Maßnahmen“ musste vom Freistaat überarbeitet werden, weil der Sächsische Rechnungshof neben Unregelmäßigkeiten in den Unterlagen einiger geförderter Projekte bemängelt hat, dass die Vereine die politische Arbeit und die konkrete Unterstützungsarbeit für Geflüchtete zu sehr vermischen würden. Was hältst du von dieser Forderung?
Natürlich dürfen Vereine keine Parteipolitik machen. Aber: Es gibt keine Arbeit für Geflüchtete in Sachsen, die unpolitisch wäre. Zahlreiche Behörden halten Fristen für Anträge nicht ein, andere wiederum handeln auffällig restriktiv. Wer diese Zustände nicht kritisiert, kann gar keine wirkliche Unterstützung für Schutzsuchende leisten. Geltendes Recht muss für alle Menschen in Sachsen umgesetzt werden.
Wer sich hier für Gleichberechtigung aller einsetzt, handelt eher humanistisch als politisch – im Freistaat wird dies gern umgedeutet. Außerdem werden viele Angestellte, die in dem Kontext Flucht arbeiten, für ihr Engagement angefeindet. Die wachsende Bedrohung des Rechtsextremismus gilt in erster Linie den Geflüchteten, aber auch den Menschen, die sie unterstützen.
Ihr habt nun einen Förderbescheid ab März bis Dezember für den Nachfolger „Perspectives“ des Beratungsprojekts „Act“ bekommen. Ist jetzt also alles in Ordnung?
Leider nein. Wir freuen uns, dass das Projekt fortgeführt werden kann und über die Anstellung neuer Kolleg*innen. Aber viele langjährige Mitarbeiter*innen mit großer Expertise haben gekündigt und sich eine andere Tätigkeit suchen müssen. Die jetzt Angestellten haben nur sehr kurzfristige Verträge, müssen sich aber schnellstmöglich in komplexe Rechtslagen einarbeiten und können zusätzlich zur prekären Beschäftigung nicht mit einer Verlängerung rechnen.
Aber im Status Quo können wir zumindest dem immens gewachsenen Bedarf an Beratungen der Asylsuchenden nachkommen. Gerade weil aktuell mehr Menschen zum Beispiel aus der Türkei oder Venezuela im Verfahren beim BaMF (Bundesamt für Migration und Flüchlinge, d.Red.) abgelehnt werden, wird deren Not und Wunsch nach Beratung immer größer.
Anfang September kommen die Landtagswahlen. Wie geht es dann weiter?
Wir befürchten einen Kahlschlag in der gesamten Integrationsarbeit, da nach der Landtagswahl zunächst eine Regierung gebildet werden muss. Die aktuellen Wahlprognosen erschweren diese jedoch und mögliche Regierungskoalitionen bleiben unsicher. Doch die neue Landesregierung muss wiederum auch den neuen Rahmen für die Förderungen bestimmen, dies dürfte dann frühestens zu Beginn 2025 passieren.
Anschließend braucht es wieder Monate bis Bescheide bearbeitet werden und dann ja wieder Zeit bis Menschen eingestellt werden können. Dieser Einschnitt würde allen Beteiligten schaden und es bräuchte dringend einen Beschluss, der die aktuelle Förderrichtlinie auch für den Zeitraum nach den Wahlen festlegt. Anderenfalls droht das Stilllegen der Integrationsarbeit in Sachsen.
Was würde ein Wegfall der Arbeit der Vereine in ganz Sachsen für die Zivilgesellschaft bedeuten?
Eindeutig Chaos. Die Geflüchteten verlieren nicht nur ihre Unterstützung, sondern auch mögliche Wege, hier tatsächlich anzukommen. Das Aufenthaltsrecht ist enorm aufgebläht und elitär bürokratisch formuliert, sodass selbst hier Geborene es nicht gänzlich durchblicken. Wie sollen Menschen, die erst Deutsch lernen, sich dann hier zurechtfinden? Als unser Projekt ACT Anfang des Jahres endete, hatte eine Kollegin aus Chemnitz binnen eines Monats über 350 verpasste Anrufe von Klient*innen.
Die Zivilgesellschaft kann diese fordernde Arbeit nicht nur im Ehrenamt erledigen, dafür reicht weder die Expertise noch die Zeit, um diese zu erlangen. Es droht ein Scheitern der viel beschworenen „Integrationspolitik“, denn es ist bereits jetzt so, dass Menschen in der Unterstützung für Geflüchtete angefeindet werden – gerade in kleinen Orten Sachsens.
Wenn sich die Zivilgesellschaft im Einsatz für Geflüchtete aufopfert und nebenbei noch einer anderen Vollzeitstelle nachgehen soll, kann nur Schadensbegrenzung, aber nie wirklich effektive Arbeit geleistet werden. Dies würde am Ende all den Demokratiefeinden am rechten Rand nutzen, die permanent das Scheitern der Politik im Umgang mit Geflüchteten beschreien. Wer heute bei Integration spart, bezahlt morgen den Preis eines unkontrollierbaren Erstarkens des Rechtsextremismus.
Warum ist die Beratung von Geflüchteten so wichtig?
Informationen und deren klares Verständnis sind für Schutzsuchende am Anfang das Wichtigste. „Wie funktionieren Asylverfahren?“, „Wann kann ich meine Familie nachholen?“ oder „Wie finde ich Arbeit?“ sind typische Fragen, die ein enormes Fachwissen und Kenntnis der deutschen Bürokratie voraussetzen. Allein die kaum zugängliche, juristische Sprache von Gesetzestexten kann ohne Support kaum durchblickt werden. Die Menschen sind sich dann selbst überlassen. Dafür braucht es eine professionelle Beratung – ansonsten ist das Ankommen von Geflüchteten in Sachsen nahezu unmöglich
Was bräuchte es in Zukunft, um eure Arbeit stabil aufzustellen?
Zunächst müsste die Landesregierung in Sachsen akzeptieren, dass Flucht kein temporäres Thema ist, welches mit Mauern und Abschottung beendet werden kann. Migration ist Teil der Menschheitsgeschichte und gerade in einer Zeit zunehmender globaler Krisen und Konflikte werden uns auch zukünftig Fliehende in Sachsen erreichen.
Wer dies verstanden hat, sieht auch schnell, dass hier eine langfristige stabile Finanzierung der Unterstützung Geflüchteter notwendig ist. Es braucht Zeit, um Menschen in teilweise jahrelangen Verfahren und unsicherer rechtlicher Lage zu beraten. Auch das Erlernen der komplexen Inhalte im Asyl- und Aufenthaltsrecht machen dies notwendig.
Außerdem würden wir uns wünschen, dass sich der politische Rechtsruck nicht in die sächsischen Ausländerbehörden ausbreitet. Schon jetzt werden in unterschiedlichen Behörden bei gleichen Voraussetzungen unterschiedliche Entscheidungen bei Anträgen getroffen. Wenn eine geeignete Person beispielsweise in Leipzig eine Ausbildungsduldung erhält, ist dies wiederum in Bautzen kaum möglich. Restriktive politische Kultur darf in solchen Prozessen niemals Einfluss haben. Dies führt am Ende zu Mehrarbeit für Beratungen von Geflüchteten, die dann in Widerspruch gehen müssen, um ihnen zustehende Rechte zu erhalten.
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