Schlagzeilen produzieren kann er, das hat Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mittlerweile zu höchster Perfektion getrieben. Das schafft er in der Regel mit Forderungen, von denen er weiß, dass sie in weiten Teilen der Republik für Aufregung und Empörung sorgen. So auch mit seiner Forderung, das Recht auf Teilzeit in Deutschland abzuschaffen. Doch für diese fatale Forderung bekommt er jetzt ganz offiziell Widerspruch vom sächsischen Arbeitsminister Martin Dulig (SPD).

Was für den eher zurückhaltenden Martin Dulig durchaus eine Ausnahme ist. Doch als Michael Kretschmer am 8. Mai im „Handelsblatt“ vorpreschte und forderte: „Wir müssen dafür sorgen, dass wir mit Wachstum und Vollbeschäftigung – das bedeutet für mich die 40-Stunden-Woche für alle – aus der Krise kommen“, bewies er gerade mit der Simplizität seiner Forderung, dass er sich vorher mit niemandem wirklich abgestimmt hatte – nicht mit seinem Arbeitsminister und auch nicht mit dem Statistischen Landesamt, wo er alle Zahlen zur Beschäftigung in Sachsen hätte bekommen können.

Auch der „Spiegel“ rechnete umgehend vor, dass Kretschmer ganz offensichtlich die Arbeitszeitstatistik nicht einmal gelesen hatte: „Tatsächlich arbeiten immer mehr Menschen in Teilzeit – 2023 traf dies auf rund 31 Prozent aller Angestellten zu. Bei der verkürzten Arbeitszeit sind Frauen und darunter besonders Mütter stark überrepräsentiert. Sie reduzieren häufig für die Familie ihre Arbeitszeit. (…)

Auch bedingt durch den hohen Teilzeitanteil hat Deutschland die durchschnittlich wenigsten Arbeitsstunden aller OECD-Länder. Zugleich ist allerdings auch die Zahl der Erwerbstätigen mit 45,9 Millionen so hoch wie noch nie in Deutschland. Das gilt auch für die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden seit der Wiedervereinigung.“

Und was für Deutschland gilt, gilt auch für Sachsen: Teilzeit hat es ermöglicht, dass mehr Menschen eine Arbeit aufnehmen können – gerade wenn sie daneben auch noch Familien- und Care-Arbeit zu bewältigen haben. Das heißt: Kretschmers Vorstoß zielt auch noch direkt gegen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Höchste Beschäftigungsquote in Deutschland

Und so wird auch der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig jetzt deutlich.

„Rund ein Drittel der Beschäftigten in Sachsen arbeitet in Teilzeit, wie das Statistische Landesamt heute in einer Mitteilung zum sächsischen Arbeitsmarkt informierte. Dieser Anteil hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht. Bei den Männern betrifft es knapp 16 Prozent, bei den Frauen ist es über die Hälfte (53,2 Prozent). Forderungen, wonach alle mehr arbeiten sollen und Einschränkungen beim Recht auf Teilzeit dafür erforderlich seien, stehen im Raum“, formuliert es Duligs Ministerium. Wer die Debatte der letzten Tage verfolgt hat, weiß, wer damit gemeint war.

Und so betont auch Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Dulig: „Im vergangenen Jahr haben die Beschäftigten in Sachsen nicht weniger gearbeitet, sondern mehr. Dass so viele im Land arbeiten, wäre ohne Teilzeit nicht möglich.“

Im Jahresdurchschnitt 2023 ist das Arbeitsvolumen auf über 2.834 Millionen Stunden gegenüber dem Vorjahr angestiegen. Auch die Pro-Kopf-Arbeitszeit hat sich erhöht. Die Zahl der Erwerbstätigen hat sich ausgehend von einem hohen Niveau ebenfalls um rund 6.400 auf 2,0781 Millionen erhöht. Sachsen hat bundesweit die höchste Beschäftigungsquote bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.

Eine Abkehr vom Recht auf Teilzeit schließt Arbeitsminister Martin Dulig deshalb aus: „Gute Arbeitsbedingungen, die zum Leben passen und gute Löhne sorgen dafür, dass Beschäftigte im Unternehmen bleiben, vielleicht auch über das Renteneintrittsalter hinaus, und neue Kolleginnen und Kollegen hinzukommen. Dazu zählt auch das Recht auf Teilzeit. Die Erhöhung der Teilzeitquote zeigt ganz klar die Lebenswirklichkeit der Menschen. Forderungen, das Recht auf Teilzeit zu beschneiden, sind polemisch und werden keinen Erfolg haben.“

Das dürfte für einige Verstimmung am Kabinettstisch sorgen, denn derart deutlich hat noch kein sächsischer Minister dem Ministerpräsidenten Polemik vorgeworfen.

Das selbstgemachte Finanzierungsproblem

Mit Polemik erreicht man zwar jede Menge Aufmerksamkeit. Aber man löst damit nicht die Einnahmeprobleme des deutschen Staates, die Kretschmer dazu animiert hatten, die Forderung nach noch mehr Arbeit zu erheben.

Denn die deutschen Haushaltsprobleme sind nicht dadurch entstanden, dass zu wenige Menschen in Vollzeit arbeiten (und Steuern zahlen), sondern dass neoliberale Finanzminister erst massiv die Spitzensteuersätze gesenkt und die Vermögenssteuer abgeschafft haben. Und dann auch noch die völlig sinnfreie Schuldenbremse (die auch in Sachsen gilt) eingeführt, die dem Staat selbst in Krisenzeiten verbietet, neue Schulden aufzunehmen und damit die Krisen zu bewältigen.

Es ist ein künstlich arm gemachter Staat, der jetzt auf einmal allerenden massive Finanzierungsprobleme bekommt.

„Umgekehrt sollten wir alles daransetzen, dass Menschen, die Vollzeit arbeiten wollen, dies auch können. Dazu zählen gute Betreuungsplätze für Kinder. Wir wissen aus den Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2020, dass fast jeder Fünfte gerne Vollzeit arbeiten würde, aber noch keine passende Stelle gefunden hat. Für einen erheblichen Teil, rund 60 Prozent, sind persönliche oder familiäre Gründe für die Teilzeit ausschlaggebend“, kommentiert Dulig den Hintergrund der realitätsfremden Debatte.

„Bei einem Zwang zur 40-Stunden-Woche besteht vielmehr die Gefahr, dass Menschen sich komplett aus dem Berufsleben zurückziehen, weil sie Kinder betreuen, Angehörige pflegen, aus gesundheitlichen oder anderen Gründen nicht Vollzeit arbeiten können.

Anstatt mit einem Blick in den Rückspiegel, können wir mit höherer Flexibilität, verbesserten Arbeitsprozessen, betrieblichem Gesundheitsmanagement, innovativen technischen Lösungen ganz sicher mehr erreichen. Wichtige Säulen der Arbeits- und Fachkräftesicherung sind auch die Aktivierung von Arbeitslosen, die Arbeitsmarktintegration Geflüchteter und eine intensive berufliche Aus- und Weiterbildung.“

Mit einem Blick auf der unterschiedlichen Inanspruchnahme von Teilzeit bei Frauen und Männern erklärte Martin Dulig dann noch einmal deutlich: „Es sind überwiegend Frauen, die sich für eine Kombination aus bezahlter Teilzeitarbeit und Familienarbeit entscheiden. Das heißt für die Unternehmen und den öffentlichen Dienst: Wer gut ausgebildete Frauen gewinnen und halten möchte, der muss attraktive Teilzeitmodelle anbieten, und zwar bis zur höchsten Führungsebene. Das kann in Form von Job-Sharing-Modellen funktionieren.“

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