In diesem Jahr dürfen erstmals 16-Jährige bei der Europawahl wählen gehen. Junge Menschen sind aufgerufen, sich politisch zu beteiligen und ihre Interessen entsprechend zu vertreten. Aktuell steht unsere Demokratie unter besonderem Druck durch antidemokratische Strömungen, dies bereitet nicht zuletzt jungen Menschen große Sorgen. Zudem wird Politik von vielen Erstwählenden als wenig nahbar und abgehoben wahrgenommen. Und das bestimmte auch ein Wahlpodium am 7. Mai.
Um zu mehr Beteiligung und Gestaltungsfreude zu ermuntern, organisierte die Junge Europäische Föderalisten Sachsen (JEF-Sachsen) gemeinsam mit der Kampagne der Europäischen Kommission zur Europawahl (More in 24) am Dienstag, dem 7. Mai, eine Podiumsdiskussion bei Europahaus Leipzig am Markt.
„Ziel ist es, besonders junge Menschen anzusprechen und für Politik zu begeistern. Unsere Veranstaltung ist dabei die einzige in Sachsen, die sich gezielt an Erstwählerinnen und Erstwähler richtet“, formulierten die Veranstalter ihren Anspruch. „Zusammen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern möchten wir Politik anfassbar machen und den politischen Diskurs möglichst niedrigschwellig darstellen.“
Besondere Aktualität erhielt das Forum durch den gewalttätigen Angriff auf den Europa-Kandidaten der SPD Sebastian Ecke am 3. Mai in Dresden. Denn eigentlich hatte er für das Podium zugesagt.
An seiner Stelle nahm der ebenfalls fürs Europaparlament kandidierende Johannes Kropp (SPD) an der Diskussionsrunde teil. Als erfahrene Europapolitikerin nahm Anna Cavazzini an der Runde teil, die für Bündnis 90/Die Grünen im EU-Parlament aktiv ist. Die FDP war mit ihrem sächsischen Spitzenkandidaten zur Europawahl Stefan Richter vertreten, die CDU mit dem Vorsitzenden der Jungen Union und Direktkandidaten in Leipzig Marcus Mündlein. Und richtig jung wurde die Runde mit Hannah Lilly Lehmann, Sprecherin des Leipziger Jugendparlaments.
Wer Gewalt anwendet, will die Demokratie zerstören
Und der tätliche Angriff auf Matthias Ecke gab der Diskussion dann auch die Richtung. Denn der steht nun einmal symptomatisch für die zunehmende Gewalt, die den Wahlkampf 2024 prägt. Eine Gewalt, die nicht wirklich aus dem Nichts kommt, auch wenn die Täter oft ohne Anlass und Vorwarnung die Plaklatierteams angreifen. Denn die Aufheizung der Aggressionen dauert schon länger.
Und deshalb stand eben nicht nur ein dicker blauer Elefant im Raum – er wurde auch deutlich beim Namen genannt, auch wenn in diesem Wahlpodium aus guten Gründen kein Kandidat der rechtsextremen AfD saß.
Denn – da waren sich die Podiumsteilnehmer/-innen einig: Diese demokratiefeindliche Partei braucht nicht noch mehr Bühne für ihre menschenverachtenden Parolen und Ansichten. Ansichten, die längst auch massiv unterstützt werden durch Propaganda aus Ländern wie Russland. Das wurde in der Runde kurz auch thematisiert, mit welcher Wucht russische Trollfabriken seit nunmehr Jahren in europäische Politik und Wahlkämpfe eingreifen und die in den „Social Media“ aktiven Menschen verführen, narren und verblöden.
Russische Propaganda wirkt. Und sie hat vor allem ein Ziel: die Europäische Union zu spalten und Europa zu schwächen.
Und sie lebt von zwei Dingen. Eins ist hochgradige Emotionalisierung und die immer wieder neu wiederholte Behauptung, hier kämpfe „das Volk“ gegen eine verschworene Elite. Und der zweite Strang sind die Narrative, mit denen die Europäer in den Glauben versetzt werden sollen, die EU sei geradezu in einem wirtschaftlichen Niedergang begriffen.
Angst und Panik machen Menschen dumm, blind und verführbar.
Was kann man dagegen tun?
Und so stand in der Runde auch die nicht unwichtige Frage: Was kann man dagegen tun? Wie kann man die Menschen noch erreichen, die in der Verschwörungsblase der Populisten gelandet sind und daran glauben, dass autoritäre Parteien die einzige Rettung in den multiplen Krisen der Zeit sind? Selbst dann, wenn das, was sie in Talkshows erzählen, nicht zu dem passt, was in ihren Parteiprogrammen steht, die von Menschenverachtung nur so triefen? Aber wer liest schon Parteiprogramme?
Deutlich wurde, dass es für die demokratischen Parteien ein Riesenfehler war, den Rechtsextremen die „Social Media“ einfach zu überlassen. Denn genau dort erreicht man nun einmal die jüngeren Generationen, die ihre Informationen fast nur noch über ihr Smartphone einsammeln. Dort sind sie durch die hoch emotionalisierten Botschaften der Populisten erreichbar. „Schön dass Olaf jetzt auch bei TikTok ist“, war dann so ein Satz in der Runde, der das Problem thematisierte.
Das auch damit zu tun hat, dass Populisten alles simplifizieren und den Leuten das scheinbar so einfache politische Schwarz/Weiß in die Köpfe hämmern: Wir gegen die. Die da oben.
Es sind Phrasen und Framings, mit denen es den mit jeder Menge Geld geladenen Rechtspopulisten gelingt, die Demokratie zum Feindbild in den Köpfen leichtgläubiger Menschen zu machen und zu suggerieren, die demokratischen Parteien seien ein einziger Block.
Wie erzählt man Demokratie?
Da achtet dann niemand mehr auf die vielen Unterschiede, die die demokratischen Parteien im Diskurs trennen. Ihr Streit wird nicht als Streit über gute Kompromisse wahrgenommen, sondern als Krach im Kinderzimmer. Was auch an der medialen Vermittlung liegt. Das klang kurz an.
Die freien Medien in Europa sind nämlich allesamt unter Druck und kämpfen immer verzweifelter um Aufmerksamkeit, denn ihre Finanzierungsbasis haben die großen IT-Giganten aus den USA komplett zerstört – und auch die Aufmerksamkeit der Bürger ist auf die unregulierten Plattformen abgewandert, wo Hass, Lüge und Verachtung dominieren.
Das hat auch bei den klassischen Medien Folgen und führt zu immer mehr Skandalisierung und Radikalisierung. Und leider eben auch (nicht nur bei konservativen Politikern) zu einer schleichenden Übernahme rechtsradikaler Themen und Standpunkte.
Es geht Emotionen, sagte Johannes Kropp.
Das wurde deutlich. Und eigentlich wäre es angesagt, endlich wieder sachlich und differenziert zu berichten. Vielleicht gar mit einem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk für Europa, wie Stefan Richter vorschlug.
Wenn Aggression als normal verstanden wird
Aber das ist nur eine Idee. Die Realität wird von den in den „Social Media“ geschürten (negativen) Emotionen geprägt. Was Hannah Lilly Lehmann schon als Schülersprecherin in ihrer Schule erlebte. Denn das schlechte Beispiel wütender Erwachsener färbt natürlich auf die Jugendlichen ab. Wo die „Alten“ mit Drohungen und Beleidigungen um sich schlagen, wird das ganz selbstverständlich auch zu Jugendverhalten.
Es bringt nichts, mit dem Finger auf die jungen Leute zu zeigen. Es sind die Alten, die schlechte Vorbilder abgeben. Und die auch für das verantwortlich sind, was ebenfalls Teil der entgleisten Debatte ist: eine verfehlte Bildungspolitik. Denn wo werden selbstbewusste Demokraten eigentlich gebildet, wenn nicht in der Schule? Wenn dort aber eine Bildung im Sinne von Respekt, Toleranz und Kooperation nicht stattfindet, wo denn sonst? Den Rest übernehmen die „Social Media“ .
Was trotzdem die Aufgabe nicht erledigt, über die so schwer errungene Demokratie anders, besser, vielseitiger und spannender zu berichten. Denn nur wenn junge Menschen auch erfahren, dass Demokratie vom respektvollen Streit lebt, merken sie auch, dass Demokratie das spannendere Projekt ist. Diktaturen sind stinklangweilig, brutal und lähmend. Aber das erfährt man nun einmal erst, wenn man drin lebt.
Was also tun?
Über Brandmauern
Also wird das Thema „Brandmauer“ noch wichtig an diesem Abend. Immerhin ein Thema, das die CDU besonders angeht, wo man ja seit geraumer Zeit über die „Brandmauer gegen rechts“ diskutiert. Aber hält sie auch im Herbst stand, wen in Sachsen Landtagswahlen sind?
Marcus Mündlein wurde erstaunlich deutlich, als er sagte, dass der Tag, an dem die CDU in Sachsen mit der AfD ins Bett geht, sein letzter Tag in der CDU gewesen sein wird. Für ihn steht die Brandmauer.
Auch wenn in der Diskussion natürlich auch darüber gesprochen wurde, wie sich das dann auch in lokalen Parlamenten wie dem Leipziger Stadtrat verhält. Aber eigentlich wurde es deutlich: Es gibt keinen Grund, für irgendeinen Antrag der AfD zu stimmen, egal, was drin steht. Die klare Grenze kann jede einzelne demokratische Fraktion ziehen. Und niemand, wirklich niemand zwingt konservative Politiker, die Sprechblasen der Rechtspopulisten zu übernehmen.
Konkret beim Namen genannt wurden der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und sein Vize Hubert Aiwanger, die in dem irren Glauben, sie würden am rechten Rand ein Wählerpotenzial für sich gewinnen, bedenkenlos rechte Phrasen übernehmen.
Brandmauern sehen anders aus. Vernunft sowieso. Denn jede Übernahme rechten Gedankengutes schwächt nicht die Rechten, sondern stärkt sie und macht ihr Menschenverachtung erst hoffähig.
Sollte man über die Rechten reden?
Am Ende kam dann auch die Frage auf: Reden wir zu viel über die AfD? Wird sie dadurch noch wichtiger?
Eine Frage, die so einfach nicht zu beantworten ist. Denn ganz offensichtlich ist die AfD mit ihren Köpfen sowieso viel präsenter in deutschen Talkshows, als es ihrer Wichtigkeit angemessen wäre. Dort wird ihnen eine Plattform gegeben, werden ihre Phrasen verbreitet und Moderator/-innen scheitern reihenweise daran, die Herren und Damen in Blau zu entmystifizieren.
Aber reden muss man darüber. Denn der Rechtspopulismus droht Europa ja zu zerfressen. Es ist ja nicht nur Deutschland, wo eine AfD mit freundlicher Schützenhilfe von Diktatoren versucht, die Demokratie auszuhebeln. Das passiert in ganz Europa. Und deshalb wird überall über die Rechtspopulisten geschrieben und getalkt, aber nicht über die wirklichen (zumeist sozialen) Probleme, die – auch und gerade junge Leute tatsächlich haben. Über die Realität, in der wir tatsächlich leben und die mit den Niedergangsszenarien der Populisten nichts zu tun hat.
Die die EU übrigens nicht grundlos angreifen, das wichtigste und beste Friedensprojekt, das die Europäer jemals geschaffen haben. Und genau das wollen die Rechtspopulisten aus ganz Europa zerstören. Da hilft wirklich nur ein klares Wahlergebnis für die Demokratie.
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