Am Mittwoch, dem 17. April, veröffentlichte Sachsens Finanzminister Hartmut Vorjohann wieder eine der legendären Pressemitteilungen, mit denen das Sächsische Finanzministerium versucht, Bürgern und Abgeordneten ordentlich Bange zu machen, dass demnächst das Geld alle sein könnte und das arme Land seine Rechnungen nicht mehr bezahlen könnte. Oder gar Schulden aufnehmen müsste, die Horrorvision der schwäbischen Hausfrau, die seit 1990 im sächsischen Finanzministerium reine macht.

Anlass war eigentlich ein ganz formaler Vorgang: Der Haushalts- und Finanzausschuss des Landtages hat in seiner Sitzung am 17. April einer „zusätzlichen Entnahmen aus der Haushaltsausgleichsrücklage in Höhe von 43 Millionen Euro“ zugestimmt. Erst mit dieser Schlussbuchung könne der Haushalt 2023 nun rechnungsmäßig ausgeglichen werden.

Also ein rein bürokratischer Vorgang: Geld wird umgebucht und unterm Haushaltsjahr 2023 steht für Sachsen jetzt eine Schwarze Null, kein Minus. Auch nicht das Minus, welches das Bundesamt für Statistik da am 27. März noch vermeldete: „Am stärksten stiegen die Schulden gegenüber dem Jahresende 2022 prozentual in Brandenburg (+6,0 %), Sachsen (+4,1 %) und Hessen (+2,7 %).“

Der Schuldenstand der Bundesländer. Grafik: Statistisches Bundesamt
Schuldenstand der Bundesländer. Grafik: Statistisches Bundesamt

Was nach einer Alarmmeldung klingt, aber in Bezug auf Sachsen der reine Quatsch ist. Denn seit Jahren schon ist Sachsen das Bundesland mit den geringsten Schulden. Laut Destatis stieg der sächsische Schuldenstand von 5,5 auf 5,7 Milliarden Euro. Aber das war eben nur eine Zwischenrechnung.

Nur ja keine Schulden!

Tatsächlich baut Sachsen seine Schulden weiter ab. Und zwar eiliger und konsequenter als jedes andere Bundesland. Allein 2023 zahlte Sachsen 292,6 Millionen Euro aus dem Corona-Bewältigungsfond ab. Statt der 5,5 Milliarden werden da am Ende also eher 5,2 Milliarden stehen. Und 2024 geht es an der Stelle mit 396,8 Millionen Euro Corona-Fonds-Rückzahlung munter weiter.

Was aber macht Sachsens Finanzminister daraus, wenn er eigentlich vermelden kann, dass Sachsen auch 2023 kein Minus gemacht hat?

„Nur durch die Entnahme aus der Rücklage, der der Haushalts- und Finanzausschuss heute zugestimmt hat, erreichen wir einen ausgeglichenen Haushalt für das Jahr 2023“, lässt sich Finanzminister Hartmut Vorjohann zitieren.

„Das macht den Ernst der Lage vor allem im Vergleich zu den Vorjahren deutlich. Wir hatten für das Jahr 2023 einen schwierigen Haushaltsvollzug. Von der gern kolportierten Schwarzmalerei kann also keine Rede sein. Der Substanzverzehr im Haushalt ist Realität. Besonders prägend hierfür waren die im Jahresverlauf sinkenden Steuereinnahmen. Hier mussten wir ein deutliches Minus von rund 367 Millionen Euro verkraften.“

Weniger Steuereinnahmen durch Lindners Reform

Das mit den Steuereinnahmen stimmt. 2022 hatte Sachsen noch 18,913 Milliarden Euro an Steuern und steuerinduzierten Einnahmen verbucht. 2023 sank der Posten auf 18,415 Milliarden Euro. Geplant hatte der Minister mit 18,782 Milliarden Euro. In seiner Pressemitteilung aber erklärte er nicht (bzw. nur indirekt, siehe unten), woran der Rückgang lag.

Das tat hingegen das Bundesministerium für Finanzen, das sehr wohl gemerkt hatte, dass die Steuereinnahmen der Länder um 5 Prozent zurückgegangen waren. „Der Rückgang war weiterhin maßgeblich auf die Grunderwerbsteuer zurückzuführen, bei der die Einnahmen um rund 24 Prozent unterhalb des Niveaus im Vorjahresmonat lagen.“

Das heißt: Die Krise am Immobilienmarkt wirkte sich hier auch bei den sächsischen Steuereinnahmen aus. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn auch das Bundesfinanzministerium, wo genauso im Stil der „schwäbischen Hausfrau“ agiert wird, verschweigt dabei die eigene Steuerreform von 2022, die sogar für den Großteil der sächsischen Mindereinnahmen 2023 verantwortlich ist.

Also kein Grund für Schwarzmalerei, nur die Folge einer weiteren Steuererleichterung für die Reichen und Schönen im Land – auf Kosten der Länderhaushalte. Was Vorjohann freilich mit der „der gern kolportierten Schwarzmalerei“ meint, ist seiner Aussage nicht wirklich zu entnehmen.

Denn im nächsten Teil der Pressemitteilung betrieb das Finanzministerium dann selber emsige Schwarzmalerei.

Wer rechnet schon mit Rücklagen?

„Nach Abschluss aller Buchungen weist der sächsische Staatshaushalt 2023 kassenmäßig Gesamteinnahmen von 24.403 Millionen Euro sowie Gesamtausgaben von 23.989 Millionen Euro auf. Der Finanzierungssaldo (das Delta zwischen Einnahmen und Ausgaben ohne Rücklagenbewegungen), als zentrale Kenngröße für die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staatshaushaltes, hat sich deutlich von einem Überschuss von 1.739 Millionen Euro (2022) auf ein Defizit von -1.143 Millionen Euro (2023) verschlechtert.

Die Finanzierung des Defizites erfolgt über geplante Entnahmen aus in den Vorjahren gebildeten Rücklagen. In Summe belaufen sich die Entnahmen auf 1.703 Millionen Euro (inkl. 43 Millionen Euro für den Haushaltsausgleich).“

Eckwerte des sächsischen Haushalts 2023. Grafik: Freistaat Sachsen/SMF
Die Eckwerte des sächsischen Haushalts 2023. Grafik: Freistaat Sachsen/SMF

Der Überschuss im Jahr 2022 kam ja bekanntlich für den Finanzminister wie aus heiterem Himmel: Er hatte mehr Steuereinnahmen kassiert als erwartet. Und gleichzeitig konnte der Freistaat hunderte Millionen Euro nicht ausgeben. Ergebnis: Ein riesiger Berg an Überschüssen, die sich dann durch Umbuchung in Rücklagen verwandelten.

Normalerweise ist das eine Buchungsgröße für Privatunternehmen. In der Haushaltsrechnung eines Landes ist es schlicht eben ein Überschuss, der ins nächste Jahr verbucht wird, um dort entweder den Haushalt auszugleichen oder weitere Investitionen zu ermöglichen.

Lindners Foul-Spiel

Dass er sehr wohl gesehen hat, wie der Bundesfinanzminister mit seiner Steuersenkung für Gutverdiener den Ländern regelrecht das Geld entzogen hat, das lässt Hartmut Vorjohann durchschimmern, wenn er sagt: „Der Jahresabschluss 2023 liefert bereits einen Vorgeschmack auf den Haushaltsvollzug 2024. Dieser wird sich ebenfalls sehr herausfordernd gestalten. Die Steuerschätzung im Mai wird zeigen, welche konkreten Folgen die aktuelle wirtschaftliche Schwäche der Bundesrepublik Deutschland auf die Einnahmenseite des Staatshaushaltes haben wird.

Auf der Ausgabenseite führen unter anderem die Folgen des hohen Tarifabschlusses zu deutlichen Personalmehrausgaben gegenüber der Haushaltsplanung. Wie schon im Vorjahr kann ich eventuell notwendige Bewirtschaftungsmaßnahmen daher auch für den Haushaltsvollzug 2024 nicht ausschließen.“

Die Personalmehrausgaben sind eher nur ein Scheinargument, denn geplant hatte der Finanzminister mit 5,571 Milliarden Euro für die Staatsbediensteten (nach 5,219 Milliarden Euro im Vorjahr). Ausgegeben hat er aber nur 5,410 Milliarden, also weniger als geplant.

Was ohne die Steuerreform von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) überhaupt kein Problem gewesen wäre.

Investitionsausgaben so hoch wie seit 2008 nicht mehr

Dass 2023 mehr ausgegeben wurde als 2022, hat ebenso einen positiven Grund, wie das Finanzministerium selbst erklärt: „Durch den Freistaat Sachsen sind im Jahr 2023 Investitionsausgaben in Höhe von insgesamt 3.638 Millionen Euro geleistet worden. Das ist so viel wie seit 2008 nicht mehr. Die Investitionsquote lag bei 15,3 Prozent. Haushaltsansätze für Investitionen im Umfang von 623 Millionen Euro wurden zunächst nicht genutzt.

Diese können die Ressorts in den meisten Fällen als Ausgabereste im Folgejahr – zusätzlich zu den Ansätzen im Haushaltsplan 2024 – für die ursprünglichen Zwecke weiterverwenden. Insgesamt wurden Ausgabereste in Höhe von 3.390 Millionen Euro übertragen. Neben Einnahmeresten aus EU-Förderungen werden Teile der Rücklagenentnahmen auch zur Finanzierung der Ausgabereste verwendet.“

Man hat also mit Geld, das man 2022 nicht ausgeben konnte, auch Investitionen im Jahr 2023 bezahlt.
Was 2024 eingenommen und ausgegeben wird, ist völlig offen. Es kann tatsächlich passieren, dass die Steuersenkung von 2022 dazu führt, dass Sachsen tatsächlich ein Problem bekommt, seine Haushalte künftig auszugleichen. Irgendwann hat sich das neoliberale Geheimrezept, dass man mit immer neuen Steuersenkungen die Wirtschaft ankurbelt, nun einmal totgelaufen.

Aber Sachsen verbucht ja nicht nur immer wieder diverse Rücklagen, weil man das Geld im Haushaltsjahr gar nicht alles ausgeben konnte. Es füllt auch einen gigantisch großen Sparstrumpf namens Generationenfonds. Und da fließen wirklich namhafte Summen ab. 2023 waren es 978,2 Millionen Euro, 2024 sollen es schon 1.053,2 Millionen Euro werden, die in diesen Fonds wandern, um die künftigen Bezüge der Staatsangestellten abzusichern.

Schon im Dezember 2022 kratzte der Generationsfonds an der Marke von 10 Milliarden Euro. Im Dezember 2023 standen dann 10,86 Milliarden Euro auf der Uhr. 2022 wird der Fonds die Marke von 11 Milliarden Euro überschreiten.

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Eine kleine Ergänzung der „Eckwerte“ des Staatsministeriums der Finanzen: die Gesamteinnahmen beinhalten knapp 3,4 Mrd. Euro aus dem Länderfinanzausgleich. Das sind 14 % des abgerechneten Haushaltsvolumens, mit denen sich natürlich gut wirtschaften lässt. Liebe Grüße nach Bayern an dieser Stelle.

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