Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, machte Anfang November den Vortänzer und rückte die Klimaproteste der „Letzten Generation“ in den Terrorismusverdacht: „Die Entstehung einer Klima-RAF muss verhindert werden“, verkündete er via „Bild am Sonntag“. Und seitdem drehen die deutschen Innenminister am Rad, mutmaßen gar eine kriminelle Vereinigung. In Sachsen griff die Staatsanwaltschaft am 24. November gleich mal zum großen Besteck.
Sie initiierte eine Razzia bei drei Aktivisten der „Letzten Generation“. Auch in Leipzig rückte die Polizei an, um unter anderem die Wohnung einer 22-Jährigen auf den Kopf zu stellen.
Oder mit den Worten von Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der Linken, die diesen Aktionismus deutlich überdimensioniert fand: „Am 24. November 2022 fanden im Zusammenhang mit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dresden zu einer Aktion der Initiative ‚Letzte Generation‘ am 23. August 2022 in der Gemäldegalerie ‚Alte Meister‘ in Dresden wegen des Verdachts der gemeinschädlichen Sachbeschädigung Durchsuchungsmaßnahmen bei drei Beschuldigten in Leipzig, Greifswald und Berlin statt.“
Und da waren die deutschen Innenminister erst am Warmlaufen. In ihrer Innenministerkonferenz am 2. Dezember waren sie sich sehr schnell einig, dass man hinter den Aktionen der „Letzten Generation“ eine kriminelle Vereinigung vermuten sollte. So formulierte das auch Sachsens CDU-Innenminister Armin Schuster: „Es gilt nun vor allem auch zu ermitteln, ob netzwerkartige Strukturen vorliegen und wenn ja, in welcher Dimension. Zudem muss ermittelt werden, ob es Bezüge zur linksextremen Szene gibt. Auch auf die Initiative Sachsens hin wurden die Sicherheitsbehörden des Bundes nun um Erstellung eines Lagebildes gebeten.“
Mit Gummiparagraf gegen Protest
Eine kriminelle Vereinigung wird laut Strafgesetzbuch so definiert: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.“
Was der oft genug als Gummiparagraf bemühte §129 noch einmal einschränkt: „Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.“
Was dann irgendwie das Vorgehen der Staatsanwaltschaft begründete. Aber auch über einen Monat darauf liegt nichts vor, das die drei Beschuldigten irgendwie zu einer kriminellen Vereinigung macht.
Und auch der Vorwurf, der ihnen tatsächlich zur Last gelegt wird, ist so eindeutig nicht.
Nach Auskunft von Armin Schuster ist das: „Im Zusammenhang mit dem Geschehen in der Gemäldegalerie ‚Alte Meister‘ am 23. August 2022 in Dresden wird den Beschuldigten gemeinschädliche Sachbeschädigung gemäß § 304 Strafgesetzbuch (StGB) vorgeworfen.“
Auch das ist ein Gummiparagraf, der da lautet: „Wer rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staat bestehenden Religionsgesellschaft oder Sachen, die dem Gottesdienst gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Naturdenkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft oder des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
Das Gemälde wurde nicht beschädigt
Doch die „Sixtinische Madonna“ wurde gar nicht beschädigt. „Am 23. August 2022 klebten zwei Aktivisten der Gruppe Letzte Generation sich selbst mit jeweils einer Hand am Rahmen der Sixtinischen Madonna fest, um damit nach eigenen Angaben auf die Zerstörungen durch den menschengemachten Klimawandel aufmerksam zu machen. Das Gemälde selbst überstand die Aktion unbeschädigt“, fasst Wikipedia den Vorgang zusammen.
Den jungen Leuten ging es eben nicht darum, Rafaels berühmtes Gemälde zu zerstören oder zu beschädigen. Sondern um Aufmerksamkeit. Nur der Goldrahmen wurde lädiert. Es geht also um eine simple Sachbeschädigung. Denn nicht einmal der Vorwurf der gemeinschädlichen Sachbeschädigung lässt sich wirklich untermauern.
Aber Schuster geht noch weiter, denn schon Anfang Dezember mutmaßte ja er in den Protestaktionen der „Letzten Generation“ Linksextremismus. Und da versteht Sachsens Justiz keinen Spaß.
„Nach vorläufiger Einschätzung wird der o. g. Sachverhalt als Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit Bezügen zum Phänomenbereich der PMK -links- bewertet“, meint Schuster in seiner Antwort auf die Fragen von Kerstin Köditz.
Keine kriminelle Vereinigung gefunden
Was diese Bewertung eigentlich stützt, sagt er nicht. Denn bei den Hausdurchsuchungen wurde augenscheinlich auch nichts gefunden, was den Verdacht in diese Richtung auch nur füttert. Im Gegenteil – die emsigen Kriminalpolizisten suchen noch: „Die auf richterliche Anordnung erfolgten Durchsuchungsmaßnahmen dienten der vollständigen Aufklärung der Tat sowie ihrer Umstände. Die Auswertung der sichergestellten Beweismittel dauert an. Das Ermittlungsverfahren wird derzeit gegen die drei Beschuldigten geführt.“
Was natürlich auch nur eine sehr fadenscheinige Erklärung für die Razzien ist. Denn die Taten der drei Aktivist/-innen sind ja allesamt dokumentiert und öffentlich. Fluchtgefahr bestand auch nicht. Und die mutmaßliche Radikalisierung besteht auch nur in der Fantasie konservativer Politiker. Erklärlich werden die Razzien erst, wenn man sie als Versuch wertet, den drei Beschuldigten auf irgendeine Weise die Bildung einer kriminellen Vereinigung nachzuweisen – und möglichst gleich noch organisatorische Verbindungen zu den anderen Gruppen der „Letzten Generation“.
Aber Schusters Antwort bestätigt, dass man dazu nichts gefunden hat: „Anhaltspunkte für den Verdacht eines Verstoßes gegen § 129 StGB liegen gegenwärtig nicht vor.“
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