Es ist schon seltsam: Ein großes Medium nach dem anderen ging sofort nach Bekanntgabe der Ergebnisse aus dem Koalitionsausschuss der im Bund regierenden Parteien dazu über, ein gewaltiges Gezeter anzustimmen über dieses Versagen aus ihrer Sicht. Und insbesondere das der Grünen, die dabei regelrecht abserviert worden seien. Aber funktioniert so Politik? Auch Sachsens Umweltminister Wolfram Günther sieht das anders.
Irgendwie sah es ja so aus – das Ende neuer Öl- und Gasheizungen wurde beschlossen, aber irgendwie schien sich die Autopartei FDP durchgesetzt zu haben mit ihrem Wunsch nach mehr Autobahnen. Selbst die „Zeit“, welche die Stimmen aus dem Koalitionsausschuss relativ ausgewogen wiedergab, titelte dann am 1. April gnadenlos: „Das Ende der Fortschrittskoalition“.
Als wenn die Bundesregierung in einem Fesselballon in den Lüften schweben würde und nicht Medien und Lobbyisten permanent an allen drei Regierungsfraktionen und ihren Ministern und Ministerinnen zerren würden, jeder bestrebt, Einfluss zu nehmen und Eigeninteressen durchzusetzen.
Nicht mit mir!
Eine Situation, in der von einem souveränen Regieren schlicht keine Rede sein kann. Die ganze Republik scheint im Nicht-mit-mir-Modus zu sein und völlig zu verkennen, dass der Riss, der die Wohlstandsgesellschaft durchzieht, auch durch die Bundesregierung geht.
Was ja gerade erst am 30. März wieder eine „Spiegel“-Umfrage bestätigte: „Demnach bewertet rund die Hälfte der Menschen im Land den Klimaschutz im Vergleich – etwa zu Wirtschaftsfragen – für sich persönlich als weniger relevant. So ist nur ein Drittel der Ansicht, dass der Klimaschutz für sie im Vergleich zu anderen Politikfeldern eine große Relevanz hat. Die Hälfte der Befragten stuft den Klimaschutz hingegen im Vergleich zu anderen Politikfeldern als weniger relevant ein.“
So ticken die Deutschen, könnte man sagen. Wenn es um Einkommen, Lebensstandard und Sicherheit geht, geht ihnen das Klima am Hintern vorbei. Sie vergessen die brennenden Wälder und die Fluten im Ahrtal. Ist ihr Lieblingsgletscher abgeschmolzen, fahren sie eben auf einem anderen Ski. Die Deutschen sind Weltmeister im Verdrängen.
Und lieber werden sie gewalttätig, wenn sich junge Menschen auf die Straße kleben, als auch nur anzufangen darüber nachzudenken, dass sie ihren Lebensstil tatsächlich ändern müssen. Sonst wird Deutschland nämlich wirklich nicht klimaneutral.
Muss ich mein Leben ändern? Nö!
Oder es hört wenigstens auf, einer der größten Klimasünder auf der Erde zu sein. Mit dieser Haltung haben die Bundesbürger die Grünen schon einmal abgewählt und damit 16 Jahre Stillstand in der Klimapolitik erreicht. 16 Jahre, die jetzt fehlen. Die sogenannte Klima-Regierung müsste, um das aufzuholen, viel härtere und weitreichendere Beschlüsse fassen, selbst um das von Deutschland selbst gesetzte Klimaziel einzuhalten.
Doch gerade jetzt, wo überhaupt erst einmal die ersten wichtigen Weichenstellungen kommen, baut sich im ganzen Land eine Front des „Nicht mit mir“ auf.
In Sachsen kennt man das schon lange. SPD und Grüne sitzen hier als kleinere Partner mit einer CDU in der Regierung, die noch viel penetranter an der fossilen Energiepolitik festhält und den Ausbau von Windkraft und Solar über Jahre mit allen Mitteln ausgebremst hat.
Da ist dann auch der grüne Umweltminister und Vize-Ministerpräsident Wolfram Günther schon froh, dass der Koalitionsausschuss überhaupt Ergebnisse erzielt hat, die auch in Sachsen wirken werden, und eben nicht völlig zerstritten auseinander gegangen ist.
Auch so ein politischer Moment, der daran erinnert, wie sehr ausgerechnet die großen deutschen Medien augenscheinlich ein Politik-Gefühl verinnerlicht haben, bei dem Regierungskoalitionen so brav miteinander sind wie die Schafe in einer Herde. Und nur der Schäfer (oder die Schäferin) pfeift ab und zu, wenn mal ein kleiner Richtungswechsel dran ist.
Natürlich reicht das noch nicht
„Gemessen am Pariser Klimaabkommen, am Klimaschutzgesetz und am verfassungsrechtlichen Auftrag, die Erderwärmung zu verhindern, gehen die Beschlüsse nicht weit genug und fallen teilweise hinter das Notwendige zurück“, gesteht Energie- und Klimaschutzminister Wolfram Günther zu.
„Dennoch: Die Richtung stimmt: Denn nach Jahren der klimaschutzpolitischen Lähmung in der Bundespolitik sind jetzt Fortschritte sichtbar. Gemessen an den letzten zwei Jahrzehnten ist in sehr kurzer Zeit sehr viel in Bewegung gekommen. Aus diesem Schwung werden wir auch in Sachsen in den nächsten Jahren noch mehr machen.“
Besonders betont er aus sächsischer Sicht die Bewegung in der Energiepolitik.
„Im Energiesektor wird der Ausbau der Erneuerbaren Energien mit aller Kraft vorangetrieben. Auch in die Dekarbonisierung des Industriesektors ist deutlich Bewegung gekommen. Davon profitiert die sächsische Wirtschaft“, sagt er. Und jeder hört den kleinen Seitenhieb gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) heraus, der tatsächlich in einer Talkshow gegenüber der Grünen-Bundesvorsitzenden Ricarda Lang fertigbrachte zu sagen: „Das ist keine Klimapolitik, das ist eine Verarschung der jungen Generation, denen das wirklich wichtig ist, der Klimaschutz.“
Das hat schon was: Ein Ministerpräsident, der die Kohle unbedingt bis 2038 behalten will, wirft den Grünen vor, keine Klimapolitik zu machen.
Aber wie soll die aussehen, wenn nicht ein Sektor nach dem anderen von fossilen Brennstoffen abgekoppelt und auf erneuerbare Energien umgestellt wird?
Das lehrreiche Jahr 2022
Was ja übrigens auch die Abhängigkeit von Diktaturen wie der in Russland verringert. Denn bei Öl und Gas haben die Deutschen 2022 gemerkt, wie erpressbar sie bis dahin durch die russischen Lieferungen waren.
„Im Gebäudesektor hat die Energiekrise des letzten Jahres zu einem Aufwachen geführt“, sagt Günther. „Die einseitige Abhängigkeit der Wärmeerzeugung von Gasimporten hat dafür gesorgt, dass viele Privathaushalte den extremen Preisschwankungen und der geopolitischen Unsicherheit ausgesetzt waren. Die Wärmewende ist der Weg raus aus diesen Abhängigkeiten. Schon heute werden unzählige Gebäude saniert, es wird eine Rekordzahl von Wärmepumpen eingebaut.
Inzwischen werden mehr als die Hälfte aller Wohnungsneubauten in Deutschland mit Wärmepumpe als primäre Heizung fertiggestellt. Der Bund fördert das schon jetzt. Er wird die Wärmewende weiter fördern. Das ist praktischer, sozial abgefederter Klimaschutz. Niemand wird allein gelassen. Darauf werden wir in Sachsen achten.“
Und auch wenn Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit seiner Werbung für eFuels scheinbar das Aus für Verbrenner in der EU ausgehebelt hat, ist die Wahrheit tatsächlich: Ab 2035 ist finito für neue Verbrenner in der EU.
Denn die von Wissing favorisierten synthetischen Kraftstoffe sind aufwendig in der Herstellung und werden in ganz anderen Branchen gebraucht. Bei Autos werden sie bestenfalls als Exoten auftauchen – und damit wieder Automodelle für eine kleine, gutverdienende Käuferschicht. Aber ganz bestimmt keine Lösung für die Mobilitätswende.
Sachsens Thema ist die E-Mobilität
„Das europäische Aus für den fossilen Verbrennungsmotor wird die Elektromobilität in den nächsten Jahren europaweit zum Durchbruch führen“, sagt Günther. Und erinnert damit an eine Meldung seines Kabinettskollegen Martin Dulig (SPD) vom 15. März, der darauf hinwies, dass der Autobau in Sachsen längst von E-Autos bestimmt wird.
„Im Jahr 2022 gelang eine Steigerung der Produktion vollelektrischer PKW an den sächsischen Automobilstandorten um rund 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr – auf 243.000 Stück“, meldete sein Ministerium. „Dies macht etwa 40 Prozent der insgesamt in Deutschland produzierten vollelektrischen Fahrzeuge aus und weist Sachsen somit unverändert als Top-Region der Elektromobilität aus.“
Und natürlich muss sich auch im Gütertransport etwas ändern, wie Wolfram Günther feststellt: „Der nun beschlossene CO₂-Aufschlag in der LKW-Maut ist ein wichtiger Schritt dafür, dass endlich mehr Güterverkehr auf die Schiene verlagert wird. Der Schienenverkehr profitiert nun von der notwendigen Planungsbeschleunigung und erhält 20 Milliarden Euro mehr.“
Keine Kommentare bisher
Ich gehe mit zwei Sachen hier nicht ohne Ergänzung mit. Die Beschreibung, den Befragten sei Klimaschutz “für sich persönlich als weniger relevant” halte ich für eine Verharmlosung. Ich würde das definitiv beschreiben als “sind sich keiner Schuld bewusst, weil sie nicht hinschauen wollen”, denn wenn wir aufhören, die Blockadehaltung gegenüber dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen als schuldhafte Verfehlung zu benennen, um ja nicht zu sehr zu nerven, ist das in meinen Augen eine voreilige Entschuldigung für die wir “Alten” überhaupt nicht die Berechtigung haben sie auszusprechen.
Umfragen wie diese spiegeln nicht die wissenschaftlich fundierte Notwendigkeit wider, sondern ein Wunschdenken. Klimaschutz ist kein Verbrechen, man beweise mir das Gegenteil.
Das andere ist diese Erzählung, mit der Abwahl der Grünen seien die Bundesbürger verantwortlich für 16 Jahre Stillstand in der Klimapolitik. Ich möchte ergänzen, dass diese 16 Jahre nicht still standen, sondern sehr aktiv gelogen und betrogen wurde. Der sogenannte Kohlekompromiss ist da nur eines von mehreren Beispielen. Heute noch rennt Mr. MP Kretschmer (CDU) draußen rum und erzählt etwas von einem großen Kompromiss, dem selbst die Umweltverbände zugestimmt hätten. Pustekuchen. Bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung der Bund-/Länder-Einigung zum Kohleausstieg veröffentlichte ein Teil der ehemaligen Kohlekommission eine Erklärung, worin sie Bund und Länder die einseitige Aufkündigung des Kompromisses vorwarfen: “Mit der Bund-Kohleländer-Einigung zum Kohleausstieg vom 15. Januar 2020 sehen wir Buchstaben und Geist der in den Empfehlungen der KWSB erzielten Kompromisse vor allem mit Blick auf den Klimaschutz sowie den Umgang mit den vom Braunkohletagebau betroffenen Menschen grob verletzt.” https://backend.dnr.de/sites/default/files/Positionen/2020-01-21-Stellungnahme-Mitglieder-KWSB-Bund-Laender-Einigung.pdf
Das zudem vor dem Hintergrund, dass ebenjene, die das schrieben, bereits dem Kompromiss für nicht ausreichend hielten, diesem nur zugestimmt hatten, um überhaupt irgendwie voran zu kommen und das auch in einem Sondervotum klar zum Ausdruck gebracht hatten: “Sowohl der nicht konkretisierte Pfad ab 2023 als auch das zu späte Ausstiegsdatum verhindern über die Jahre eine
kumulierte CO2-Reduktion des Energiesektors, die mit dem Pariser Klimaabkommen vereinbar wäre. Im Gegenteil sind kumulierenden CO2-Emissionen in der Atmosphäre viel zu hoch, als dass Deutschland seinen Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf maximal 2 Grad, geschweige denn 1,5 Grad leisten könnte.” https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/kohle/kohle_sondervotum_kommission.pdf
Und solche Geschichten gibt es zuhauf. Lex Greenpeace, diese sogenannte Klimastiftung von Schwesig (SPD), der Abgasskandal oder die Haltung, dass ein CDU-Landrat in Sachsen ankündigt die Genehmigung von Windrädern hinaus zu zögern, um diese willentlich zu verhindern, während er gleichzeitig ja behautet er sei Demokrat. (https://www.windindustrie-in-deutschland.de/meldungen/landrat-thomas-hennig-cdu-will-wind-genehmigung-hinziehen)
Die einen lügen und betrügen mit voller Absicht und die anderen sind sich fein damit, sich diesen offentlichen Betrug gefallen zu lassen, nicht zuletzt ganz offenbar, weil es sie selbst in ihrem gelebten Egoismus bestätigt. Brot und Spiele nach den Regeln der Phantasie. Ach, bei diesem nach wie vor gelebten “Politik ist das, was möglich ist”-Gelaber ist inbegriffen, dass heute schon Menschen ihren Lebensraum durch zunehmende Wetterextreme verlieren, emigireren müssen und möglicherweise vor den Augen der ach so feinen Staatengemeinschaft im Mittelmeer sterben?