Das hätte so nicht kommen müssen. Selbst die Linke hatte in der zweiten Runde der Oberbürgermeisterwahl in Pirna die CDU-Kandidatin Kathrin Dollinger‑Knuth unterstützt, um den Kandidaten der AfD, den parteilosen Tischler Tim Lochner, zu verhindern. Eine Unterstützung, die am Ende nicht half, weil sich die beiden Gegenkandidaten zu Lochner gegenseitig die Stimmen abspenstig machten. Der sächsische Landesverband von Mehr Demokratie e. V. kritisiert das dahinter steckende veraltete Wahlverfahren.
„Die gestrige Wahl zeigt, dass das Verfahren hinterfragt werden muss. Es ist kaum vermittelbar, dass ein Kandidat ohne absolute Mehrheit Bürgermeister werden kann“, sagte am Montag, dem 18. Dezember, einen Tag nach der Wahl, Frank Rosberger. Er ist Landesvorstandssprecher von Mehr Demokratie Sachsen.
Lochner hatte sein Stimmergebnis zwar steigern können, mit 38,54 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit aber deutlich verfehlt. Kathrin Dollinger‑Knuth erreichte mit 31,39 Prozent den zweiten Rang, der Kandidat der Freien Wähler Ralf Thiele landete mit 30,08 Prozent auf Platz drei.
Wie verhindert man Extremisten?
Eine Konstellation, die man derzeit in Sachsen des Öfteren erwarten kann. Und bei der am Ende eben auch AfD-Kandidaten gewinnen, obwohl sie weit entfernt von der absoluten Mehrheit sind. Und das nur, weil sich die demokratischen Kandidatinnen und Kandidaten nicht einigen können, wer in der zweiten Runde allein gegen den extremistischen Kandidaten antritt.
Denn nur so bekommen die Wähler/-innen überhaupt die Chance, eine klare Entscheidung zu treffen. Und es geht um die Demokratie. Auch in Pirna haben die demokratischen Kandidaten über 60 Prozent der Stimmen geholt – und trotzdem zieht der AfD-Mann ins Pirnaer Rathaus ein und bedroht gleich mal die Verwaltungsmitarbeiter: „Ich werde die Mitarbeiter im Rathaus versuchen, möglichst einzeln kennenzulernen – und auf Loyalität prüfen“, soll er noch am Wahlabend gesagt haben.
Und dabei hätte das leicht verhindert werden können. In diesem Fall durch den Verzicht entweder der CDU-Kandidatin oder des Kandidaten der Freien Wähler. Eine Einigung, die so nicht zustande kam.
Das Wahlrecht sollte modernisiert werden
Aber noch einfacher wäre es, stellt der Mehr Demokratie e.V. fest, wenn endlich das sächsische Wahlrecht geändert wird und den Wähler/-innen tatsächlich die Chance gibt, Kandidaten radikaler Parteien zu verhindern.
Der Fachverband schlägt deshalb eine Reform vor.
„Das aktuelle Wahlrecht ist ein Steinzeit-Wahlrecht. Es sollte eine Stichwahl geben, bei der nur die beiden verbliebenen Kandidaten antreten. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen erreicht. Andere Bundesländer machen das besser“, so Rosberger.
Statt dass alle Kandidaten aus der ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl noch einmal antreten dürfen und damit für eine Zersplitterung der Stimmen sorgen, wären die beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen aus Runde eins automatisch in der Stichwahl. Das sorgt für Klarheit. Und Wähler, die einen radikalen Kandidaten verhindern wollen, können ihre Stimmen auf den demokratischen Kandidaten vereinigen.
Die Stichwahl im zweiten Wahlgang sei aus Sicht von Mehr Demokratie das Mindestmaß für eine Reform. Denkbar sei auch eine integrierte Stichwahl.
Es gibt 4 Kommentare
Wie der Grimmaer Bürgermeister sagt. Die Etablierten, sog. Demokraten hören nicht mehr hin, die AFD nimmt auf und kanalisiert in eine Richtung. Sie gewinnen nächstes Jahr die Wahlen, verbieten der Partei wäre schon ein deutlicher Indikator einer Diktatur der Demokraten, und dann stehen Sie da und habe keine Fachmänner für die Regierungsposten. Weil die die dafür geeignet wären sich für Parteien nicht mehr hergeben.
> “Allerdings ist es trotzdem ernüchternd, wie es zu dieser Wahl-Ausgangssituation kommen konnte.”
Am Zutreffendsten ist für mich immer noch Werner Patzelds Zusammenfassung über die “Sozialdemokratisierung der CDU”. Es gibt einfach kaum noch eine Alternative zu rot-grüner Politik.
Nimmt man die FDP, hat man zwar kein ideologisches Tempolimit in Anlehnung an Paris und Kopenhagen, aber dafür irgendwas aus zurück-zur Atomkraft und Steuersparen-für-Reiche. Nimmt man die CDU, hat man zwar eine Einschränkung der Genderexperimente, aber bekommt auch irgendwas mit Zahnarztterminen und zurück-zur-Atomkraft.
Ich hasse es, das zu schreiben, weil mir die AFD Angst macht. Aber solange die AFD die einzige Partei ist, die gewisse Dinge anspricht und Prioritäten vom Kopf zurück auf die Füße stellt, solange wird sie viele Leute abholen. Und Riesenkoalitionen der Anständigen, Herumdoktern an vermeintlich uralten Wahlgesetzen oder das Bezeichnen als undemokratische Partei und dgl. mehr bringt meines Erachtens gar nichts.
Und auch im Westen der Republik verliert man die Leute mehr und mehr, es ist also nicht mehr “irgendwas mit Dunkeldeutschland”.
@Sebastian, das sehe ich auch so.
Natürlich ist es seltsam, einen Bürgermeister zu haben, der nicht einmal die absolute Mehrheit repräsentiert, aber das kennen wir ja auch schon aus Leipzig.
Wenn man bisher “zwischen Pest und Cholera” entscheiden konnte, weil einem zwar beides nicht genehm, aber beides nicht radikal war, so hinterfragte man das Wahlrecht nicht.
Nun eskaliert die Sache mit der Variante, dass eben auch radikale Parteien oder Kandidaten ganz legitim diesen Posten erreichen können.
Das Wahlrecht selbst ist da nicht primär schuld: es braucht auch ein paar vernünftige Leute / Wähler, um das demokratische Gerüst mit Leben zu erfüllen.
Wenn die Mehrheit nur noch auf Polemik reinfällt oder nicht mehr in der Lage ist, nach vernünftigen Maßstäben zu leben und zu handeln, dann bietet eben auch ein Wahlgesetz die Chance, den Teufel aufs Podest zu heben.
Es ist ein Armutszeugnis, dass sich die demokratischen Parteikandidaten nicht geeinigt haben – sie sind in erster Linie an diesem Desaster schuld.
Und der Herr MP hat in dieser Suppe mit seinem hirnlosen taktilen Spielchen ebenso mit herumgerührt.
Allerdings ist es trotzdem ernüchternd, wie es zu dieser Wahl-Ausgangssituation kommen konnte.
Die Demokratie hat eben auch das Zeug, sich selbst abzuschaffen. Wenn es das Volk so will.
Der OB hat ja zum Glück nicht wirklich viel Einfluss. Mit knappem kommunalen Budget setzt er am Ende im Groben um, was höhere Ebenen vorgeben. Klar, diese Idee mit der Gesinnungsprüfung in der Verwaltung klingt schon mal richtig schräg, aber dass von außen auf den Verwaltungsapparat eingewirkt werden soll, ist ja nichts neues. Jahrelang war manchen Leuten das hiesige VTA zu “langsam und autofahrerfreundlich”, und heute gibt’s darin einen großen Grundstock an “passenderen” Leuten, nach einem Umbau im durchaus größeren Stil. Also auch diese Methode im Grunde nichts neues.
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Was mich wundert: warum sind erst jetzt die Wahlgesetze in der Kritik, wo “die Falschen” damit an die Macht gekommen sind?
Wenn schon nicht mit konkreter Politik die Leute umgestimmt werden sollen, sondern mit taktischen Manövern an der Situation herumgedoktert werden muss, warum dann nicht Kritik an die anderen Parteien, die sich nicht auf einen Gegenkandidaten zur AFD einigen wollten?
Nee, es wird auf das “alte” Gesetz geschoben. Am Ende kommt es ganz dick, und es stammt noch aus den 90ern :-O
Dann muss es wirklich weg.