Ein endgültiges Urteil kann man sich noch nicht bilden. Am 18. April gab es im Sächsischen Landtag im Ausschuss für Inneres und Sport eine weitere Expertenanhörung zum neuen Sächsischen Versammlungsgesetz. Vorgestellt hatte es Innenminister Armin Schuster (CDU) im Dezember. Er hielt es für „klar strukturiert und anwenderfreundlich“. Das sah ein breites Bündnis ganz anders, das am 18. April vor dem Sächsischen Landtag gegen das geplante neue sächsische Versammlungsgesetz demonstrierte.

Im Koalitionsvertrag versprachen CDU, SPD und Bündnisgrüne durch die Reform „dem verbürgten Recht auf politische Teilhabe größtmögliche Wirksamkeit zu verleihen.“ Doch mit dem Entwurf des neuen Gesetzes befürchten viele das ganze Gegenteil.

Den Gesetzentwurf zum neuen Sächsischen Versammlungsgesetz (Drucksache 7/15266) findet man hier.

So wie Paul Senf, Mitorganisator der Linksjugend Dresden im Bündnis „Versammlungsfreiheit verteidigen – Unsere Grundrechte sind nicht verhandelbar!“ und Jugendkandidat der Linksjugend Sachsen zur Landtagswahl: „Das Versammlungsrecht ist ein Abwehrrecht der Bürger/-innen gegen den Staat. Doch der vorliegende Entwurf des neuen Versammlungsgesetzes dreht diese grundgesetzlich verankerte und gerichtlich anerkannte Logik völlig um.

Das Gesetz stärkt die Versammlungsfreiheit nicht, sondern macht es den Behörden noch leichter, unliebsame Versammlungen zu gängeln. Der Entwurf liest sich wie: Ohne Polizei und Staatsmacht auch keine Demokratie. Das Gesetz soll innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums beschlossen werden. Das lässt keine Möglichkeit einer dringend nötigen ausführlichen Diskussion und dem Beheben der gravierenden Probleme.“

Ähnlich sah das auch Zada Salihovic, Mitglied der ver.di Jugend: „Keins der versammlungsrechtlichen Probleme wird durch das Gesetz gelöst. Dafür wird die häufig problematische Praxis im Umgang mit Versammlungen gesetzlich verankert. Die Fristen zur Anzeige von Versammlungen verlängern sich, Ordner*innen bestimmter Versammlungen sollen systematisch überprüft und deren Daten gespeichert werden.

Die Kooperationspflicht wird von den Behörden auf die Veranstalter*innen abgewälzt und unter Umständen können Einzelnen die Teilnahme an Kundgebungen präventiv untersagt werden. Und das ist nur ein Teil der kritischsten Punkte des Gesetzes. Fast alle sogenannten Verbesserungen sind lediglich ein liberales Feigenblatt, da sie bereits vorher durch Klagen erkämpft wurden und unstrittig sind.“

Schon die erste Anhörung zeigte Problemstellen

Schon am 22. August 2023 hatte das Kabinett einen gänzlich neuen Entwurf des Sächsischen Versammlungsgesetz (SächsVersG) zur Anhörung freigegeben.

Es wurden unter anderem die kommunalen Spitzenverbände, die Polizeigewerkschaften, der Verband der Sächsischen Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter, die Sächsische Datenschutz- und Transparenzbeauftragte, Vertreter der Landeskirchen sowie des Vereins „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ sowie der Deutsche Journalistenverband und der Handelsverband Sachsen beteiligt.

Das Innenministerium fasste die Kritik so zusammen:

„Viele Stellungnahmen haben sich auf die Überprüfung der Eignung von Ordnern bezogen. Nach dem Gesetzentwurf wird bei einer Versammlung, von der nach der Gefahrenprognose eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, vorab die Eignung der Ordner überprüft. Hier fand hinsichtlich der Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit eine Beschränkung nur auf vorsätzlich begangene Straftaten statt. Die Norm stellt damit die Aufgabe der Ordnungskraft als Maßstab der Eignungsüberprüfung stärker in den Vordergrund.

An der Regelung über das Mindestalter der Ordner von 16 Jahren wurde festgehalten. Bei Schülerdemonstrationen kann aber nach unten oder bei extremistischen Versammlungen nach oben abgewichen werden. Die Stellungnahmen gingen hierzu in konträre Richtungen, daher wird die vorgesehene Regelung als ausgewogen und interessengerecht angesehen.

Bei der Neuregelung zu Versammlungen auf sogenannten Flächen für kommunikativen Verkehr (z.B. Einkaufszentren), die höchstrichterliche Rechtsprechung umsetzt, werden die Interessen der privaten Eigentümer nach gesetzlich konkret festgeschriebenen Kriterien abgewogen. Dabei sind nun die Bedeutung des Ortes für das Anliegen der Versammlung, das Hausrecht sowie Art und Ausmaß der Belastung der Eigentümer zu berücksichtigen.

Die Vorschrift über den Schutz der freien Berichterstattung wurde präzisiert. Presseangehörige haben sich gegenüber der zuständigen Behörde oder dem Polizeivollzugsdienst zu erkennen zu geben, damit geeignete Maßnahmen zu ihrem Schutz ergriffen werden können.“

Was sagte der Innenminister?

„Mit dem heute vom Kabinett beschlossenen Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz haben wir eine klar strukturierte und anwendungsfreundliche Rechtsgrundlage geschaffen, in deren Mittelpunkt der zeitgemäße Schutz der Versammlungsfreiheit als eine der wesentlichen Kernelemente unserer Demokratie steht“, erklärte Innenminister Armin Schuster im Dezember. „Besonders wichtig war mir dabei die Berücksichtigung von Erkenntnissen aus der Versammlungspraxis, eine bessere Handhabbarkeit für alle Beteiligten, die Stärkung des Kooperationsgedankens und ein besserer Schutz der Medienschaffenden.“

Herr Armin Schuster, CDU (Staatsminister des Innern im Freistaat Sachsen). Foto: Jan Kaefer
Armin Schuster, CDU (Staatsminister des Innern im Freistaat Sachsen). Foto: Jan Kaefer

Der Gesetzentwurf folge grundsätzlich dem Aufbau des sogenannten Musterentwurfs eines Versammlungsgesetzes, der von Fachleuten aus der Praxis und Rechtswissenschaftlern erstellt wurde, meinte er noch. Doch die Anhörung am 18. April zeigte dann, dass die Bedenken keineswegs ausgeräumt waren. In der vorgelegten Form schränkt das Gesetz wesentliche Verammlungsrechte ein.

Juliane Nagel (Linke): Entscheidet künftig die Polizei, wer demonstrieren darf?

Auf der Protestkundgebung am 18. April sprach auch die Linken-Abgeordnete Juliane Nagel.

„Es ist gut, dass sich dieses Bündnis gebildet hat – die geplanten Änderungen am Versammlungsrecht, die CDU, Grüne und SPD planen, verdienen eine kritische öffentliche Debatte. Wir teilen die Befürchtung, dass das Gesetz in seiner jetzigen Form am Ende nicht zu mehr, sondern zu weniger Versammlungsfreiheit führt“, erklärte die Landtagsabgeordnete aus Leipzig.

„Einige Änderungen weiten die Versammlungsfreiheit aus, es überwiegen aber die einschränkenden Regelungen. Der ,Schutz der Versammlungsfreiheit‘ ist damit nicht gewährleistet. Dass SPD und Grüne sich dazu hinreißen lassen, das ohnehin restriktive sächsische Versammlungsrecht noch stärker an den Bedürfnissen von Polizei und Versammlungsbehörden auszurichten, ist ein Unding – Koalitionstreue kann nicht ständig in schlechten Kompromissen enden.“

Ein regelrechter Stolperstein im Gesetz ist auch aus ihrer Sicht die geplante „Ordnerüberprüfung“, die jährlich hunderte Versammlungen und tausende Ordnerinnen und Ordner betreffen könnte.

Frau Juliane Nagel (MdL, Die Linke) auf der Demo bei ihrer Ansprache. Foto: L-IZ.de
Juliane Nagel (MdL, Die Linke) auf der Demo bei ihrer Ansprache. Foto: L-IZ.de

„Das schreckt ab und ist geeignet, Versammlungen zu erschweren, zu verzögern oder zu vereiteln. Der Polizeivollzugsdienst erhält weitreichende Eingriffsbefugnisse und soll während Versammlungen regelmäßig an die Stelle der Versammlungsbehörde treten. So sind zwischenbehördliche Konflikte programmiert“, sagt Juliane Nagel.

„Hiergegen haben wir auch verfassungsrechtliche Bedenken, da Versammlungsrecht und Polizeirecht aus gutem Grund nicht derart verschränkt sind. Zudem werden unnötige praktische Probleme geschaffen, z.B. indem bei der 48-Stunden-Frist für eine Versammlungsanzeige künftig Samstage, Sonn- und Feiertage außer Betracht bleiben. Das verlängert diese Fristen erheblich. Verfassungsrechtlich gilt ohnehin der Grundsatz, dass Versammlungen keiner Anmeldung bedürfen.

Zudem wird das Störungsverbot differenziert geregelt. Der Entwurf schafft aber keine Rechtssicherheit, vor allem nicht für Beteiligte einer friedlichen Sitzblockade. Ob diese erlaubt wird, liegt künftig im Ermessen der Polizei – sie kann sogar strafbar werden, wenn sie zum Scheitern einer anderen Versammlung führt.“

Und sie betont etwas, was sächsische Innenminister schon immer mit Sorge betrachtet haben: „Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hat in einem freiheitlichen Staatswesen einen besonderen Rang: Es ist ein Zeichen der Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit der selbstbewussten Bürgerin und des selbstbewussten Bürgers. Das wollen wir als Linke stärken und nicht aushöhlen!“

Valentin Lippmann (Grüne): Nachvollziehbare Änderungsbedarfe

„Wir Bündnisgrüne stehen seit jeher für die Stärkung und Verteidigung liberaler Bürger/-innenrechte ein. Dafür ist ein praxisgerechtes und verständliches Versammlungsgesetz elementar. Deshalb haben wir bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, das aktuelle Versammlungsgesetz im Freistaat zu reformieren.

Denn das derzeit geltende sächsische Versammlungsrecht wird der Bedeutung von Versammlungen in einem liberalen Verfassungsstaat nicht gerecht: Sie sind ein Stück unmittelbarer Demokratie und Ausdruck eines lebendigen bürgerschaftlichen Selbstbewusstseins“, erklärte nach der Anhörung Valentin Lippmann, innenpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sächsischen Landtag.

„Der Gesetzentwurf der Staatsregierung setzt viele Anforderungen an ein liberaleres Versammlungsgesetz um und legt den Schwerpunkt eindeutig auf die Ermöglichung und den Schutz von Versammlungen.“

Herr Valentin Lippmann (Bündnis 90/Die Grünen). Foto: LZ
Valentin Lippmann (Bündnis 90/Die Grünen). Foto: LZ

Das gelte insbesondere für die Entrümpelung der Versammlungsstraftaten, wodurch es zukünftig deutlich erschwert werde, friedliche Sitzblockaden zu kriminalisieren. Etwas, was in Leipzig jahrelang gängige Praxis war. Auch das Vermummungsverbot wird mit dem Gesetzentwurf auf rechtsstaatliche Füße gestellt und Verbotsmöglichkeiten werden beschränkt.

„Mit der Verpflichtung der Behörden zum Schutz der freien Medienberichterstattung und der Stärkung ihrer Kooperationspflichten gegenüber den Versammlungsanzeigenden wird die Versammlungsfreiheit ganz praktisch gestärkt“, betonte Lippmann. Schränkte aber auch ein: „Die Anhörung hat bestätigt, dass der Gesetzentwurf die liberale und versammlungsfreundliche Linie der Rechtsprechung in großen Teilen nachvollzieht und eine wesentliche Verbesserung des Status quo ist.

Er ist ein großer Schritt auf dem Weg zu einem modernen und liberalen Versammlungsgesetz. Dennoch sind gestern durch eine Reihe an Sachverständigen Nachbesserungs- und Änderungsbedarfe aufgeworfen worden, die nachvollziehbar sind. Dies gilt vor allem für die Problematik der Überprüfung von Ordnungskräften.“

Die Grünen wollen sich gemeinsam mit den Koalitionspartnern zeitnah über die notwendigen Anpassungen des Gesetzentwurfes verständigen.

„Dies dürfte jedoch mit Blick auf die verbleibende Zeit der Legislaturperiode ein Kraftakt werden“, so Lippmann. „Es ist unser bündnisgrünes Ziel, ein bestmögliches Versammlungsgesetz für den Freistaat zu schaffen. Die nun diskutierte Reform ist eine große Chance für mehr bürgerschaftliche Freiheit.“

Dass die Materie nicht ganz so eindeutig ist, zeigt eine Sammlung wichtiger Fragen und Antworten auf der Website der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag.

Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz: Lieber noch einmal vertagen

Und auch aus Sicht des Leipziger Aktionsnetzwerks „Leipzig nimmt Platz“ sind noch zu viele Kröten im Gesetzestext.

„Die geladenen Expert/-innen brachten bei der Anhörung verschiedentliche Kritik an dem Gesetz vor. Vor allem das geplante Melden und Speichern der Ordner/-innendaten wurde von vielen der Sachverständigen deutlich als Problem bezeichnet. Teile des Gesetzes seien verfassungswidrig, andere führen zu Problemen“, erklärt Irena Rudolph-Kokot für das Aktionsnetzwerk.

„Auch wurde darauf verwiesen, dass Bündnis 90/Die Grünen im Jahre 2018 schon einen wesentlich besseren und fortschrittlicheren Entwurf für ein Versammlungsgesetz vorgelegt hätten und bei dem jetzigen Entwurf zwar in der Überschrift mehr Versammlungsfreiheit suggeriert wird, der Gesetzestext dies aber nicht hält.“

Frau Irena-Rudolph Koket vom Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ bei einer Outdoor-Pressekonferenz vor dem Neuen Rathaus. Foto: LZ
Irena-Rudolph Koket vom Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ bei einer Outdoor-Pressekonferenz vor dem Neuen Rathaus. Foto: LZ

Unverständlich ist aus Sicht von „Leipzig nimmt Platz“ auch die Einschätzung, dass angeblich Sitzversammlungen entkriminalisiert werden.

„Die Entscheidung, ob friedliche Sitzversammlungen erlaubt werden, würde laut neuem Gesetz dann die Polizei treffen und der Passus zur groben Störung könnte diese auch weiter strafbar machen“, sagt Irena Rudolph-Kokot.

„Die Anhörung hat deutlich gezeigt, dass extrem viel Nachbesserungsbedarf besteht und der derzeitige Entwurf zu einer Abschreckung und damit zur Verhinderung von Versammlungen führt. Wir als Aktionsnetzwerk sehen uns, wenn das Gesetz so verabschiedet wird, wie es derzeit vorliegt, gezwungen, unsere Arbeit einzustellen. Das ist in Zeiten, wo unsere Demokratie gestärkt und verteidigt werden muss, ein fatales Zeichen.“

Weshalb das Aktionsnetz vor allem an Bündnis 90/Die Grünen und die SPD appelliert, das Gesetzesvorhaben für diese Legislatur zu beerdigen. „Lieber kein neues Gesetz, als ein schlechtes.“

Nächster Demo-Termin: Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ ruft alle Menschen in Sachsen auf, sich zu informieren und sich an der Demo des Netzwerks am 23. Mai, dem Tag des Grundgesetzes, zu beteiligen. Start ist 18 Uhr am Richard-Wagner Platz.

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