Da hält Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) im Bundesrat extra eine engagierte Rede zur Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland. „Was wir brauchen, sind offene Türen für Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland. Deutschland muss sich zu einem modernen Einwanderungsland entwickeln, wie es uns andere Länder schon seit Jahrzehnten vormachen.“ Aber dann meldet sich sein Parteikollege, der Landtagsabgeordnete Frank Richter zu Wort, weil Sachsens diese Menschen selbst systematisch vergrault.

Was nutzen da die Reisen der sächsischen Regierungsmitglieder in alle Welt, um dort Arbeitskräfte für das zunehmend unter Fachkräftemangel leidende Sachsen anzuwerben, wenn die heimischen Ausländerbehörden das ganze Projekt torpedieren und dem Wirtschaftsstandort damit massiv schaden?

„Sächsische Ausländerbehörden sind eine Belastung für den Wirtschaftsstandort Sachsen. Nahezu täglich erreichen mich Informationen, dass sie den Zugang gut integrierter und qualifizierter Menschen in den Arbeitsmarkt verhindern“, stellt der Landtagsabgeordnete Frank Richter (SPD) fest. „Dabei sind nahezu alle Unternehmen und Institutionen auf Fach- und Arbeitskräfte – auch aus dem Ausland – angewiesen. Ich fordere Innenminister Armin Schuster auf, endlich für einen Mentalitätswechsel zu sorgen und den Koalitionsvertrag zu beherzigen.“

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD: steht etwas völlig anderes: „Wir setzen uns dafür ein, dass gut integrierte Asylbewerberinnen und -bewerber, Geflüchtete und Geduldete entsprechend der bundesrechtlichen Reglungen die Chance auf einen Spurwechsel und ein Bleiberecht in Deutschland erhalten, wenn sie den Lebensunterhalt für sich selbst und ihre Familie verdienen und ausreichend Deutsch sprechen können.“

Doch zwei Mitteilungen, die den Abgeordneten Frank Richter am Freitag, dem 7. Juli, erreichten, erzählen von einer nach wie vor stupiden Abschiebe- und Ablehnungspraxis, die von sächsischen Ausländerbehörden erzählt, die ihre Hauptaufgabe noch immer darin zu sehen scheinen, Menschen abzuwimmeln und ihre Integration in Sachsen von vornherein zu verhindern.

Zwei Berichte aus der sächsischen Praxis

Bericht Nr. 1:

„In den Medien gibt es aktuell Berichte bezüglich Fachkräftemangels und der Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Aus diesem Anlass möchte ich Ihnen gerne etwas berichten, was sich aktuell gerade in einem Unternehmen im Landkreis Meißen abspielt:

Ich habe (noch) einen Kollegen aus dem Iran, der seit 4 Jahren hier ist. Er ist unglaublich gebildet und fleißig. Demnächst geht er allerdings einige Zeit nach Stuttgart und das nächste Ziel ist höchstwahrscheinlich Kanada. Warum bleibt mein Kollege nicht in Sachsen, was passiert hier? Nun, mein Kollege versucht seit mehreren Jahren, seine beiden Schwestern (Krankenschwester bzw. Informatikerin) mal für 2 Wochen hierher einzuladen.

Die Visa für die Schwestern werden immer wieder abgelehnt. Begründung seitens der dt. Botschaft in Teheran: Die Schwestern könnten das ausnutzen und einfach nicht wieder zurückgehen. Mein Kollege fragte mich daraufhin: ‚Ihr lasst alle möglichen Ausländer ins Land, auch Analphabeten. Was genau wäre denn das Problem, wenn meine Schwestern blieben? Dann hättet ihr immerhin 2 Fachkräfte mehr.‘ Ich kann die Frage bis heute nicht beantworten.

Der zweite Punkt: In Stuttgart wird mein Kollege das 3fache verdienen. Aber auch da wird er wohl nicht bleiben, denn er hat heute bei der Ausländerbehörde in Dresden folgendes durchgemacht:
Er hatte alle Papiere und Voraussetzungen für die permanente Aufenthaltserlaubnis dabei. Er hat sie nicht bekommen, weil er ehrlich war! Er hat nämlich gesagt, dass er eine neue Stelle anfängt. Ergo: Neue Probezeit, keine permanente Aufenthaltserlaubnis! Hätte er das einfach verschwiegen und nur seinen gegenwärtigen Job erwähnt, wäre alles gut gewesen!

Seine Erkenntnis: In Kanada passiert sowas nicht und meine Familie kann mich jederzeit besuchen! Das Problem ist also nicht, dass die Fachkräfte nicht kommen, sondern sie zu halten. Wir hatten damals kurzerhand unsere Arbeitssprache in der Abteilung auf Englisch umgestellt. Nach eigener Aussage hätte unser Kollege Dresden auch nie verlassen, wenn ihm hier nicht solche Steine in den Weg gelegt werden würden.“

Bericht Nr. 2:

„Ich möchte den Fall eines jungen Mannes aus Libyen schildern, der seit vier Jahren in der Massenunterkunft (280 Personen) Klingenberg – Colmnitz zusammen mit seinem oberschenkelamputierten, jüngeren Bruder untergebracht ist. Er hat einen Masterabschluss IT von 2014. Da die Familie eine Milch/Käsefabrik in Tripolis besaß, war seine Arbeitskraft danach erst einmal in der Familienfirma gefragt. Durch den Bürgerkrieg wurde die Firma zerstört, der jüngere Bruder verlor ein Bein …, und er begleitete ihn zur orthopädischen Versorgung nach Europa.

Kennengelernt habe ich die Brüder über das Koordinationsbüro für Soziale Arbeit in unserer Stadt (Freital), wo ich ehrenamtlich beim Deutschlernen behilflich war. Beide Brüder haben inzwischen den Sprachabschluss B1, beide sprechen Englisch – bei der Arbeitssuche hat das alles nicht geholfen. Von der Agentur für Arbeit wurde ein viermonatiger, rein virtueller Fortbildungskurs (Programmierung) vermittelt, den er erfolgreich abgeschlossen hat. Inzwischen hat er an die 50 Bewerbungen verschickt, wir waren bei Industrie-Messen, haben in der Berufsakademie Dresden mit zahlreichen Firmen über einen möglichen Quereinstieg gesprochen; es gab einige vielversprechende Angebote, doch am Ende nur Absagen.

Die Gründe für die Ablehnung aller Bewerbungen sind:
1) keine praktische Erfahrung, kein Nachweis einer Mitarbeit an IT – Projekten, der Master-Abschluss sei zu lange her. Quereinsteiger-Programme sind allerdings rar.

2) Der Betreffende verfügt nur über eine 6 Monate gültige Duldung, das ist für jeden Arbeitgeber ein Risiko.
Beide Brüder haben bei der Fa. Kyocera in Klingenberg eine Arbeit am Fließband (3-Schicht-System) gefunden. Unter diesen Bedingungen ist ein Training der deutschen Sprache nicht mehr möglich, im Heim spricht man nicht deutsch, auf der Arbeit wird kaum gesprochen, (Handys sind bei der Arbeit nicht erlaubt – was ich verstehe! Deutsch-Lern-Podcast kann man deshalb auch nur in der Freizeit hören).

Freizeit ist knapp, er versucht an IT – Projekten im Internet mitzuarbeiten und über YouTube neue Programmierungs-Sprachen zu lernen, das alles bei regelmäßigen Tumulten im Heim, oft mit Polizeipräsenz.

Obwohl es theoretisch möglich wäre, bei einem 3-monatigem Arbeitsnachweis mit Lohnbescheinigungen mit Genehmigung der Ausländerbehörde eine Wohnung zu suchen, bestehen auch hier keine Chancen: Wohnungen werden in aller Regel für mindestens 18 Monate vermietet, was bei einer Duldung von nur 6 Monaten grundsätzlich ausgeschlossen wird.

Wenn ich nun über unseren Fachkräftemangel lese, dann halte ich das für eine Farce. Wir haben keine Fachkräfte, aber wir erteilen jahrelang jungen, klugen Köpfen (auch der Bruder hat Abitur) nur 6-Monats-Duldungen; kein Firmenchef kann eine Fachkraft einstellen oder gar anlernen, wenn er Gefahr läuft, dass die Duldung nicht verlängert wird. Deutsch kann man nur lernen, wenn man mit deutschsprachigen Kollegen arbeitet und lebt, wenn man sich in einer Fußballmannschaft anmelden kann, wenn man sich in seine vier Wände zurückziehen kann, um dort in Ruhe zu lernen.

Ich wundere mich überhaupt nicht über den Zulauf der AfD, wir haben keine Politik, die man als Integrationspolitik bezeichnen könnte. Wenn wir über Integration sprechen, dann über Zuwanderungsbeschränkung oder das Quartierproblem. Ich bin ein Mensch, der nicht schnell aufgibt.

Aber mit anzusehen, wie hier Menschen verschlissen werden und andererseits jeden Tag in der Zeitung zu lesen, wir hätten zu wenige Fachkräfte, zu wenige Kraft-, Bus-, Zugfahrer, zu wenig Pflegepersonal (wir haben uns sowohl in der Freitaler Helios-Klinik, als auch in Berlin im Helios-Management um einen Job als Hilfspfleger bemüht – wir dachten, um Deutsch zu lernen, sei diese kontaktreiche Tätigkeit keine schlechte Idee – versprochene Rückrufe blieben aus), dann verstehe ich die Politik nicht.

Ich erwarte nicht, dass Sie mir helfen können. Ich wollte Ihnen dieses Schicksal nur einmal schildern, vielleicht haben Sie ja doch eine Möglichkeit, darauf hinzuwirken, dass die Duldung von ihm endlich in ein Bleiberecht umgewandelt wird. Bitte trösten Sie uns nicht mit der Aussicht auf eine neue Gesetzgebung. Aus einem enthusiastischen jungen Mann, mit dem festen Willen, ein Deutscher zu werden, sein eigenes Geld zu verdienen, in seiner Branche etwas zu leisten, ist inzwischen ein deprimierter Fließbandarbeiter geworden …“

Bürokratischer Irrsinn statt Einwanderungspolitik

So betrachtet ist Martin Duligs Rede im Bundesrat ein in den Wind gesprochenes Wort. Die tatsächliche Einwanderungspolitik in Sachsen organisieren gesichtslose Behörden, die Menschen nach bürokratischen Mustern bewerten, die allesamt darauf ausgelegt sind, ihnen das Aufenthaltsrecht in Deutschland letztlich zu verweigern.

Ob das am Freitag vom Bundesrat beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz daran endlich etwas ändert, steht in den Sternen.

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