„Wenn zwei sich streiten, freut sich eben nicht der Dritte. Im Gegenteil“, erklärte zwar am Mittwoch, dem 8. Februar, die Co-Vorsitzende der SPD Sachsen und Bundestagsabgeordnete aus der Lausitz, Kathrin Michel. Aber die Wirklichkeit in Deutschland, wo mit knalligen Schlagzeilen Politik gemacht wird, ist eben doch: Ein Dritter freut sich garantiert. Und wenn es nur das Vertrauen in die Demokratie weiter unterminiert. Denn die streiten sich doch, oder?
Tun sie natürlich. Aber nicht so, wie es Medien wie tag24 („Früherer Kohleausstieg in Sachsen? Kretschmer lehnt die Diskussion ab“) oder ntv („Kretschmer erteilt vorgezogenem Kohleausstieg erneut Absage“) suggerieren.
Oder der „Spiegel“, der daraus inzwischen einen „andauernden Streit von CDU und Grünen in der sächsischen Regierungskoalition“ konstruiert hat.
Hintergrund ist ein Bericht der Bundesnetzagentur, der zu dem Ergebnis kommt, dass die Stromversorgung in Deutschland auch bei einem früheren Kohleausstieg im Jahr 2030 gesichert ist.
2030 ist wünschenswert und möglich
Was dann Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bestätigte, der bundesweit um einen vorgezogenen Kohleausstieg bis 2030 kämpft. Und dass er die Sache genauso sieht, hat Sachsens Umweltminister Wolfram Günther (ebenfalls Grüne) auch immer wieder gesagt. Und hier geht es nicht nur darum, dass es möglich ist, sondern dass es – um die eigenen Zusagen der Bundesrepublik aus Paris 2015 zur Reduktion der CO₂-Emissionen auch einzuhalten – einen früheren Kohleausstieg braucht. Möglichst bis 2030.
„Wünschenswert“, hat es der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP genannt. Und seitdem es da so steht, predigt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) immer wieder dagegen an. Als wäre er der Apostel der Kohle.
Der Bericht der Bundesnetzagentur bestätigte also die Position von Wolfram Günther und Robert Habeck. Es geht, wenn wir nur wollen. Doch allein schon die Erwähnung des Jahres 2030 bringt Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer dazu, sich jedes Mal mit großer Geste vor den Kohlekompromiss zu werfen (den sein Amtsvorgänger Stanislaw Tillich mitverhandelt hat). Im Kohleausstiegsgesetz seien „alle Dinge so geregelt, dass es keine Diskussion über 2030 braucht“, diktierte er jetzt wieder in die Mikrofone der willig lauschenden Sender.
Obwohl das eben nicht stimmt, sondern lediglich die Position einer Partei ist, die in Sachsen seit über 30 Jahren aufs Engste mit den hier aktiven Kohlekonzernen verbrüdert ist und über Jahre genau das, was Kretschmer jetzt fordert, den „Ausbau der erneuerbaren Energien“, mit allen Mitteln ausgebremst hat. Und Kretschmer hat ja noch andere wilde Ideen, die allesamt darauf zielen, den erneuerbaren Energien den Weg in den Markt möglichst zu erschweren. Wie ntv zitiert: „Laufzeitverlängerung der Atomkraft, eine Förderung von einheimischem Gas sowie der Sicherung der zerstörten Ostseepipeline Nordstream 1.“
Also ein Plädoyer für drei Energiequellen, für die das Ende in Deutschland eigentlich beschlossen ist. Natürlich gibt es dafür Beifall von fossilen Konzernen, die damit nach wie vor ihre Gewinne machen.
Strukturwandel auf der Schleichspur
Aber der Strukturwandel, der eigentlich 2018 eingeleitet werden sollte, kommt in Sachsen nur quälend langsam voran.
Weshalb Kathrin Michel appelliert: „Denn der Strukturwandel in den Kohleregionen ist jetzt. Jetzt brauchen die Menschen Perspektiven. Ein rein ideologisch motivierter Streit um Jahreszahlen hilft niemandem. Denn jetzt müssen die Arbeitsplätze der Zukunft geschaffen und gesichert werden. Jetzt geht es darum, dass Sachsen Energieland bleibt. Die Frage ist nicht ‚2030 oder 2038 oder noch früher‘. Es geht nicht um die Jahreszahl für den Kohleausstieg, es geht darum, jetzt zu handeln. Jetzt sofort müssen wir umsteuern und massiv investieren.“
Und das gilt ganz bestimmt nicht dem grünen Umweltminister, der für den Ausbau der Erneuerbaren in Sachsen nur bedingt zuständig ist.
„Das weiß auch die Industrie, die schon viel weiter ist, als so mancher streitender Politiker – wie man am Beispiel der LEAG sieht“, sagt Michel. Denn die LEAG investiert inzwischen emsig in grünen Wasserstoff und Solar- und Windkraftprojekte. Wer das alles nämlich anbieten kann, wenn die Kohlekraftwerke vom Netz gehen, ist wieder dabei, als Player auch der neuen Energiewelt.
Und zur Wahrheit gehört auch: Je mehr davon gebaut wird, umso schneller wird Kohlestrom nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Ganz abgesehen von den steigenden Preisen für CO₂-Zertifikate an den Börsen, welche Kohlestrom immer stärker belasten.
Es gibt nur einen Weg: Erneuerbare
Dabei erklärt Wolfram Günther stets ganz nüchtern, dass genau aus diesem Grund viele Kraftwerksbetreiber ganz von allein an ein Abschalten vor 2030 denken werden. Aus simplen kalkulatorischen Grünen.
Es sind auf Zoff gestrickte Medien, die daraus einen Streit konstruieren.
Genau da ist die sächsische Regierung gefragt. So wie es Kathrin Michel beschreibt: „Die Aufgabe einer Koalition ist es nicht, sich bei solch wichtigen Themen immer wieder gegenseitig öffentlich Vorhaltungen zu machen. Die Aufgabe der Koalition muss doch sein, dass wir die Kräfte bündeln und in einer gemeinsamen Kraftanstrengung die Zukunft Sachsens sichern. Da hilft es nicht, wenn man an Technologien des 20. Jahrhunderts oder unrealistischen Gaslieferungen aus Russland festhält.
Und es hilft auch nicht, ambitionierte Ziele zu verkünden und trotzdem kaum ein Windrad zu bauen. Es gibt nur einen Weg: Erneuerbare schnellstmöglich ausbauen, Speicherkapazitäten schaffen und Netze ertüchtigen. Und dabei die Menschen, den Zusammenhalt und das Soziale, nicht vergessen.“
Am Ende sind die Sachsen selbst angeschmiert
Ganz abgesehen davon, dass der Druck, diese zukünftigen Energietechnologien auszubauen und dort Arbeitsplätze zu schaffen, wächst, je näher das Abschalten der Kohlekraftwerke rückt. Da nutzen die Beschwörungen von Michael Kretschmer, der an den vereinbarten Ausstiegsjahren 2035 und 2038 festhalten will, nicht die Bohne. Die Angeschmierten sind die Sachsen selbst, wenn sie sich auf dieses weltfremde Mantra verlassen und glauben, die Schlote würden bis 2035 und 2038 qualmen und die Arbeitsplätze in Tagebauen und Kraftwerken sicher sein.
Genau das ist nicht der Fall. Und das sollte auch ein Ministerpräsident wissen. Und nicht seinen potenziellen Wählerinnen und Wählern einreden, es wäre alles wie im Kompromiss des Kohleausstiegsgesetzes vereinbart.
„Die Unternehmen haben sich doch längst auf den Weg gemacht“, sagt Michel. „Sie brauchen Verlässlichkeit, Planungssicherheit und Planungsbeschleunigung. Und sie brauchen Arbeitskräfte. Über den Weg dahin und die besten Lösungen können und müssen wir in der Koalition gern streiten. Aber doch bitte nicht so.”
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Ich hatte schon damals als der Kohle-Kompromiss geschlossen wurde, das blöde Gefühl, dass nicht genug von dem dabei für den Strukturwandel eingeplanten Geld in die Schaffung anderer Arbeitsplätze fließt. Wenn natürlich ein Ministerpräsident die Realität nicht so recht sehen will, fürchte ich um die Lausitz. Wie Frau Michel sagt, der Umbau müsste nun schon in vollem Gang sein und das die fossilen Energieträger nicht die Zukunft sind, pfeifen mittlerweile die Spatzen von den Dächern. Hätte Sachsen nicht so zögerlich auf Erneuerbare Energien gesetzt, wäre vielleicht auch die Gasmangellage nicht ganz so heftig eingetreten, weil wenigstens die von den entsprechenden Kraftwerken erzeugte Strommenge zu einem Teil mit Sonnen- und Windenergie hätte aufgefangen werden können. Kohle als Energieträger muss man bei dem verschwindend geringen Restbudget an CO² zum 1,5 Grad Ziel als lebensbedrohlich sehen (aber in Zusammenhängen über die nächste Landtagswahl hinaus wird halt in der Sachsen-CDU ungern gedacht). Bei der Atomkraft verlagern wir ein Problem mit dem lange strahlenden Müll auch nur auf zukünftige Generationen. Vielleicht sieht diese Dinge demnächst auch Herr Kretschmer ein.