Deutsche Verfassungsschutzämter lassen sich Zeit. Sie prüfen, sammeln, bewerten. Denn wenn sie Parteien und Gruppierungen als extremistisch einschätzen, hat das Folgen. Am Freitag, dem 8. Dezember, hat das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) nun nach vierjähriger Beobachtung des Landesverbandes Sachsen der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), zunächst als sogenannter Prüffall, seit Februar 2021 dann als Verdachtsfall, abgeschlossen und das entsprechende 134-seitige Gutachten erstellt.

Der Landesverband Sachsen der AfD ist im Ergebnis dieses juristischen Prüfprozesses mit sofortiger Wirkung als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung einzustufen.

„Wir sind nach einem umfangreichen juristischen Prüfprozess zum Ergebnis gekommen, dass der Landesverband Sachsen der AfD als Beobachtungsobjekt einzustufen ist. In den vier Jahren der intensiven Prüfung haben wir eine Vielzahl von Äußerungen und politischen Forderungen, insbesondere hoher Funktionäre und Mandatsträger der Landespartei sowie der Kreisverbände, also von Personen mit einem hohen Repräsentationsgrad, gesammelt.

Diese belegen in der Summe unzweifelhaft, dass der hiesige AfD-Landesverband verfassungsfeindliche Ziele verfolgt“, resümiert der Präsident des LfV Sachsen, Dirk-Martin Christian, die Tätigkeit seiner Behörde.

Und setzt fort: „Der Landesverband der AfD mag zwar personell heterogen zusammengesetzt sein, inhaltlich-programmatisch überwiegt jedoch das aus dem früheren ‚Flügel‘ hervorgegangene sogenannte solidarisch-patriotische Lager, dessen geistiger Vater und Anführer der Rechtsextremist Björn Höcke ist und das inzwischen den Charakter des gesamten Landesverbandes prägt und dominiert.“

Und für die Einstufung gibt es inzwischen mehr als genug Belege, so Christian: „Rechtsextremistische Äußerungen führender Funktions- und Mandatsträger werden innerparteilich zur Kenntnis genommen, ohne dass es seitens der Landespartei öffentlich zu einer Distanzierung oder zumindest kritischen Auseinandersetzung käme.“

Die Partei erscheine nach außen wie ein „monolithischer Block“.

Lauter Positionen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung

Dem Gutachten des LfV Sachsen zufolge richten sich zahlreiche inhaltliche Positionen des AfD-Landesverbandes gegen die Grundprinzipien unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, beispielsweise in der Migrationsfrage gegen die im Grundgesetz verankerte Garantie der Menschenwürde.

Die Landespartei verfolgt im Hinblick auf die Zuwanderung eine Politik des sogenannten Ethnopluralismus, so das Landesamt für Verfassungsschutz, einem Markenkern des politischen Rechtsextremismus. Danach würde sich der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausschließlich nach ethnisch-biologischen bzw. kulturellen Kriterien richten.

Ein solches Volksverständnis ist jedoch mit dem Grundgesetz unvereinbar. Mit dem Ethnopluralismus würde zwangsläufig die Herabsetzung, Ausgrenzung und Benachteiligung fremder Völker, also von Migranten und ethnischen Minderheiten, einhergehen. Sie würden als Menschen zweiter Klasse angesehen und pauschal verächtlich gemacht.

„Eine derart rassistische Ausprägung des Volksbegriffs, wie ihn die AfD Sachsen öffentlich vertritt, hat seine Wurzeln im historischen Nationalsozialismus“, unterstreicht Christian. In der Migrationsdebatte vertritt die Partei typische völkisch-nationalistische Positionen, wie beispielsweise „Make Europa beautiful and white again“ oder „Zwei Dinge sollten immer weiß sein: Weihnachten und Deutschland“.

Kampfbegriffe des Rechtsextremismus

Führende Vertreter der Landespartei verwenden in diesem Kontext im öffentlichen Diskurs regelmäßig ideologische Kampfbegriffe der rechtsextremistischen Szene, wie „Der Große Austausch“, „Umvolkung“ oder die Forderung nach „Remigration“. Auch diese Begriffe verbergen ihren rassistischen Kern und ihre Urheberschaft im Nationalsozialismus.

Die Islam- und Muslimfeindlichkeit des AfD-Landesverbandes drückt sich insbesondere dadurch aus, dass männliche Migranten aus dem arabischen Raum mit einer drastischen, angsteinflößenden Wortwahl pauschal als „importierte Killer“, „Messer-Migranten“, „vergewaltigende, mordende und plündernde Invasoren“ oder „Rapefugees“ öffentlich diffamiert und diskriminiert werden.

„Damit schürt der AfD-Landesverband fortwährend Ängste und Ressentiments gegen Ausländer in der Bevölkerung“, ergänzt Christian.

Antisemitismus und Verschwörungsideologien

Schließlich bedient sich der AfD-Landesverband gängiger antisemitischer, zumeist verschwörungsideologischer Positionen, die regelmäßig auch von Rechtsextremisten und Reichsbürgern verwendet werden, so das Landesamt für Verfassungsschutz.

„Antisemitismus wird von führenden Vertretern des AfD-Landesverbandes nicht direkt geäußert, sondern durch sogenannte Codes und Chiffren verschlüsselt, zum Beispiel über die ‚internationale Finanzelite‘.

So sprach der Landesvorsitzende Jörg Urban in diesem Zusammenhang wiederholt von den ‚tonangebenden Globalisten in Politik, Medien und Konzernen‘ und bediente damit das verschwörungstheoretische und antisemitische Narrativ einer vermeintlich mächtigen und im Hintergrund agierenden Gruppe, welche die Weltpolitik bestimme, den Nationalstaat abschaffen wolle und gleichzeitig Migration und Kriege fördere“, führt der LfV-Präsident aus.

Immer wieder gegen die Demokratie

Ferner belegt das Gutachten die während der Zeit der staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen begonnene und unverändert fortdauernde Agitation des AfD-Landesverbandes gegen die politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Dabei wurden und werden sowohl die staatlichen Institutionen als auch deren Repräsentanten immer wieder öffentlich diffamiert und verächtlich gemacht.

„Es geht dem AfD-Landesverband nicht um eine sachliche Auseinandersetzung mit den politischen Verhältnissen, sondern um die generelle Herabwürdigung unserer Demokratie. Hochrangige Vertreter der Landespartei bedienen Narrative wie ‚Diktatur‘, ‚Unrechtsregime‘, ‚postdemokratischer Totalitarismus‘, ‚Parteienkartell‘ sowie ‚Staats- und Propaganda-Medien‘“, so Christian.

„In der Gesamtschau geht es der AfD Sachsen darum, unter anderem mit diesem Vokabular das Vertrauen der Bevölkerung in die verfassungsmäßige Ordnung und Funktionsfähigkeit unserer Demokratie von Grund auf zu erschüttern sowie Proteste und Widerstand aus der gesellschaftlichen Mitte heraus zu forcieren.“

Außerdem finden sich im Gutachten zahlreiche Belege für strukturelle und strategische Verbindungen des AfD-Landesverbandes mit anderen gesichert extremistischen Akteuren, die sich über den Prüfungszeitraum weiter verdichtet haben. Hierzu gehören – zumindest punktuell auf lokaler Ebene – die „Freien Sachsen“, ferner die „Identitäre Bewegung“, „PEGIDA“, das „Institut für Staatspolitik“ und die „COMPACT-Magazin GmbH“.

Von ihrer Jugendorganisation, dem sächsischen Landesverband der „Jungen Alternative“ (JA), die das LfV Sachsen am 28. April 2023 als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung eingestuft hatte, hat sich die AfD Sachsen bis heute nicht einmal ansatzweise distanziert.

„Die sächsische AfD hat während der Verdachtsfallprüfung die Anzahl ihrer Kooperationspartner aus dem rechtsextremistischen Spektrum weiter ausgedehnt und ist inzwischen fast mit sämtlichen relevanten rechtsextremistischen Akteuren eng vernetzt. Auch insoweit kann es als gesichert gelten, dass die Partei Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgt“, analysiert der LfV-Präsident.

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Keine Kommentare bisher

Welche Folgen (“Denn wenn sie Parteien und Gruppierungen als extremistisch einschätzen, hat das Folgen.”) hat denn nun diese Einschätzung/Bewertung!? Wenn man nach Sachsen-Anhalt und Thüringen schaut, offenbar keine. Jedenfalls keine nachteiligen für die Partei – fast so, als wäre diese Einschätzung ganz im Gegenteil geradezu ein Gütesiegel in den Augen ihrer Anhänger…

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